UNO-Sondergesandte warnt vor „Blutbad“ in Myanmar

Zwei Monate nach dem Militärputsch droht Myanmar in bürgerkriegsähnliche Zustände abzurutschen. Ein „Blutbad“ stehe unmittelbar bevor, warnte die UN-Sonderbeauftragte für das Land, Christine Schraner Burgener. Sie rief den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Mittwoch dazu auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, um eine „Katastrophe im Herzens Asiens“ zu vermeiden. Am Donnerstag setzten die Gegner der Militärmachthaber ihre Proteste fort.

Demonstranten verbrannten Kopien der von der Armee gebilligten Verfassung. In vielen Städten versammelten sich nach Medienberichten bereits in der Nacht Menschen zu „Kerzenlicht-Protesten“. In der größten Stadt Yangon brach in der Nacht Feuer in einem Einkaufszentrum aus, das einem Konglomerat unter Führung des Militärs gehört.

Der Zeitung „The Irrawaddy“ zufolge sollen Einsatzkräfte wieder brutal durchgegriffen haben. Es soll erneut Tote und Verletzte gegeben haben. Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Organisation kritisierte, Mitarbeiter seien festgenommen oder eingeschüchtert worden, weil sie verletzten Demonstranten helfen wollten.

In den vergangenen Tagen kam es auch zu schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und ethnischen Minderheiten. Im Norden des Landes griff am Mittwoch die Unabhängigkeitsarmee der Kachin (KIA) einem Medienbericht zufolge eine Polizeiwache an. Dabei sollen mindestens 20 Soldaten getötet und vier Armee-Lkw zerstört worden sein.

Die älteste Gruppe von Aufständischen im Land, die Nationale Union der Karen (KNU), hatte am Dienstag vor einer größeren Regierungsoffensive im Osten des Landes gewarnt. Am Wochenende hatte das Militär Stellungen der KNU bombardiert. Wegen der Kämpfe und des Putsches sind Tausende Menschen aus Myanmar nach Thailand und Indien geflohen.

Bei Militäreinsätzen gegen die Zivilbevölkerung in Myanmar wurden Menschenrechtlern zufolge in den vergangenen zwei Monaten mindestens 43 Kinder getötet. Die Zahl habe sich allein in den vergangenen zwölf Tagen verdoppelt, was die „völlige Missachtung der Streitkräfte für das Leben von Kindern“ aufzeige, teilte die Hilfsorganisation Save the Children am Donnerstag mit.

Das jüngste Opfer sei erst sieben Jahre alt gewesen. Save the Children sprach von einem „Alptraumszenario“. Myanmar sei kein sicherer Ort mehr für Kinder.

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Nach neuen Schätzungen der Gefangenenhilfsorganisation AAPP sind seit dem Putsch vor genau zwei Monaten mindestens 536 Menschen von Einsatzkräften getötet worden. Jedoch gebe es vermutlich eine hohe Dunkelziffer, teilte AAPP mit. Mehr als 2.700 Menschen seien derzeit noch in Haft, darunter Politiker, Aktivisten und Journalisten.

Befürchtungen, der abgesetzten De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi könnten neue, schwere Straftaten zur Last gelegt werden, bestätigten sich unterdessen zunächst nicht. Das sagte einer ihrer Anwälte nach einer gerichtlichen Anhörung am Donnerstag zu Reuters. Nach Medienberichten sollte der festgesetzten 75-Jährigen neben mehreren geringfügigeren Vergehen auch Verrat vorgeworfen werden. Dies kann in Myanmar mit der Todesstrafe geahndet werden.

Die Anwältin von Suu Kyi, Min Min Soe, teilte unterdessen mit, diese sei trotz ihres seit bereits zwei Monaten andauernden Hausarrests offenbar bei guter Gesundheit. Sie hatte per Videoschaltung aus einer Polizeiwache der Hauptstadt Naypyidaw mit der 75-jährigen Politikerin gesprochen. Suu Kyi wurde nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, seit sie am 1. Februar vom Militär abgesetzt und unter Hausarrest gestellt worden war.

Die USA appellierten am Mittwoch an China, seinen Einfluss in Myanmar geltend zu machen und die Putschisten zur Rechenschaft zu ziehen. Bisher hat sich China allerdings zurückgehalten und lediglich Stabilität gefordert, während westliche Staaten den Umsturz durch die Militärs verurteilt haben.

Chinas Botschafter bei den Vereinten Nationen, Zhang Jun, sagte bei der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates: „China hofft, dass Myanmar den Frieden, die Stabilität und die verfassungsmäßige Ordnung baldmöglichst wiederherstellt und den demokratischen Übergang vorantreibt.“

Sanktionen lehne Peking jedoch ab, sagte der Botschafter und erklärte, dass „einseitiger Druck und die Forderung nach Sanktionen“ die Spannungen lediglich „verschlimmern“ würden. Sollte Myanmar in anhaltenden Unruhen versinken, wäre dies eine „Katastrophe für das Land und die gesamte Region“.

Die demokratischen Kräfte in Myanmar kündigten unterdessen die Aufhebung der umstrittenen Verfassung aus dem Jahr 2008 an. Die Generäle hatten sich darin automatisch 25 Prozent der Parlamentssitze sowie wichtige Ministerposten gesichert. Das Komitee aus gewählten Abgeordneten CRPH (auf Deutsch etwa: Das das Parlament repräsentierende Komitee) kündigte nun auf Facebook an, dass die Verfassung mit dem Datum 31. März 2021 außer Kraft gesetzt sei.

Ob dieser Schritt konkrete Folgen für die aktuelle Lage haben kann, war zunächst unklar. Das CRPH ist ein Untergrundkabinett, das von Mitgliedern der Partei Nationale Liga für Demokratie der festgesetzten Regierungschefin Suu Kyi gegründet wurde, um die demokratischen Reformen nach dem Umsturz weiter voranzutreiben.

Die Verfassung war nach einer fast 50 Jahre dauernden Militärdiktatur von der damaligen Junta im Zuge erster demokratischer Reformen aufgesetzt worden. Ohne das Militär waren auch Verfassungsänderungen nicht möglich. Wegen einer anderen Klausel konnte Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regierte in den vergangenen fünf Jahren als Staatsrätin und somit De-Facto-Regierungschefin das Land. Die Verfassung gilt als größtes Hindernis für echte Reformen in dem südostasiatischen Land.

Nachdem die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi die Parlamentswahl im November mit der NLD erneut mit klarer Mehrheit gewonnen hatte, soll das Militär um seine Machtposition gefürchtet haben, sagen Beobachter. Die Armee sprach von Wahlbetrug und putschte sich an die Macht.

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