Literatur

Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“: Im „Bleimantel des Schweigens“

In den Sammlungen europäischer Museen befinden sich Tausende in der Kolonialzeit in Afrika erbeutete Artefakte.
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Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist die wichtigste Stimme in der Debatte um die Rückgabe afrikanischer Beutekunst. In ihrem neuen Buch zeichnet sie die „Geschichte einer postkolonialen Niederlage“ nach.

Von Joachim Leitner

Innsbruck – Die Comic-Verfilmung „Black Panther“ (2018) beginnt mit einem Diebstahl. Er werde ihr eines der afrikanischen Exponate abnehmen, kündigt der Filmschurke Killmonger an. „Das Werk steht nicht zum Verkauf“, erwidert die Direktorin der ethnologischen Sammlung. Darauf Killmonger: „Wie glauben Sie, sind Ihre Vorfahren an das Ding gekommen?“ Er schnappt sich das axtähnliche Artefakt, der Film beginnt – und die Debatte um die Restitution von in der Kolonialzeit geraubter Kunst erreichte wenigstens für einige Augenblicke den Mainstream der Popkultur.

Dass sie nicht neu ist, zeigt die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in ihrem neuen Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“. „Jedes Gespräch, das wir heute über die Restitution von Kulturgütern nach Afrika führen, fand vor fast 40 Jahren schon einmal statt“, schreibt sie.

Bénédicte Savoy.
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Seit den 1960er-Jahren gibt es Restitutionsforderungen der gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten. Fast das gesamte Kulturgut Afrikas, vor allem jenes südlich der Sahara, befindet sich in europäischen Museen – gut eine Million Objekte. Die so genannten Benin-Bronzen zum Beispiel wurden 1897 bei einer britischen „Strafexpedition“ im heutigen Nigeria erbeutet. Die Gegenstände gelangten über Hehler in europäische Museen. Allein in Berlin befinden sich mehr als 500 Bronzen. Auch die Sammlung des Weltmuseums Wien umfasst ein Dutzend Objekte, die – laut Anfragebeantwortung des Kulturministeriums – „eindeutig im Zusammenhang mit dem kolonialen Krieg von 1897“ nach Europa gelangt sind. Seit 1972 gibt es ein offizielles Ansuchen, die Werke als Dauerleihgaben nach Nigeria zurückzubringen. Wirklich beantwortet wurde es nie. Savoy spricht von einem „Bleimantel des Schweigens“, der um die Frage gelegt wurde – und von Hinhaltetaktik mit den immergleichen Argumenten. Besonders beliebt war der paternale Hinweis auf die vermeintliche Unfähigkeit afrikanischer Konservatoren, die Artefakte fachgerecht zu lagern. Letztlich verliefen die Gespräche im Sand, schreibt Savoy: „Sie wurden vergessen oder besser gesagt: erfolgreich verdrängt.“

Die Provenienz völkerkundlicher Bestände sei ein „relativ neues Thema“, erklärte Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2017. Bénédicte Savoy straft ihn Lügen: Die Debatte über Dekolonisierung von Museumsbeständen wurde absichtsvoll verschleppt.

Sie ist seit Jahren das große Thema von Bénédicte Savoy. 2018 erarbeitete die in Berlin lebende und am renommierten Pariser Collège de France lehrende Kunsthistorikerin mit dem senegalesischen Soziologen Felwine Sarr im Auftrag von Frankreichs Staatspräsidenten Emanuel Macron einen „Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“. Ihr Fazit kann seit 2019 auch auf Deutsch nachgelesen werden: Unter dem Titel „Zurückgeben“ fordern Savoy und Sarr, dass „Objekte, die bei militärischen Aktionen erbeutet wurden, durch Expeditionen oder Schenkungen von Kolonialbeamten in Museen gelangten, so bald wie möglich restituiert werden sollen“. 2020 verabschiedete Frankreichs Regierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Wirklich weitergegangen ist seither aber wenig.

Macrons Vorstoß wurde gerade in Deutschland breit diskutiert. Dort hatte Bénédicte Savoy 2017 für Schlagzeilen gesorgt. Aus Protest gegen den zögerlichen Umgang mit den kolonialen Aspekten der eigenen Sammlung trat sie aus dem Expertenbeirat des entstehenden neuen Humboldt-Forums in Berlin aus. Die Benin-Bronzen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war als zentraler Teil des rund 680 Millionen teuren Museumsneubaus geplant. Vom ursprünglichen Vorhaben distanzierte sich die Museumsleitung inzwischen, die Aufstellung soll neu konzipiert werden. Ende 2020 wurde das Prestigeprojekt Corona-bedingt virtuell eröffnet. Der Verbleib der Benin-Bronzen wurde mit keinem Wort erwähnt. Deutschlands Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat zuletzt einen Museums-Gipfel zum Thema koloniales Raubgut angekündigt.

In Österreich kam das Thema 2019 auf die politische Agenda. Im kolonialkritisch umgebauten Weltmuseum wurde auf Einladung des Bundeskanzleramts über „Das Museum im kolonialen Kontext“ diskutiert. Als Vertreter der Übergangsregierung sprach sich der damalige Justizminister Clemens Jabloner für die Restitution belasteter Objekte aus – und äußerte den Wunsch, künftige Verantwortungsträger mögen das Thema vorantreiben. Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist die Etablierung „postkolonialer Provenienzforschung“ angedacht.

Konkret mit dem Thema konfrontiert ist ab Sommer Jonathan Fine. Der Berliner Provenienzforscher wird neuer Direktor des Weltmuseums. Fine ist postkolonialer Praktiker und Mitglied der Benin Dialogue Group. Zu den Zielen der multinationalen Arbeitsgruppe zählt die Schaffung eines Museums im Südwesten Nigerias. Dort sollen jene Kunstwerke ausgestellt werden, die derzeit in Sammlungen in der ganzen Welt verstreut sind.

Sachbuch Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. C. H. Beck, 256 Seiten, 24,70 Euro.