Wiener Atomgespräche wieder aufgenommen
Die Wiener Gespräche zur Rettung des Iran-Atomdeals sind am früheren Donnerstagnachmittag nach mehreren Tagen Pause wieder aufgenommen worden. Die Zusammenkunft zwischen iranischen und europäischen Diplomaten wurde von der diese Woche verkündeten Entscheidung Teherans überschattet, künftig Uran zu 60 Prozent anzureichern, was als wesentlicher Schritt zum Bau einer Atombombe gesehen wird. In Wien sollte nach Wegen für eine Rückkehr der USA zum Atomdeal gesucht werden.
„Es wird ein sehr hartes Treffen. Unsere Position ist klar. Wie unser Führer (Ayatollah Ali Khamenei) gestern sagte, können wir nicht ewig verhandeln“, sagte ein führender iranischer Diplomat im Vorfeld der Sitzung in einem Wiener Innenstadthotel gegenüber iranischen Medien. Ein führender westlicher Diplomat sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters, dass die jüngsten iranischen Aktionen „dem Prozess geschadet und die Spannungen erhöht“ hätten.
Die Sitzung der Kommission zur Umsetzung des Wiener Atomdeals wurde vom Vize-Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Enrique Mora, geleitet. Die iranische Delegation führte Vize-Außenminister Abbas Araqchi, der am gestrigen Mittwoch auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Wien getroffen hatte. Aus EU-Diplomatenkreisen verlautete gegenüber der APA, dass nicht absehbar sei, wie lange die Sitzung dauern werde. Beobachter hatten im Vorfeld auch ein Scheitern der in der Vorwoche begonnenen Gespräche nicht ausgeschlossen. Vor dem Hotel demonstrierte eine Gruppe von iranischen Regimegegnern gegen die Mullahs.
Außenminister Schallenberg sah die Verhandlungen unter besonderem Zeitdruck. „Es ist vielleicht der letzte diplomatische Rettungsversuch“, sagte Schallenberg am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal vor der Fortsetzung der indirekten Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran in Wien. Es gebe nämlich nur ein „enges Mondfenster“ für die Gespräche. „Denn wir müssen in Wirklichkeit einen Deal finden bis Mai.“
„Der Druck auf beiden Seiten ist enorm, und sie wissen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen und dass die Uhr merklich und laut tickt“, betonte Schallenberg mit Blick auf die iranischen Präsidentenwahlen im Juni und die mit Ende Mai befristeten Aktivitäten der internationalen Atomwächter im Iran. In seinen Gesprächen mit beiden Seiten habe er den Eindruck gewonnen, dass „wirklich ein Bemühen da ist“ und man sich „der Verantwortung bewusst“ sei. Er wertete es als positiv, dass Vertreter der USA und des Iran in Wien seien, auch wenn die Europäer zwischen ihnen „stille Post spielen“ müssten.
Auf die Frage nach den Erfolgsaussichten der Gespräche sagte Schallenberg, er sei „notgedrungen optimistisch“. „Alles andere wäre eine mittlere Katastrophe“, warnte der Außenminister vor einem nuklearen Wettrüsten in der Golfregion, die auch massive Auswirkungen auf die Sicherheit Europas und Österreichs hätte. Schallenberg verteidigte in diesem Zusammenhang auch das Atomabkommen, das zwar „nicht perfekt“ sei, etwa, indem es zeitlich begrenzt sei und das iranische Raketenprogramm nicht umfasse. „Besser ein Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“, sagte Schallenberg mit Blick auf Einschätzungen, wonach der Iran die „Breakout Time“ (die Zeit zum Bau einer Atombombe) in den vergangenen Jahren auf wenige Monate verkürzt habe.
Anders als die USA und die europäischen Vertragsparteien Deutschland, Frankreich und Großbritannien vermied der Außenminister scharfe Kritik an der jüngsten Entscheidung des Iran, die Uran-Anreicherungsaktivitäten massiv zu verstärken. Es handle sich dabei um „eindeutige Abweichungen“ nicht nur vom Atomdeal, sondern auch von den Verpflichtungen Teherans gegenüber der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO/IAEA) in Wien, formulierte Schallenberg. Zugleich bezeichnete er es als „normal und verständlich“, dass beide Seiten Aktionen setzen, „die auch für die Innenpolitik gedacht ist“. Es sei „ein bisschen wie in einem Pokerspiel“, so Schallenberg.
„Der wesentliche Punkt ist eigentlich die Abfolge und Verifikation“, erläuterte der Außenminister. Während die Iraner nämlich den Wunsch nach einer Aufhebung der Sanktionen hätten, gehe es andererseits darum, wie die Einstellung der Uran-Anreicherung möglichst schnell überprüfbar gemacht werden könne.
Teheran hat sich in den vergangenen zwei Jahren schrittweise von seinen Verpflichtungen aus dem Atomabkommen gelöst, nachdem die USA unter Präsident Donald Trump ihre Mitgliedschaft in diesem aufgekündigt hatten. Versuche der europäischen Vertragsparteien, den daraufhin verhängten US-Sanktionen zu trotzen, schlugen fehl. Trumps Nachfolger Joe Biden setzt wieder auf eine diplomatische Lösung des Atomkonflikts, doch spießt es sich zwischen Washington und Teheran an der Frage, welche Seite den ersten Schritt setzen soll.
Der JCPOA genannte Deal war im Sommer 2015 nach jahrelangen Verhandlungen von den UNO-Vetomächten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sowie Deutschland mit dem Iran in Wien abgeschlossen worden. In ihm stimmt Teheran einer strengen Überwachung und Begrenzung seines Atomprogramms zu, etwa einer Uran-Anreicherung nur bis vier Prozent. Im Gegenzug sollte das Land wirtschaftliche Erleichterungen erhalten. Für den Bau einer Atombombe ist auf 90 Prozent angereichertes Uran erforderlich.