Hundert Festnahmen bei Nawalny-Protesten in Russland

Die Menschen riefen zu Tausenden „Freiheit für Nawalny“ und forderten, dem in Haft schwer erkrankten 44-Jährigen ärztliche Hilfe zu leisten. Die Behörden hatten davor gewarnt, an den nicht genehmigten Protesten teilzunehmen. In der russischen Hauptstadt waren im Zentrum Tausende Menschen auf den Beinen, um Nawalny zu unterstützen. Viele forderten - wie in vielen Städten des Landes - den Rücktritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie werfen dem Kremlchef Unterdrückung Andersdenkender vor und riefen „Freiheit! Freiheit!“.

Die Proteste hatten im flächenmäßig größten Land der Ende zunächst im äußersten Osten an der Pazifikküste begonnen. Auch in Sibirien gingen Tausende auf die Straße. In St. Petersburg, der Heimatstadt des Kremlchefs, riefen viele Menschen „Putin ist ein Mörder!“, „Freiheit für politische Gefangene!“ und „Ein Arzt für Nawalny!“, wie der Internetfernsehsender Doschd zeigte.

Die Sicherheitskräfte verhielten sich zumindest in Moskau anders als bei den Protesten im Winter zunächst etwas zurückhaltender, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur an Ort und Stelle berichtete. Viele Straßen waren aber gesperrt im Zentrum. Zuletzt hatte es Tausende Festnahmen und massive Polizeigewalt gegen die Nawalny-Unterstützer gegeben.

Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch wurde laut ihrer Anwältin am Mittwochvormittag von Beamten in ihrem Hauseingang in Moskau aufgegriffen, als sie gerade einkaufen gehen wollte. Die Juristin Ljubow Sobol, ebenfalls eine Vertraute Nawalnys, wurde ihrem Anwalt zufolge von Polizisten aus einem Taxi gezerrt und weggebracht.

Videos aus Irkutsk zeigten eine große Menschenmenge, die „Freiheit für Alexej Nawalny“ rief und den Rücktritt von Präsident Wladimir Putin forderte. Dieser hatte kurz zuvor in Moskau seine Rede zur Lage der Nation gehalten. In Nowosibirsk gingen einem lokalen Medienbericht zufolge rund 4.000 Menschen auf die Straße.

Nawalnys Team hatte in mehr als 200 russischen Städten spontan Proteste angekündigt, weil sich der Gesundheitszustand des 44-Jährigen im Straflager massiv verschlechtert haben soll. Der Oppositionelle, der im vergangenen Sommer nur knapp einen Giftanschlag überlebte, klagt bereits seit längerem über starke Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in Arm und Bein. Aus Protest gegen mangelnde medizinische Versorgung ist er vor rund drei Wochen in einen Hungerstreik getreten.

In mehreren russischen Städten riegelten Behörden vor den geplanten Protesten die Stadtzentren ab. In der Hauptstadt Moskau wurden schon Stunden vor der für den Abend geplanten Demo auf zentralen Plätzen Absperrgitter aufgestellt. Zuvor hatte die Stadt eindringlich vor einer Teilnahme an den nicht genehmigten Kundgebungen gewarnt.

Anfang des Jahres waren bei ähnlichen Protesten russlandweit Tausende Nawalny-Unterstützer festgenommen worden. Das harte Vorgehen der russischen Behörden war damals international teils heftig kritisiert worden. „Wie üblich meinen sie, dass es keinen Protest geben wird, wenn sie die ‚Anführer‘, isolieren“, sagte Leonid Wolkow, ein enger Vertrauter Nawalnys. „Das ist natürlich falsch.“ Ein anderer Nawalny-Anhänger twitterte: „Im Moment werden in ganz Russland potenzielle Demonstranten verhaftet. Das ist Unterdrückung. Das kann nicht akzeptiert werden. Wir müssen gegen diese Dunkelheit kämpfen.“

Die Grüne-Sprecherin für Außenpolitik und Menschenrechte, Ewa Ernst-Dziedzic, verurteilte die Vorgänge. „Nicht genug damit, dass der Kreml Oppositionelle mithilfe einer willfährigen Justiz zum Schweigen bringen will, er will auch jene mundtot machen, die ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen und ihren Unmut gegen diese schreiende Ungerechtigkeit öffentlich kundtun“, erklärte Ernst-Dziedzic in einer Aussendung: „Wer die Legitimität von Präsident Putin in Frage stellt, den trifft die volle Härte des Staatsapparats. Mit Eisenstäben und Knüppeln wird es dem Langzeitherrscher auf Dauer aber nicht gelingen, die gesellschaftlichen Dissonanzen verstummen zu lassen.“