„Surviving Gusen“ zeigt Spuren verschütteter Geschichte

Nur wenig erinnert in der beschaulichen Mühlviertler Landschaft heute noch an die Existenz des ehemaligen KZ Gusen. Gerald Harringer und Johannes Pröll legen in ihrer Dokumentation „Surviving Gusen“ die verschüttete Geschichte frei. Der Film - eine Rückblende von der heutigen Vorgartenidylle ins Grauen der Geschichte - läuft als Eröffnungsstreifen in der Local-Artists-Schiene des am 1. Juni beginnenden Filmfestivals Crossing Europe. Der Kinostart ist im Juni geplant.

Obwohl das KZ Gusen ein Nebenlager von Mauthausen war, war es zeitweise sogar größer als das Stammlager. Mindestens 71.000 Menschen wurden allein in Gusen gefangen gehalten, rund die Hälfte davon ermordet. Unter enormem Blutzoll mussten Häftlinge eine unterirdische Stollenanlage errichten, in der die Nazis unter dem Decknamen „Bergkristall“ eine geheime Rüstungsproduktion betrieben. Während das Kerngelände des KZ Mauthausen 1947 der Republik Österreich übergeben und zu einer Gedenkstätte wurde, geriet Gusen zunehmend in Vergessenheit.

Heute ist nicht mehr viel von dem ehemaligen Lager zu sehen. Wo einst Baracken standen, sind nun Einfamilienhaussiedlungen, viele Strukturen folgen nach wie vor dem Lauf der einstigen Lagerstraßen. Zwar gibt es eine kleine Gedenkstätte, aber erst in jüngerer Vergangenheit wurden vermehrt Bemühungen unternommen, dem Gedenken in Gusen einen angemesseneren Stellenwert zu geben. Erst vor wenigen Tagen hat Österreich den Ankauf zentraler Teile des ehemaligen KZ fixiert.

„Surviving Gusen“ begibt sich auf Spurensuche in der Region rund um Langenstein, St. Georgen an der Gusen und Mauthausen. Gerald Harringer und Johannes Pröll versuchen wie auf einem Blatt Papier, die ausradierte Geschichte in der Landschaft wieder sichtbar zu machen. Sie haben keine klassische Doku mit Erklärtext gestaltet, sondern einen beklemmenden collageartigen Bilderreigen: Aktuelle Aufnahmen der rauen, aber recht friedlichen und idyllischen Landschaft werden überblendet mit alten Aufnahmen in schwarz-weiß. Maria Hofstätter und Peter Simonischek lesen Zeitdokumente, drei Überlebende erzählen ihre Geschichte - viele Bilder entstehen erst beim Betrachter.

Eine biedere Einfamilienhaussiedlung - Schüsse knallen durch die Gassen. Verschneite Waldwege, die zum Walken einladen - einst führten hier Todesmärsche vorbei. Am Bahnhof in Mauthausen warten heute Pendler - einst stapelten sich dort gefrorene Leichen in Viehwaggons. Das Jourhaus, einst Haupteingang in das Lager Gusen I - heute eine gepflegte Villa, damals wartete der Gefängnis-“Bunker“ im Keller, heute zieren es kunstvoll geschnittene Pflanzen im Vorgarten. Überblendungen zeigen Rückblicke in die grauenvolle Geschichte des Gebäudes, die Übereinstimmung der architektonischen Strukturen und der hohe Wiedererkennungsfaktor machen Gänsehaut.

Eine subjektive Fahrt durch die Stollenanlage, die Häftlinge mit Spitzhacken und Schaufeln in das Gestein getrieben haben - jeder Meter forderte einen Toten - lässt ansatzweise erahnen, wie die Gefangenen den täglichen Weg unter Tage - wann wird es der letzte sein? - empfunden haben müssen. Auch ohne historische Aufnahmen dieser grausigen Arbeitswelt sieht man förmlich die dampfenden Salpeterkessel und spürt das Ausgeliefertsein der Gefangenen. „Mein einziger Widerstand war, zu versuchen am Leben zu bleiben“, sagt im Film einer, dem diese Widerständigkeit gelungen ist.

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