Jubel um Shakespeare-Abend auf der Halleiner Perner-Insel

„It‘s my way - or the highway!“ deklariert Richard - und meint damit: Wer bei mir nicht einsteigt, wird Freiwild, überrollt und überfahren, zu blutigem Brei zermanscht. Lina Beckmann kann als Richard III. auf der Bühne der Perner-Insel nach Belieben aufs Tempo drücken, Notbremsungen einleiten und die abruptesten Kurswechsel unternehmen - ins Schleudern kommt sie nie. Für sie wurde „Richard The Kid & The King“ bei der Salzburger-Festspiel-Premiere am Sonntagabend ein Triumph.

Die vierstündige Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus ist eine Unternehmung, die den Maßstab an zwei legendäre Festspiel-Inszenierungen legt: Giorgio Strehlers „Spiel der Mächtigen“ brachte 1973 Shakespeares Trilogie „Heinrich VI“ an zwei aufeinanderfolgenden, vielstündigen Abenden in die Felsenreitschule. 1999 wurden Shakespeares Rosenkriege durch Tom Lanoye und Luk Perceval auf der Perner-Insel zum zwölfstündiger Theatermarathon namens „Schlachten!“. Von damals sind an dem jetzigen, auf den Königsdramen „Richard III.“ und „Heinrich VI.“ basierenden Abend auch Texte von Tom Lanoyes „Eddy the King“ eingearbeitet.

Die immer wieder zwischen Englisch und Deutsch wechselnde Aufführung spielt auf einer großen, schwarzen, leicht schief gestellten Scheibe. Darüber hat Bühnenbildnerin Katrin Brack eine Vielzahl von sich auf- und abbewegenden, ihre Farbe gelegentlich wechselnden Leuchtkugeln in unterschiedlicher Größe gehängt - ein Effekt, an dem man sich rasch sattsieht, und der für die Handlung ohne Belang ist. Die Inszenierung von Karin Henkel käme auch ganz ohne Bühnenbild aus. Sie konzentriert sich ganz auf die Darsteller und reduziert das dafür notwendige Ensemble radikal. Neben Lina Beckmann als Richard, den Titelhelden, braucht es bloß acht Schauspieler und ein paar Statisten, um den skrupel- und gnadenlosen Aufstieg des gekränkten, gehänselten und ungeliebten York-Sohnes zum gefürchteten König zu illustrieren.

Kate Strong legt intensive Auftritte als Richards Mutter, die schon bei der Geburt den Sohn am liebsten ungeboren machen würde, und als Richards Bruder Edward hin, Bettina Stucky ist Bruder George und Königin Elisabeth, um die Richard quasi aus dem Blutbad heraus werben wird - wie er es schon zuvor bei Lady Anne praktizierte. Diese spielt Kristof Van Boven in gelben Kleidern und mit scheuen Gesten - und dazu gleich noch alle weiteren Mitglieder aus dem Hause Lancaster. Denn Geschlechterzugehörigkeit ist an diesem Abend gar nicht von Belang. Und Lina Beckmann, die 2017 hier ebenfalls unter Henkels Regie Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“ verkörpert hat, ist ein großartiger Richard.

Es ist ein Abend der Schauspiel- und der Verstellungskunst. Beckmann wendet sich immer wieder direkt ins Publikum, erklärt die Vorhaben und mögliche Triebkräfte ihrer Figur. Eher lästig sind ihr die Attribute des „Krüppelrichard“, sein Buckel, sein steifes Bein, seine Verwachsungen und Verkrümmungen. Manchmal deutet sie diese beiläufig an, einmal schnallt sie demonstrativ und vorübergehend ihre Handicaps auf, aber lieber beschäftigt sie sich mit dem, was sie selbst als Schauspielerin kann oder nicht kann. „Fuck - der S-Fehler verhaut mir noch alles“, flucht sie nach einigen demonstrativen Sprach-Stolperern, und fügt sofort hinzu: „Aber ich kann lächeln - und beim Lächeln morden!“

Der politische Aufstieg Richards ist eine Theaterkarriere, bei der sich der Protagonist immer wieder selbst für besonders gelungene Szenen lobt, manche zu dick aufgetragene Lüge tadelt oder die Übernahme der Krone gemeinsam mit Lord Buckingham (Paul Herwig) probt, ehe die beiden mit „Toi-Toi-Toi“ - „Wird schon schiefgehen“ zu ihrer Schmierenkomödie aufbrechen. Beckmann schafft es immer wieder aktuelle politische Töne einzubauen, die Verlogenheit heutiger Politik auszustellen („Ich bin ja ein Teamplayer durch und durch! Kommunikation auf Augenhöhe!“), einer Wache bei eindeutiger sexueller Belästigung unbemerkt seine Waffe abzunehmen, mehrmals Donald Trumps Wahlspruch „Grab her by her pussy“ einzubauen und vor allem immer wieder nahtlos vom weinerlichen, missverstandenen, angeblich dauerdiskriminierten Außenseiter zum brutalen Mörder umzuschalten. Und sie zeigt mehrmals, wie lange es dauert, das Gewissen auszuschalten. Einfach langsam bis zwanzig zählen.

Gegen Ende geht dem Abend leider die Luft aus. Dass Richard, der eben noch mit einem Elvis-Presley-Playback seine nächste Brautwerbung absolviert hat, plötzlich ein Sturmgewehr in der Hand hat und Lord Stanley (Michael Weber) sowie Ratcliff und Catesby (Alexander Maria Schmidt und Sachiko Hara) umnietet, wirkt bemüht, das plötzliche Reißen seiner Mord- und Glückssträhne unplausibel. Dafür lässt sich Henkel nicht entgehen, dass 2012 unter einem Parkplatz in Leicester die Gebeine des historischen Richard III. entdeckt wurden und rekonstruiert auf der Bühne die gegen ihn in seiner letzten Schlacht geführten tödlichen Streiche. Es sind zwanzig. Dass heute Historiker übrigens davon ausgehen, dass Richards schlechter Ruf zumindest teilweise auf eine gegen ihn geführte Schmutzkampagne der Tudor-Herrscher zurückgeht, bleibt unerwähnt.

Am Ende wurde das Team lange, anhaltend und mit stehenden Ovationen gefeiert, Lina Beckmann zu Recht umjubelt. Aufführungen in Hallein stehen noch bis 5. August auf dem Programm. In Hamburg wird „Richard The Kid & The King“ am 3. September herauskommen.

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