Überfrachtet: „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen

Man kann nicht behaupten, dass man beim neuen Salzburger „Don Giovanni“ zu wenig geboten bekäme. Im Gegenteil: Die vierstündige Arbeit, die es am Montag im Großen Festspielhaus das erste Mal zu sehen gab und bis 20. August noch fünfmal auf dem Programm steht (es gibt noch Restkarten), bietet mindestens zwei Inszenierungen zum Preis von einer: eine Rätselrallye durch die Kunstgeschichte und ein Bewegungstheater für großes Frauenensemble. Dazu Sängerleistungen auf hohem Niveau.

Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis waren mit viel Vorschusslorbeeren ins Rennen gegangen. Von einem „Dreamteam“ sprach nicht nur Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler, „einen der allerungewöhnlichsten ‚Don Giovannis‘, die man überhaupt erlebt hat“, hatte Intendant Markus Hinterhäuser angekündigt. Letzteres stimmt wohl. Gänzlich glücklich wird man jedoch nicht mit ihm. Hatte Castellucci 2018 für seine „Salome“ ein klares und in jeder Sekunde schlüssiges Konzept der Reduktion auf einige wenige rätselhafte Zeichen gehabt, überfrachtet er den „Don Giovanni“ nun mit einer Fülle von Einfällen, von denen manche banal, andere überkompliziert wirken. Hatte Currentzis 2017 bei seinem Festspiel-Debüt mit „La Clemenza di Tito“ elektrisiert und die Tempi bis zum Zerreißen gespannt, so wirkt dieser vom musicAeterna Orchestra dargebotene Mozart verhalten, weich gezeichnet und wohltemperiert. Dieser „Don Giovanni“ zielt auf ein größeres Ganzes - was ihn freilich viel Schwung kostet.

Der Abend beginnt mit einem längeren stummen Vorspiel vor der Ouvertüre: Ein Trupp italienischer Arbeiter räumt einen großen Kirchenraum aus. Was an die Dom-Umbaupläne von „Jedermann“ Tobias Moretti in der alten Sturminger-Inszenierung erinnert, ist die Inbesitznahme und Profanisierung geweihten Bodens durch den Sünder Don Giovanni. Das Kreuz muss weg. An seiner Stelle wird ein Basketballkorb aufgehängt. Überhaupt rollen und hüpfen etliche Basketbälle durch diese Inszenierung. Vor allem aber kommt einiges von hoch oben: Um Don Giovanni zu charakterisieren, landet krachend ein nobler Sportwagen im Kirchenschiff. Für den Komtur, den Vater der von ihm bedrängten Donna Anna, tut‘s ein Rollstuhl. Später knallt ein veritabler Flügel zu Boden. Ein schweres Kopiergerät oder eine große Totenkutsche lässt Castellucci dann doch an Stahlseilen befestigt langsam herabschweben - man will ja nicht das ganze Ausstattungsbudget an einem einzigen Abend verpulvern...

Für jede Szene und Zwischenszene hat sich Castellucci kunsthistorische Anspielungen oder kleine Installationen einfallen lassen. Auch Tiere haben es ihm angetan. Neben Dürers „Feldhasen“ gibt es eine leibhaftige Ziege, zwei weiße Pudel und eine dressierte Ratte, die bei der Premiere prompt ausbüxen will und rasch wieder eingesammelt wird. Mal wird rasch ein Fließband zur Apfelverarbeitung aufgebaut, mal ein kleiner Kubus reingeschoben. Am ärgsten hat es Don Ottavio erwischt, der - keiner weiß wieso - zunächst wie ein Polarforscher, später wie ein verrückter König mit Hang zur Großskulptur ausstaffiert ist. US-Tenor Michael Spyres antwortet mit dem einzig möglichen Gegenargument: seiner Stimme. Von den Männerpartien ist er der makelloseste und zu Recht umjubelt.

Für den italienischen Bariton Davide Luciano als Don Giovanni und Vito Priante als seinen Diener und optischen Doppelgänger Leporello gilt das nur mit Abstrichen. Beide singen ordentlich, ohne wirkliche Strahlkraft zu entwickeln. Der Erfolg dieser Titelfigur liegt sicher auch nicht in seinem Charisma, eher in der Skrupellosigkeit, jederzeit mit dem größten Selbstbewusstsein schamlose Lügen verbreiten zu können. Auf ausgefeilte Psychologie zwischen den Figuren setzt diese Inszenierung in den ganz konventionellen Figurenarrangements ohnedies nicht. Castellucci geht es um starke Bilder. Um Erinnyen, die an Elviras Seite den Verführer bedrängen; um nackte, schwangere Doppelfiguren zu den von ihm Verführten: um ein Skelett, das sich an Don Giovannis Hosenbein heftet; um eine Zivilisations-Schutthalde am Ende des ersten Aktes. Und um die Frauen.

Es ist wohl kein Zufall, dass Nadezhda Pavlova als Donna Anna, Anna Lucia Richter als Zerlina und Federica Lombardi als Donna Elvira deutlich mehr Gelegenheit bekommen, sich stimmlich und spielerisch zu entfalten. Sie sind die mit dem Vergrößerungsglas herangeholten Einzelschicksale aus jener Menge an Frauen, die den zweiten Akt beherrschen, in dem die Kirchenarchitektur meist von weißen Vorhängen zugehängt ist, wodurch ein White Cube entsteht. Der bereits im Vorfeld viel besprochene stumme Frauenchor aus 150 Salzburgerinnen kommt nicht etwa bereits bei der Registerarie ins Spiel, sondern erst bei Elviras Anklage gegen Don Giovannis Schändlichkeiten. Die Frauen sind durch ihre bloße Anwesenheit Zeuginnen dieser Anklage - von minderjährigen Mädchen bis zu gebeugten Alten. Das könnte in einigen starken Bildern die Handlung bis hin zum gesellschaftlichen Skandal im Umgang mit Frauen ausweiten - doch erneut verzettelt sich Castellucci. Er schwelgt in wiederholten Kostümwechseln und aparten Farbarrangements in Pastelltönen. In einer komplizierten Choreografie von Cindy Van Acker sind die Frauen ständig in Bewegung und lenken von der eigentlichen Handlung ab. Einzig Donna Anna gelingt es dabei, sichtbar Frauensolidarität zu wecken - wenngleich der feenhafte Sitzkreis um sie auch etwas unfreiwillig Komisches hat.

Es ist konsequent, wenngleich nicht sonderlich bildmächtig umgesetzt, dass diese wogende Frauenmasse schließlich auch die Rolle der Statue des Komturs übernimmt, die Don Giovanni zur Hölle schickt. Zurück bleiben erstarrte Gipsfiguren - ohne Sünde, aber auch ohne Leben, ohne Spaß und ohne Musik. Lang anhaltender Jubel für eine Inszenierung, die wohl für viel Diskussionsstoff sorgen wird.

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