„Tannhäuser“ geht in Bayreuth frisch ins zweite Jahr

Es gibt Regisseure, die lassen ihre Inszenierung Inszenierung sein, wenn sie die Premiere erst einmal hinter sich gebracht haben. Tobias Kratzer gehört nicht dazu. Der Regisseur des gefeierten Bayreuther „Tannhäuser“ von 2019 hat im zweiten Jahr der Produktion an ganz kleinen Stellschrauben gedreht, damit sie auch zwei Jahre nach der Premiere noch genau so frisch wirkt, wie sie ist.

Dafür nimmt er bei der Wiederaufnahme am Dienstagabend bei den Richard-Wagner-Festspielen auf dem Grünen Hügel die Corona-Maßnahmen aufs Korn - und ärgert den russischen Star-Dirigenten Valery Gergiev.

In einem Einspieler ist die Bayreuther Galerie mit Dirigenten-Porträts zu sehen. Vor dem Bild Gergievs steht ein Schild: „Komme etwas später“. Gergiev war im Premierenjahr 2019 Dirigent der Produktion - und damals dafür bekannt, dass er nicht immer ganz pünktlich zu den Proben erschien. Er habe „an allen vertraglich vereinbarten Proben“ teilgenommen, sagte Festspiel-Chefin Katharina Wagner damals - ließ aber offen, wie viele das waren. Zweimal sei er zu spät gekommen, räumte sie ein. Im Einspieler von 2019 stand noch Christian Thielemann im Fokus, der damalige Musikdirektor der Festspiele.

In einem weiteren eingespielten Film hält der Bulli, mit dem Tannhäuser (Stephen Gould) und Venus (Ekaterina Gubanova - hatte die Premiere 2019 noch verpasst, weil sie sich bei den Proben das Knie verletzt hatte) durch die Gegend fahren, an, damit alle Insassen auf das Coronavirus getestet werden können. „Frisch (negativ) getestet“ steht dann auf einem Aufkleber. 2019 gab es an dieser Stelle noch einen Seitenhieb auf die als Bayreuther „Biogasanlagen-Tannhäuser“ bekannt gewordene Inszenierung von Sebastian Baumgartner, die glücklicherweise inzwischen längst in Vergessenheit geraten ist.

Ganz anders als Corona: Die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele finden in diesem Jahr mit einem strengen Hygienekonzept statt. Nur die Hälfte der üblicherweise rund 2.000 Zuschauer ist zugelassen - und das auch nur, wenn sie negativ getestet, von Covid-19 genesen oder vollständig geimpft sind. Alle Mitarbeiter, Sänger und Regisseure müssen sich ebenfalls regelmäßig testen lassen. Ein Umstand, den Kratzer 2021 auf der Bühne nicht unerwähnt lassen will.

Auch in ihrem zweiten Jahr wird Kratzers von der Opernwelt 2020 als Aufführung des Jahres ausgezeichnete Inszenierung begeistert gefeiert. Wenige Buhs werden von lauten Bravo-Rufen niedergebrüllt. Viel Applaus gibt es auch für Dirigent Axel Kober, der in diesem Jahr statt Gergiev am Pult steht. Den meisten Jubel erntet Sängerin Lise Davidsen für ihre klare und stimmgewaltige Darstellung der Elisabeth.

Kratzers Version vom „Sängerkrieg auf der Wartburg“ ist angenehm unterhaltsam und kurzweilig inszeniert, was keineswegs leicht bedeutet. Er interessiert sich nicht für das überkommene Frauenbild und den klassischen Gegensatz zwischen Hure und Heiliger in Richard Wagners früher Oper, sondern nimmt die beiden gegensätzlichen Frauenfiguren als Symbole für unterschiedliche Lebens- und Kunstentwürfe, für Avantgarde und etablierte Kunst. Es ist ein ebenso humorvolles wie kluges und berührendes und künstlerisch unglaublich stimmiges Plädoyer für eine Aussöhnung von Pop- und Hochkultur - und Toleranz.

Dabei hat er in Jahr zwei der Produktion einen einschneidenden Ausfall wettzumachen: Er musste den britischen Travestiekünstler Le Gateau Chocolat und damit quasi das Gesicht der Inszenierung ersetzen, weil der wegen der Corona-Einreisebestimmungen nicht zu den Proben anreisen konnte. In den Einspielern, die einen großen Teil der Produktion ausmachen, ist er dennoch meist weiterhin zu sehen - und nicht seine Vertretung Kyle Patrick.

„Wir haben uns aber sehr bewusst entschieden, auch als ästhetisches und fast politisches Statement, ihn nicht grundlegend in den Videos zu ersetzen, sondern ihn auf der Bühne von einem anderen Künstler vertreten zu lassen, und die Videos zu belassen“, sagte Kratzer dem „Nordbayerischen Kurier“.

Le Gateau Chocolat, der seinen echten Namen ungern in den Medien lesen will, hatte vor zwei Jahren als erste schwarze Dragqueen der Festspiel-Geschichte Schlagzeilen gemacht und gesagt, er sehe seine Arbeit auf dem Grünen Hügel noch nicht getan. „Ob ich wiederkommen will, ist eine andere Sache. Ob ich wiederkommen muss: Ja, auf jeden Fall!“, sagte der Brite damals der Deutschen Presse-Agentur. „Meine Rolle ist es auch, eine Realität zu präsentieren, die für eine sehr lange Zeit nicht Teil dieses Hauses war.“

Der im britischen Brighton lebende Travestiekünstler hatte damals nach der Premiere das Publikum kritisiert, weil er einige Buhrufe abbekommen hatte. „Was buht Ihr da konkret aus?“, fragte Le Gateau Chocolat (Der Schokoladenkuchen). Er habe keinerlei Fähigkeiten zur Schau gestellt, sondern „nichts dargestellt als einen Lifestyle“.

Merken werden man sein Fehlen natürlich, sagte Kratzer dem „Kurier“. „Aber ich finde man muss es auch nicht verschleiern. Es ist ein spezielles Jahr mit speziellen Bedingungen. Und wir versuchen sehr offen damit umzugehen.“

Die Bayreuther Festspiele machen am Mittwoch Pause und gehen am Donnerstag (16.00 Uhr) mit der „Walküre“ weiter - einer konzertanten Aufführung, untermalt von einer Farbaktion des als „Blutkünstler“ bekannt gewordenen Österreichers Hermann Nitsch.

Verwandte Themen