Lilles Märchen scheint vorerst an sein Ende gekommen

Als Lille im vergangenen Mai Paris Saint-Germain dessen scheinbar unendlichen Ressourcen zum Trotz vom Thron gestoßen hatte, war Fußball-Frankreich tief beeindruckt. Coach Christophe Galtier hatte nach drei Jahren sein Werk vollbracht, mit einem verschworenen Kollektiv ohne große Stars das schier Unglaubliche geschafft. Doch das Märchen beim Mittwoch-Gegner Salzburgs in der Champions League (21.00 Uhr/live Sky) scheint vorbei.

Mit einer Topdefensive (die wenigsten Gegentore), starkem Pressing, u.a. einem brillanten Sturm-Oldie Burak Yilmaz und überschaubarem Kader (nur 21 Kicker wurden eingesetzt) ließ Lille das Starensemble von PSG hinter sich - auch, weil dieses schwächelte. Ironischerweise waren daran einige ehemalige PSG-Nachwuchskicker beteiligt: Mike Maignan, Boubakary Soumare, Timothy Weah und Jonathan Ikone - Letzterer kickte an der Seite des heutigen Salzburgers Antoine Bernede 2016 für PSG sechsmal in der Youth League. Goalie Maignan (AC Milan) und Mittelfeldmann Soumare (Leicester) sind seit Sommer Geschichte in Lille, genauso wie der Südfranzose Galtier, der nun OGC Nizza coacht. Und auch der relativ unscheinbare, aber exzellente Sportdirektor Luis Campos ist nicht mehr an Bord.

Jahrelang wusste kaum ein zweiter Club den entfesselten Transfermarkt so für sich zu nutzen wie die Nordfranzosen dank des Portugiesen Campos. Den in Wolfsburg gescheiterten Stürmer Victor Osimhen holte man 2019 für gut 20 Millionen Euro aus Charleroi und verkaufte ihn nur ein Jahr später für 70 Millionen an SSC Napoli weiter. Ähnlich Rechtsaußen Nicolas Pepe, der 2019 für rund 80 Mio. zu Arsenal wechselte. Seit Sommer 2018 stieg Lille aus dem Transferkarussell stets mit einem Plus und um insgesamt rund 210 Mio. Euro reicher aus. Bemerkenswert: Es ist eine Dimension, in der sich im selben Zeitraum auch Salzburg bewegte.

Und auch, wenn die eigene Akademie nicht Weltklasse am Fließband produziert, so hat sie doch schon mehrere große Namen hervorgebracht: Frank Ribery, Eden Hazard oder Benjamin Pavard, um nur drei zu nennen.

Galtiers Nachfolger Jocelyn Gourvennec hat jedenfalls ein schweres Erbe angetreten, das Versprechen der vergangenen Saison ist diesmal nicht einzulösen. Das zeigte schon der mühselige Saisonstart. Elf Punkte aus den ersten acht Partien bedeuten einen Rückstand von bereits 13 Zählern auf Leader PSG, immerhin gelangen zuletzt zwei Siege hintereinander. In der Königsklasse kamen die „Doggen“ zum Auftakt gegen Wolfsburg zuhause trotz halbstündiger Überzahl und einiger Chancen über ein 0:0 nicht hinaus.

Einen Umbruch erlebte der Club - allerdings schon in den Monaten vor dem Meistertitel - auch abseits des Platzes. Mitten in der Corona-Krise konnte Clubbesitzer Gerard Lopez seine Darlehen bei einer US-Fondsgesellschaft, die mittlerweile auch den AC Milan besitzt, nicht mehr zurückzahlen. Lopez verkaufte seine Anteile der Lillois an einen Investmentfonds aus Luxemburg, der wiederum nach dem Gewinn der Meisterschaft erst einmal mehrere Spieler ziehen ließ, um die Schuldenlast von über 150 Millionen Euro zu verringern. Lopez selbst stieg kurz darauf bei Girondins Bordeaux ein, während sein ehemaliges Team um den Anschluss ringt.

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