Hochrangige Migrationskonferenz in Wien
Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern von Flüchtlingen steht im Zentrum einer zweitägigen hochrangigen Migrationskonferenz des ThinkTanks ICMPD (Zentrum für Migrationspolitik) in Wien. Im Fokus der Diskussionen am Dienstag: Afghanistan. Die anwesenden Nachbarländer des krisengebeutelten Landes hatten dabei vor allem eine Botschaft an den Westen: Ihre Kapazitäten zur Flüchtlingsaufnahme seien ausgeschöpft.
Die bereits sechste „Vienna Migration Conference“ des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) steht im Zeichen von Migrationspartnerschaften. Es sei an der Zeit, „innovative Wege“ zu finden, um reguläre Migration zu beleben und sie „intelligenter und effektiver“ zu machen, sagte ICMPD-Direktor Michael Spindelegger in seiner Eröffnungsrede.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) warnte indes vor neuen Flüchtlingsbewegungen. Es seien „herausfordernde Zeiten“ in Sachen Migration, sagte Nehammer mit Blick auf mögliche Flüchtlingsbewegungen aus Afghanistan Richtung Europa nach der Machtübernahme der Taliban. Wichtig sei deren Versorgung in der Region, erklärte er einmal mehr unter Verweis auf die bereits große afghanische Community in Österreich. Doch sowohl die anwesenden Vertreter des Irans, Tadschikistans sowie der Türkei artikulierten deutlich, dass ihre Kapazitäten begrenzt bzw. bereits ausgeschöpft seien.
Der stellvertretender Außenminister Tadschikistans, Sharaf Sheralizoda, bezeichnete die Situation in Afghanistan und der Region als „extrem schwierig“. Sein Land sei mit „riesigen Herausforderungen“ konfrontiert, da die Kapazitäten zur Flüchtlingsaufnahme begrenzt seien und man aktuell bereits mehr als 15.000 Geflüchtete beherberge. Nur durch eine inklusive Regierung in Kabul könne Stabilität und Frieden sichergestellt werden, betonte Sheralizoda.
Auch der iranische Botschafter in Wien, Abbas Bagherpour Ardekani, zeigte sich angesichts der „sehr ernsten“ Lage in Afghanistan besorgt. Die Zahl afghanischer Flüchtlinge im Iran sei massiv gestiegen und solle eine „Warnung“ für jeden sein. Sein Land habe „mehr als den angemessenen Beitrag“ geleistet, jetzt seien andere Länder am Zug, um zu helfen. Gefragt, wie der Iran am besten bei der Versorgung der Vielzahl afghanischer Flüchtlinge von westlichen Staaten unterstützt werden könne, antwortete Ardekani, dass einerseits mehr finanzielle Mittel, aber auch Hilfe im Grenzschutz, notwendig seien.
Ähnlich auch Ahmet Muhtar Gün, ständiger Vertreter der Türkei bei den Vereinten Nationen in Wien: Die Kapazitäten der Türkei bezüglich Flüchtlingsaufnahme und -versorgung seien nicht nur überstrapaziert, sie seien gänzlich ausgeschöpft, betonte der Diplomat, der an die rund vier Millionen Syrer in der Türkei erinnerte. Zuvor von Nehammer geäußerte Kritik, die Türkei und Belarus (Weißrussland) würden die EU durch Migration erpressen, wies er vehement zurück. „Wir erpressen nicht, wir erinnern unsere Partner nur an ihre Verantwortung“, hielt Gün fest.
Nehammer hatte die „Erpressung“ mittels Flüchtlingen als inakzeptabel“ bezeichnet. Wir müssen in der EU solidarisch sein, wir müssen unsere Außengrenze gemeinsam schützen.“ Solidarität sei nicht nur ein Wort, man müsse auch handeln, so Nehammer.
Der Vorsitzende des Hohen Rates für nationale Versöhnung (HCNR) in Afghanistan, Abdullah Abdullah, der zwar nicht persönlich an der Konferenz teilnehmen konnte, aber virtuell Stellung bezog, rechnete indes weiterhin mit großen Auswanderungswellen. Das zeige sich schon jetzt, die große Abwanderung habe bereits stattgefunden bzw. finde derzeit statt, so Abdullah in einem Videostatement. Die aktuelle Situation sei sehr herausfordernd, er sei „sehr besorgt“. Vor allem humanitäre Hilfe für die verbleibende Bevölkerung sei „dringend“ notwendig, appellierte er an die internationale Gemeinschaft.
Diese solle deshalb auch mit den radikal-islamischen Taliban in Kontakt treten, auch wenn eine Anerkennung der Regierung freilich schwierig sei, räumte Abdullah ein, der auch von „überzogenen Erwartungen“ der Taliban an die internationale Gemeinschaft sprach. Zusammenarbeit sei aber vor allem für die afghanische Bevölkerung wichtig.
Die diesjährige Migrationskonferenz des in Wien ansässigen ICMPD steht unter dem Motto „Migrationspartnerschaften neu denken: Herausforderungen, Möglichkeiten und Strategien“. Sie findet nach dem coronabedingt reinen Online-Format im Vorjahr heuer in hybrider Form statt. Rund 1.000 Personen verfolgten die Konferenz online, 150 nahmen vor Ort, im Palais Niederösterreich in der Wiener Innenstadt, teil.
Gastgeber Spindelegger, früherer Vizekanzler und ÖVP-Chef, drückte zu Beginn der „Vienna Migration Conference“ (VCM) seine Hoffnung aus, Migrationspartnerschaften „auf die nächste Ebene“ zu heben. „Lassen Sie uns zusammen eine ambitioniertere, positivere Zukunft visualisieren“, appellierte er.
Am Nachmittag steht eine Diskussion des griechischen Migrationsministers Notis Mitarachi, des bosnischen Sicherheitsministers Selmo Cikotić und des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó zum Thema Partnerschaften zwischen Ländern entlang der Route im östlichen Mittelmeerraum mit den Westbalkan-Staaten auf dem Programm. Die Kommissarin für soziale Angelegenheiten der Afrikanischen Union (AU), Amira El Fadil, spricht über Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Transitländern.
Die 1993 gegründete Denkfabrik ICMPD mit rund 460 Mitarbeitern unterstützt Regierungen bei der Suche nach tragfähigen Lösungen für die mit Migration verbundenen Herausforderungen. Das Zentrum hat 19 Mitgliedsstaaten - als jüngstes Mitglied konnte erst kürzlich Griechenland gewonnen werden.