Der Hase mit den Bernsteinaugen als Star in New Yorker Schau

Eben erst war Edmund de Waal in Wien. Anlässlich seines bereits legendäres Buches „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, das bei der Aktion „Eine Stadt, ein Buch“ gratis verteilt wurde. Jetzt ist er in New York gelandet, wo nun am Freitag im Jüdischen Museum eine Ausstellung nach dem Buch eröffnet wird: „The Hare with Amber Eyes“. De Waal ist glücklich: „Es bedeutet mir einfach alles“, so der Brite zur APA.

„Die Netsuke sind von Japan nach Paris, von Paris nach Wien, von Wien nach Japan zurück, von Japan nach Großbritannien und von dort nach Wien zurück in unser Museum. Und jetzt sind sie hier, zum ersten Mal über den Atlantik gereist, und es ist fantastisch“, sagt die Direktorin des Wiener Jüdischen Museums, Danielle Spera, der APA. Vor über einem Jahrzehnt hat ihre Reise mit Edmund de Waal begonnen, als ihr sein Buch mit dem weißen Hasen auf dem Cover in die Hände fiel. Sie ist nach New York gekommen, wo jetzt auch viele Objekte gelandet sind, die einst im Jüdischen Museum in Wien im Rahmen von „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ ausgestellt waren.

Die Ephrussis waren einst einer der reichsten und mächtigsten Clans von jüdischen Geschäftsleuten in Europa. Das Herz der New Yorker Ausstellung bildet ihr Familienarchiv, das die Familie de Waal dem Museum in Wien geschenkt hat, sowie 170 Netsukes - zierliche, winzige, japanische Schnitzereien aus Holz oder Elfenbein, die dem Museum als Leihgabe von der Familie zur Verfügung gestellt wurden.

Alle sind sie jetzt hier, in Vitrinen auf der Upper East Side. Der Hase mit den Bernsteinaugen. Eine Japanerin, die in einem Fass badet. Viele Ratten auch. Eine hockt in einem Seil. Ein Affe, der einen Kürbis umklammert. Ein Wolf und eine Schildkröte. Eine Zikade auf einer Walnuss. Ein bärtiger Mann mit einem Schwein. Eine Maus, die sich in den Schwanz beißt.

„Es ist so außergewöhnlich, dass diese Ausstellung hier für einen neuen Ort neu erfunden werden konnte. Dies ist das erste Mal, dass dies in Amerika gezeigt wird, und natürlich ist Amerika der Ort, an den zwei meiner Großonkel aus Wien geflohen sind, Iggie und Rudolf. Es ist ein wichtiger Ort für mich“, erzählt de Waal im APA-Gespräch. Er ist ganz offensichtlich sehr gerührt. Seine Schau passt gut hierher. Jahrhundertelang war New York City für Einwanderer wie seine Familie das Tor in die USA. Mehr als drei Millionen New Yorker - fast jeder dritte - sind heute Einwanderer.

Es ist bemerkenswert, was für eine beschwerliche und faszinierende Reise dieser winzige Hase aus Elfenbein hinter sich hat. Und welche Geschichte er zu erzählen hätte, wenn er uns sagen könnte, was er alles gesehen hat auf seiner Reise. Der Cousin von de Waals Urgroßvater, Charles Ephrussi, kaufte eine Sammlung von 264 Netsuke in den 1870er Jahren in Paris. Er schenkte sie im Wien um die Jahrhundertwende den Urgroßeltern de Waals zur Hochzeit.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie dann von den Nazis enteignet. Das Hausmädchen Anna versteckte die Figuren in einer Matratze. Iggie, der Großonkel, nahm die Figuren in seine neue Heimat Tokio mit, wo sie einst vor über 100 Jahren entstanden waren. Sie landeten schließlich in England bei Edmund de Waal, den sie zum Schreiben seines berührenden Buches inspiriert haben. Sie wanderten dann nach zurück nach Wien - und sind jetzt in New York.

Aber die New Yorker Ausstellung ist anders konzipiert und orientiert sich eng an den Memoiren von de Waal. „Es ist ganz anders“, erzählt de Waal. „Diese Ausstellung folgt meinem Buch. Die in Wien war eher eine Kulturgeschichte der Familie in Wien. Genau das war für das Jüdische Museum in Wien richtig. Dies ist nun persönlich. Sie hören meine Stimme und sind auf einer Reise.“ Es gibt hier keine langen Wandtexte. Aufgenommene Passagen aus dem von de Waal gelesenen Buch werden die Ausstellung für Besucher, wenn sie von einem Display zum nächsten weitergeben, erklären.

Die Schau entfaltet sich in sechs Räumen im zweiten Stock der ehemaligen Warburg-Villa, in der das Jüdische Museum auf der Upper East Side untergebracht ist. Überall sind Vitrinen mit kleinen japanischen Figürchen. Ein Raum ist Paris gewidmet. Er stellt den Besuchern Charles Ephrussi als Sammler, Mäzen und Inspiration für Künstler von Pierre-Auguste Renoir bis Edgar Degas vor. In einem Raum sieht man an der Wand die 79 Figuren abgebildet, die im Jahr 2018 versteigert wurden, um mit dem Erlös Flüchtlinge zu unterstützen. Ein Raum folgt Edmund de Waals Großmutter Elisabeth und ihren drei Geschwistern, die in der Welt verstreut lebten.

Ein weiterer, Wien gewidmeter Raum, beleuchtet die Architektur des 19. Jahrhunderts wie das Palais Ephrussi und den Stadttempel. Ein riesiger Toraschreinvorhang von der Synagoge in Wien hängt an der Wand. Aber so prunkvoll das alles auch ist, die amerikanische Architektin der New Yorker Schau, Elizabeth Diller, wollte auch ein Gefühl von Leere und Verlust hervorbringen. Sie schickte den niederländischen Fotografen Iwan Baan auch nach Wien, um die Innenräume in der Gegenwart zu fotografieren, die heute in Büros und Einzelhandelsgeschäfte umfunktioniert wurden. Auf einer der großen Fotografien vom Palais Ephrussi steht am Fuß einer großen Marmortreppe eine Säule mit einem Spender für Händedesinfektionsmittel. Auch die Pandemie hat uns gezeigt, was Verlust bedeutet.

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