Deutscher Bundesrat beschließt Corona-Neuregelung
Mitten in der vierten Corona-Welle hat der Bundesrat in Deutschland neue Corona-Regeln beschlossen - aus Expertensicht müssen nun schnell schärfere Maßnahmen her. Die Bürger müssten rasch wieder ihre Kontakte reduzieren, forderten der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, und der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag eindringlich.
Allein mehr Impfen und Zutrittsregeln nur für Geimpfte und Genesene reichten nicht aus, sagte Wieler. „Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch. Das ist eine nationale Notlage. Wir müssen jetzt die Notbremse ziehen“, mahnte er.
Im Bundesrat stimmten die Länder am Vormittag nach langem Ringen doch einstimmig für das umstrittene, von SPD, Grünen und FDP vorgelegte Infektionsschutzgesetz. Damit kann 3G (Zutritt für Geimpfte, Genesene und Getestete) am Arbeitsplatz, in Bussen und Zügen vorgeschrieben werden - aber vorerst keine Ausgangsbeschränkung und flächendeckende Schulschließung mehr.
Ministerpräsidenten unionsgeführter Länder erneuerten ihre Kritik, der „Instrumentenkasten“ schränke die Möglichkeiten der Länder zu stark ein. Man stimme aber zu, um zu verhindern, dass Deutschland am Ende ganz ohne Rechtsgrundlage für Corona-Auflagen dastehe, sagten Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (beide CDU). Möglich machte das ein Kompromiss von Bund und Ländern: Das Gesetz soll bereits in drei Wochen evaluiert und gegebenenfalls nachgebessert werden.
Es beinhaltet unter anderem 3G-Vorgaben am Arbeitsplatz sowie in Bussen und Bahnen. Hier müssen Nachweise über Impfung, Genesung oder negativen Test vorgezeigt werden. Beschäftigte und Besucher in Pflegeheimen und Kliniken müssen generell Tests vorlegen. Außerdem kehrt die Homeoffice-Pflicht zurück. Weiterhin möglich sind auch Kontaktbeschränkungen, Vorschriften zum Abstandhalten, die Maskenpflicht und Zutrittsbeschränkungen nur auf Geimpfte und Genesene (2G).
Auf der anderen Seite aber sind flächendeckende Schließungen von Schulen, Kitas, Betrieben und Geschäften vorerst nicht mehr möglich. Auch Beschränkungen von Reisen, Übernachtungsmöglichkeiten und Schließungen von Restaurants sind mit dem neuen Gesetz tabu.
Das hält die Union für riskant. Es könne nicht sein, dass etwa die flächendeckendere Schließung der Gastronomie nicht mehr möglich sei, sagte Wüst. Außerdem dürfe die derzeitige Rechtsgrundlage für Corona-Auflagen, die „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“, nicht einfach auslaufen. Das sei ein „fatales Signal an die Bevölkerung“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Dieser Ausnahmezustand gibt den Landesregierungen bisher die Möglichkeit, auf einfachem Verordnungsweg weitreichende Maßnahmen zu ergreifen.
Wieler forderte angesichts der sich zuspitzenden Lage schnell ein schärferes Vorgehen. In vielen Regionen seien die Klinken und Intensivstationen am Anschlag. Die Bürger sollten daher wenn möglich zu Hause bleiben, Großveranstaltungen sollten abgesagt und die Personenzahl bei kleineren Veranstaltungen reduzieren werden. „Hotspots, wie schlecht belüftete Bars und Clubs“, sollten geschlossen werden.
Der RKI-Chef verglich die Lage mit einem Tanker, der auf eine Hafenmauer zufährt. „Wenn wir sofort mit aller Kraft gegensteuern, dann wird er noch eine Weile weiterfahren und die Hafenmauer vielleicht noch seitlich rammen. Er wird sie aber hoffentlich nicht mehr frontal einreißen. Wir alle müssen jetzt gegensteuern.“
Tatsächlich spitzt sich die Corona-Lage seit Wochen mehr und mehr zu. Zuletzt stieg die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz laut RKI auf 340,7 Infektionen pro 100 000 Einwohner. Vor einem Monat lag der Wert noch bei 75,1. Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI binnen eines Tages mindestens 52.970 Corona-Neuinfektionen - Zahlen aus Sachsen fehlten am Freitag aber zunächst. Innerhalb von 24 Stunden starben 201 Menschen.
Das Tempo bei den Impfungen nehme deutlich zu, sagte Spahn. In der vergangenen und dieser Woche seien jeweils vier Millionen Dosen ausgeliefert worden. Für die kommende Woche seien sechs Millionen Dosen von Praxen und anderen Impfstellen geordert worden. Nach einem Rückgang auf etwa 20.000 Praxen im Sommer beteiligten sich inzwischen wieder 45.000 Praxen an Impfungen. In der Hochphase waren es bis zu 75.000 gewesen. Trotzdem mahnte Spahn: „Allein mit Impfen, mit Boostern werden wir das Brechen der Welle, das wir kurzfristig brauchen, nicht mehr erreichen.“ Deutschland sei „in einer nationalen Notlage“.
Bund und Länder vereinbarten deshalb Einschränkungen vor allem für Ungeimpfte. Sie sollen keinen Zutritt zu Freizeitveranstaltungen, Gastronomie und Hotels mehr haben, wenn in dem Bundesland eine bestimmte Anzahl an Corona-Patienten ins Krankenhaus eingewiesen wird. Die meisten Länder reißen diesen Schwellenwert schon jetzt.
Hier gilt dann künftig 2G, also Teilnahme nur für Geimpfte und Genesene. Einige Länder haben die 2G-Regeln auch bereits unabhängig von der Krankenhaus-Belegung angeordnet. Wieler sagte allerdings, auch 2G-Regeln reichten nicht mehr aus, um die Welle zu brechen. Zusätzlich brauche es eine „massive Kontaktreduktion um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen“.
Die Bundesländer baten den Bund zudem, in bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kontakt zu besonders gefährdeten Personen haben. Der Bund wolle darüber in Kürze entscheiden, kündigte die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Auch die Kontrollen der Impf- und Testnachweise sollen verschärft werden.