Erste Gespräche zwischen Russland und Ukraine

Erstmals seit Beginn der aktuellen Spannungen um den massiven russischen Truppenaufmarsch nahe der Ukraine sind offizielle Vertreter beider Konfliktländer zu Gesprächen zusammengekommen. Ein Treffen auf Beraterebene fand am Mittwoch in Paris statt. Auch Frankreich und Deutschland nahmen an der Zusammenkunft im sogenannten Normandie-Format teil. Wie es aus Élysée-Kreisen hieß, geht es um humanitäre Maßnahmen und Zukunftsüberlegungen der Ukraine.

Außerdem wolle man ein Datum finden, an dem die Ukraine mit den kremltreuen Separatisten über einen Sonderstatus für die Region Donbass verhandelt. Die Ukraine lehnte dies bisher offiziell ab. Sie sieht Moskau und nicht die Separatisten als Verhandlungspartner. Westliche Staaten sind besorgt, Russland könne den Konflikt mit einem militärischen Einmarsch in die Ukraine eskalieren lassen. Moskau dementierte derartige Absichten.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte mit Blick auf die Gespräche im Normandie-Format die Bereitschaft des Westens zu einem „ernsthaften Dialog“ mit Russland. Zugleich beschwor die Grünen-Politikerin die Geschlossenheit des Westens. „Unsere stärkste Waffe ist und bleibt unsere Einigkeit“, sagt Baerbock vor einem Treffen mit dem niederländischen Außenminister Wopke Hoekstra in Berlin. „Wir müssen den Druck, den wir gemeinsam aufgebaut haben, wirken lassen.“ Hoekstra betont, eine weitere Aggression Russlands werde ernsthafte Konsequenzen haben.

Das ukrainische Präsidialamt begrüßte die Wiederaufnahme der Gespräche im sogenannten Normandie-Format. Das erste Treffen in dieser Zusammensetzung seit mehr als zwei Jahren sei „ein starkes Signal für die Bereitschaft einer friedlichen Lösung“, sagt der Chef des Präsidialamts in Kiew, Andrij Jermak. Er hoffe auf einen konstruktiven Dialog im Sinne der Ukraine.

Die Stärke der im Grenzgebiet zur Ukraine stationierten russischen Truppen sind nach Einschätzung der Regierung in Kiew bisher nicht ausreichend für einen Großangriff. Russland habe bedeutende Kräfte „entlang der Grenze und in besetzten Gebieten der Ukraine“ zusammengezogen, was „eine direkte Bedrohung“ darstelle, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Mittwoch. Doch „für eine groß angelegte Offensive entlang der gesamten ukrainischen Grenze“ reichten sie noch nicht aus.

Kuleba schloss nicht aus, dass Russland die Truppenstärke bald auf ein für einen Großangriff ausreichendes Niveau erhöhen könnte. Allerdings arbeite der Kreml vor allem an einer „Destabilisierung“ der Ukraine mit „Panikmache, Druck auf das ukrainische Finanzsystem und Cyberangriffen“. Russlands Präsident Wladimir Putin „wäre zufrieden, wenn dieser Plan aufginge und er keine militärische Gewalt anwenden müsste“, sagte der Außenminister.

Wie die USA hält unterdessen auch die britische Regierung direkte Sanktionen gegen Putin bei einer Invasion in die Ukraine für möglich. „Wir schließen nichts aus“, sagte Außenministerin Liz Truss am Mittwoch auf eine entsprechende Frage. Großbritannien könnte sich den USA anschließen. US-Präsident Joe Biden hatte am Dienstag direkte Strafmaßnahmen gegen Putin als denkbar bezeichnet. Ein russischer Einmarsch in die Ukraine wäre „die größte Invasion seit dem zweiten Weltkrief“ und würde die Welt verändern, sagte Biden.

Der Kreml wies indes die Drohungen zurück, Präsident Putin persönlich zu sanktionieren. Dies wäre politisch zwar destruktiv, für Russland aber nicht schmerzhaft, sagt der Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow in Moskau. Zudem hätten die Verantwortlichen in Washington nicht genug Expertise, solche Sanktionen zu verhängen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow betonte am Mittwoch in Moskau, der Westen müsse konstruktive Antworten auf die Sicherheitsbedenken seines Landes geben. Andernfalls werde seine Regierung angemessene Maßnahmen ergreifen. Er selbst sehe zudem in den diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Ukraine-Krise derzeit keinen Platz für die Europäische Union noch für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), so Lawrow.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warnte unterdessen einmal mehr davor, die geplante Ostseepipeline Nord Stream 2, die Gas von Russland nach Europa bringen soll, in mögliche Sanktionen gegen Moskau einzubeziehen. Nord Stream sei „nicht wirklich eine Drohkulisse“, sagte Schallenberg am Dienstag in der „ZIB2“. Die Pipeline sei noch nicht einmal in Betrieb. Man müsse auch sicherstellen, „dass die Sanktionen nicht zu einem Bumerang werden“. Schallenberg sieht in dieser Frage „enormen Konsens“ in der EU.

Die Drohkulisse einer möglichen russischen Invasion in die Ukraine bezeichnete Schallenberg als „leider Gottes sehr real.“ Es sei erschreckend, dass man „im Jahr 2022 wieder mit dem realen Risiko einer kriegerischen Auseinandersetzung auf den europäischen Kontinent rechnen“ müsse.