Schallenberg an Kontaktlinie in der Ostukraine

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat am Montag gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus der Slowakei (Ivan Korcok) und Tschechien (Jan Lipavsky) die umstrittene Donbassregion in der Ostukraine besucht. „Wir haben eine massive militärische Anspannung. Ich glaube aber weiterhin, dass das Ende des diplomatischen Dialogs nicht erreicht ist.“ Das sagte er bei einem Lokalaugenschein an der sogenannte Kontaktlinie zwischen ukrainischen Regierungstruppen und Separatisten.

„Die Kanäle laufen auf Hochtouren“, meinte Schallenberg im gegenüber österreichischen Journalisten. „Die Möglichkeiten liegen auf dem Tisch, es fehlt nur der diplomatische Wille. Es wird gefährlich gezündelt, wir müssen vom Gas runter.“ Es bedürfe eines Verhandlungsprozesses für eine Gesamtlösung, „um aus dieser bedrückenden Lage hinauskommen“.

Der gemeinsame Besuch sei ein Zeichen mitteleuropäischer Solidarität, sagte Schallenberg und erinnerte daran, dass die Westgrenze der Ukraine näher zu Wien liege als Vorarlberg. „Die Stabilität der Ukraine ist auch unsere Stabilität.“

Bezüglich einer möglichen Bedrohung der Ukraine durch Russland sagte Schallenberg zudem, es gehe um deren Souveränität. Es gebe nämlich keine Souveränität erster oder zweiter Klasse.

Von Charkiw aus flogen die drei Minister samt Delegationen knapp eineinhalb Stunden in betagten Helikoptern in die Oblast Luhansk. Dort machten sie sich, mit kugelsicherer Weste und Soldatenhelm bewehrt, am Checkpoint „Stanitsa Luhanska“ bei einem Treffen mit Gouverneur Serhiy Haidai ein Bild der militärischen und humanitären Lage.

Der Checkpoint ist eine Art Grenzübergang mit einem drei Meter hohen Gitterzaun, Sicherheitsschleusen und mehreren Schaltern zur Personenkontrolle. Aktuell überqueren pro Tag zwischen 8.00 und 16.00 Uhr im Schnitt bis zu 2.000 Menschen die Kontaktlinie zwischen dem ukrainischen Staatsgebiet und der von russlandfreundlichen Separatisten besetzten Region bei Luhansk.

Über die Kontaktlinie und die humanitäre Situation rundum zeigte sich Schallenberg erschüttert. Die Linie sei „wie eine Schneise, die durch das Land gezogen wird“. Es sehe zwar aus „wie eine Grenze“, doch sei „auf beiden Seiten Ukraine“. Menschen seien einfach auseinandergerissen worden.

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Nach dem Sturz des damaligen, pro-russischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014 hatte Moskau zuerst die Halbinsel Krim annektiert und dann die russischsprachigen Separatisten im Donbass unterstützt. Teile der an Russland grenzenden Regionen um die Stadt Luhansk und die Metropole Donezk sagten sich von der Zentralregierung in Kiew los.

Im Zuge der Reise kündigte Schallenberg auch an, dass der Ministerrat noch im Februar die Auszahlung von 2,5 Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) des Außenministeriums beschließen wird. Zur Bekämpfung der humanitären Krise in der Ukraine werden eine Million Euro für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sowie 1,5 Millionen für österreichische NGOs vor Ort zur Verfügung gestellt. Mit der Abwicklung wurde die Austrian Development Agency (ADA) beauftragt. Seit 2014 seien bereits über neun Millionen Euro an humanitärer Hilfe aus Österreich in die Ukraine geflossen, ergänzte Schellenberg.

Im Rahmen des EU-Zivilschutz-Mechanismus übergibt Schallenberg zudem am Dienstag 42 Paletten mit Hilfsmitteln, darunter fünf Diesel-Generatoren und 28 Wassertanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 1.000 Liter. Auch Tschechien und die Slowakei kündigten Unterstützung für das ukrainische Rote Kreuz und NGOs an.

Am Dienstag wird Schallenberg in Kiew zudem mit Vertretern der Krimtataren konferieren und ein bilaterales Gespräch mit seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba sowie Ministerpräsident Denys Schmyhal führen, ehe das Außenminister-Trio mit Präsident Wolodymyr Selenskyj zusammenkommt.

Mit dem Besuch soll „ein starkes Signal der zentraleuropäischen Solidarität“ gesetzt werden, hieß es. „Wir werden unsere Solidarität mit einem Land ausdrücken, das unter starkem Druck steht“, sagte Tschechiens Außenminister Lipavsky laut der Nachrichtenagentur CTK. Korcok verwies seinerseits darauf, dass die Slowakei ein Nachbarland der Ukraine und daher daran interessiert sei, dass diese prosperiere

In Kiew geben sich derzeit die Chefdiplomaten die Klinke in die Hand. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock weilt ab Montag ebenfalls zwei Tage in der Ukraine. Am Dienstag stößt auch der französische Amtskollege Jean-Yves Le Drian dazu. Er ist mit Präsident Emmanuel Macron unterwegs, der nach einem Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag auch mit Amtskollegen Selenskyj in Kiew beraten will. Frankreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Am Mittwoch folgt Polens Außenminister Zbigniew Rau, aktuell auch Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Der Westen ist angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine alarmiert. Russland fordert seinerseits Sicherheitsgarantien dafür, dass sich die NATO nicht Richtung Osten erweitert. Das Militärbündnis hält jedoch an der Beitrittsperspektive fest.

Von ukrainische Seite wird die Bedrohung weitgehend heruntergespielt. „Wir leben bereits seit Jahren mit dieser Situation“, erklärte der ukrainische Botschafter in Wien, Wassyl Chymynez, jüngst gegenüber der APA. Das russische Szenario werden vor allem von US-Seite akzentuiert. Auch seitens der Regierung wird eher beruhigt. Außenminister Kuleba rief die Bevölkerung auf, „apokalyptische Vorhersagen“ über eine bevorstehende russische Invasion zu ignorieren.

Eine Ansicht, der sich auch der tschechische Präsident Milos Zeman anschloss. Er stellte sich am Wochenende gegen eine Teilnahme von Soldaten seines Landes an der Verstärkung der NATO-Ostflanke. Eine Truppenentsendung beispielsweise in das direkt an die Ukraine grenzende Nachbarland Slowakei wäre ein unnötiges „Säbelrasseln“.

Die Gefahr einer russischen Invasion in der Ukraine werde hochgespielt. Er befürchte einen solchen Angriff nicht. „Die Russen sind keine Wahnsinnigen.“ Er widersprach damit Schallenbergs Wegbegleiter, Außenminister Lipavsky. Dieser hatte zuvor argumentiert, die Entsendung zusätzlicher Truppen an die Ostflanke der NATO diene auch der tschechischen Sicherheit, deshalb solle sich Tschechien daran beteiligen.

Lipavsky erinnerte bei einer gemeinsamem Pressekonferenz auch an das Jahr 1968, als die Warschauer-Pakt-Staaten den „Prager Frühling“ niederschlugen. „Bloß weil Moskau mit der Politik der damaligen Tschechoslowakei nicht einverstanden war. Das darf sich nicht wiederholen.“

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