Kämpfe in Ukraine gehen weiter - Mehrere Explosionen in Kiew

In der Ukraine gehen die Bombardierungen und Blockaden wichtiger Städte weiter. So wurde die Hauptstadt Kiew am frühen Dienstagmorgen von einer Reihe heftiger Explosionen erschüttert. Zu hören waren mindestens drei starke Detonationen; ein AFP-Journalist sah eine Rauchsäule über der Stadt aufsteigen. Die ukrainische Parlamentsabgeordnete Lesia Wasylenko veröffentlichte auf Twitter ein Foto, auf dem ein beschädigter Wohnblock zu sehen war, aus dem Rauch ausstieg.

In Kiew herrscht eine nächtliche Ausgangssperre; wo genau sich die Explosionen ereigneten war deshalb zunächst unklar. „Der Stadtteil Podil von Kiew ist ein Ort, an dem man Kaffee trinkt und das Leben genießt“, schrieb Wasylenko. „Jetzt nicht mehr. Vor 30 Minuten wurde (Podil) von Sprengstoff getroffen.“

Die russische Armee versucht derzeit, Kiew einzukesseln. In der Stadt befindet sich nach wie vor die Hälfte der einst drei Millionen Einwohner. Sie können die Stadt nur noch in Richtung Süden verlassen. Die Vororte im Nordosten und Nordwesten sind stark umkämpft. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte zuletzt, Kiew bereite sich auf eine „erbitterte Verteidigung“ vor.

Im Vorort Irpin nordwestlich von Kiew wurde am Sonntag erstmals ein ausländischer Journalist getötet. Der 50-jährige US-Journalist starb durch Beschuss in einem Auto, ein US-Kollege sowie der ukrainische Fahrer wurden verletzt. Am Montag wurde zudem der Korrespondent des US-Senders Fox News, Benjamin Hall, in einem der Vororte verletzt.

Die Behörden der Stadt Charkiw im Osten der Ukraine berichteten am Montagabend, dass bei einem russischen Luftangriff zwei Menschen getötet und ein weiterer verletzt wurden. In Tschuschujew südöstlich der Stadt wurde demnach ein 15-Jähriger bei einem Angriff auf eine Jugendeinrichtung getötet. Dem ukrainischen Generalstab zufolge plant Russland verstärkte „Umgruppierungen“ seiner Truppen in Richtung Charkiws.

Das russische Verteidigungsministerium hatte zuvor mitgeteilt, dass es sich die Eroberung der bereits eingekesselten Großstädte vorbehält. In einem solchen Fall werde es aber humanitäre Korridore zum Schutz der Zivilbevölkerung geben, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Präsident Wladimir Putin habe bisher von einem „sofortigen Angriff“ auf die Hauptstadt Kiew und andere ukrainische Großstädte abgesehen, „um große zivile Verluste zu vermeiden“.

Die ukrainische Armee bestritt unterdessen einen Raketenangriff auf die von pro-russischen Separatisten gehaltene Stadt Donezk, in der nach russischen Angaben mehr als 20 Menschen getötet wurden.

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In der benachbarten Region Luhansk, ebenfalls seit 2014 teilweise unter der Kontrolle der Separatisten, sei indessen der gesamte bisher von der Ukraine gehaltene Teil „unter Beschuss“, erklärte der ukrainische Militärchef Sergej Gaidai. Er beschuldigte die Russen, „Häuser, Krankenhäuser, Schulen, Wasser-, Gas- und Stromnetze“ sowie Züge, die täglich rund 2.000 Zivilisten in den Westen evakuieren, anzugreifen.

Unterdessen hat die russische Marine nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums „eine Blockade in einiger Entfernung von der ukrainischen Schwarzmeerküste errichtet“. Russland könnte n der Ukraine den Einsatz chemischer oder biologischer Waffen planen. Das könne in Reaktion auf einen vorgetäuschten Angriff auf russische Truppen geschehen, twitterte das Ministerium, ohne Beweise für seine Annahme zu nennen. Ähnliche Befürchtungen hatten auch schon US-Regierungsvertreter geäußert.

Die Lage in der von russischen Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes bleibt indessen dramatisch. Die russische Armee „versucht, Mariupol einzunehmen. Den ukrainischen Soldaten gelang es, die Invasoren zurückzudrängen“, erklärte der ukrainische Generalstab. Demnach habe die russische Seite bei ihrer Offensive etwa 150 Soldaten, zwei Panzer und sieben Infanterie-Kampffahrzeuge verloren und „sich zurückgezogen“.

In Mariupol sind nach Angaben örtlicher Behörden bisher mehr als 2.000 Zivilisten getötet worden. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar seien 2.357 Menschen ums Leben gekommen, teilte der Stadtrat in der Nacht zu Dienstag mit. Mariupol mit etwa 400.000 Einwohnern ist seit Tagen von russischen Einheiten umzingelt und vom Rest des Landes abgeschnitten. Ukrainische Behörden berichten von heftigen Luftangriffen auf die umkämpfte Stadt am Asowschen Meer. Russland beharrt darauf, lediglich militärische Ziele anzugreifen.

Der Berater des Bürgermeisters von Mariupol, Petro Andrjuschtschenko, nannte die Lage in der Stadt „unmenschlich“: „Kein Essen, kein Wasser, kein Licht, keine Wärme.“ Er befürchte viel mehr Tote - mit zunehmender Intensität der Angriffe könnte die Zahl der Opfer bis zu 20 000 betragen. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

Bei einem Angriff russischer Truppen auf einen Fernsehturm nahe der ukrainischen Stadt Riwne im Westen des Landes sind nach Angaben örtlicher Behörden neun Menschen getötet worden. Neun weitere seien bei dem Beschuss des Turms in Antopil verletzt worden, teilte der Leiter der Regionalverwaltung, Witalij Kowal, am Montag im Onlinedienst Telegram mit. Zwei Raketen hätten den Fernsehturm und ein Verwaltungsgebäude direkt daneben getroffen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, bereits drei Tage lang würden 100 Tonnen Lebensmittel, Wasser und Medikamente für Mariupol nicht zur Stadt durchgelassen. Die Regierung in Kiew werde jedoch alles versuchen, um den Menschen zu helfen.

Das russische Verteidigungsministerium kündigte unterdessen weitere Angriffe gegen mutmaßliche Aufenthaltsorte ausländischer Kämpfer in der Ukraine an. „Wir kennen alle Standorte ausländischer Söldner in der Ukraine. Gegen sie werden weiterhin gezielte Angriffe durchgeführt“, so Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow am Montagabend. „Eine Reihe westlicher Länder fördert auf staatlicher Ebene die Teilnahme ihrer Bürger als Söldner der Ukraine an Feindseligkeiten gegen russische Truppen“, behauptete Konaschenkow.

Nach Ansicht des ukrainischen Präsidentenberaters Olexii Arestowitsch könnte der Krieg noch bis Mai andauern. „Ich denke, wir sollten bis Mai, Anfang Mai, ein Friedensabkommen haben, vielleicht viel früher, wir werden sehen“, sagte der Berater des Chefs des Präsidentenstabes in einem von mehreren Sendern veröffentlichten Video. Arestowytsch ist selbst nicht an den Gesprächen der beiden Kriegsparteien beteiligt, die am Dienstag fortgesetzt werden sollen.

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