Zahlreiche Luftangriffe erschüttern Mykolajiw
Die russischen Streitkräfte haben am Samstag nach Angaben der Regionalregierung ihre Luftangriffe auf die südukrainische Stadt Mykolajiw verstärkt. Dutzende Tote soll es bei einem Luftangriff auf eine Militärkaserne in Mykolajiw gegeben haben. Mykolajiw gilt als „Schutzschild“ für die Hafenstadt Odessa, die rund 130 Kilometer weiter westlich liegt. Sieben Tote werden aus Butscha gemeldet. Russland zerstörte mit der Hyperschall-Rakete „Kinschal“ (Dolch) ein Raketenarsenal.
Die Attacken erfolgten in so rascher Abfolge, dass kein Alarm ausgelöst werden könne, erklärte der Gouverneur von Mykolajiw, Vitali Kim, am Samstag in den Online-Netzwerken. „Denn bis wir diesen Tornado ankündigen, ist er bereits da.“ Die Warnnachrichten und die Bombenangriffe kämen „zur gleichen Zeit“, fügte Kim hinzu. Zum Ausmaß der Schäden oder zur Zahl möglicher Opfer machte er keine Angaben.
Unterdessen durchkämmten Rettungskräfte weiter Trümmer einer Militärkaserne im Norden der Stadt, die am Freitag von sechs Raketen getroffen worden war. Nach Angaben von Augenzeugen schliefen zum Zeitpunkt des Angriffs rund 200 Soldaten in den Baracken. Es werden dutzende Tote befürchtet. Ein Soldat sprach von 50 Leichen, die geborgen worden seien.
Das unterirdische Munitionsdepot der ukrainischen Luftwaffe in Deljatyn im Gebiet Iwano-Frankiwsk sei am Freitag durch die ballistische Rakete vernichtet worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Samstag mit. Es ist das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass Russland von dem Einsatz seiner neuen ballistischen Luft-Boden-Rakete „Kinschal“ berichtet. Es sei der erste Einsatz im Kampf überhaupt, hieß es. Bisher kamen die Waffen vor allem bei Manövern zum Einsatz - zuletzt wenige Tage vor der Invasion in die Ukraine, die am 24. Februar begonnen hat.
Abgeschossen werden die „Kinschal“-Raketen von Kampfflugzeugen des Typs MiG-31. Sie können nach russischen Angaben Ziele in bis zu 2.000 Kilometer Entfernung treffen - unter Umgehung aller Luftabwehrsysteme. Hyperschallraketen übertreffen die Schallgeschwindigkeit um ein Mehrfaches und fliegen mit mehr als 6.000 Kilometern pro Stunde.
Auch die von russischen Truppen belagerte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer war weiter umkämpft. Von ukrainischer Seite hieß es am Samstag, sie habe „vorübergehend“ den Zugang zum Asowschen Meer verloren. Die russische Armee hatte am Freitag erklärt, sie sei in die strategisch wichtige Stadt eingedrungen und kämpfe dort an der Seite von Truppen aus dem Separatistengebiet im ostukrainischen Donezk.
Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums beschrieb die Lage in Mariupol als „katastrophal“. Am Rande der Stadt gebe es Kämpfe um das Stahlwerk Asowstal, sagte der Berater Wadym Denysenko. „Eines der größten Stahlwerke Europas wird im Moment zu einer Ruine“, sagte er.
Im Ort Butscha nordwestlich der Hauptstadt Kiew seien durch Beschuss am Freitag sieben Zivilisten ums Leben gekommen, teilte die Polizei der Region Kiew am Samstag mit. In der ostukrainischen Region Donezk sprach die regionale Polizeibehörde von Dutzenden Toten und Verletzten ebenfalls bei Angriffen am Freitag. Es seien erneut Wohngebiete beschossen worden, hieß es von ukrainischer Seite.
Ebenfalls in der Region Kiew sollen bei einem Mörserangriff sieben Menschen getötet worden sein. Bei dem Vorfall in der Ortschaft Makariw seien fünf weitere Menschen verletzt worden, teilte die örtliche Polizei mit. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Die Ukraine gab unterdessen bekannt, bei Angriffen auf einen Flugplatz außerhalb von Cherson einen weiteren russischen General getötet zu haben. Es handle sich um den fünften hochrangigen Offizier der russischen Armee, der seit Beginn der Invasion am 24. Februar getötet worden sei.
Unterdessen berichteten Kiew und Moskau über die Evakuierung Tausender weiterer Zivilisten aus besonders umkämpften Gebieten in der Ukraine. Aus der belagerten Hafenstadt Mariupol seien am Samstag mehr als 4.100 Menschen geflohen, schrieb der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko, auf Telegram. Knapp 2.500 weitere Zivilisten seien aus den Regionen Kiew und Luhansk über sogenannte Fluchtkorridore in Sicherheit gebracht worden. Die russische Seite berichtete über die Evakuierung von knapp 16.400 Menschen aus Donezk und Luhansk und anderen Teilen der Ukraine nach Russland. Der Stadtrat von Mariupol warf Moskau vor, Tausende Zivilisten gegen ihren Willen nach Russland gebracht zu haben.
In Saporischschja wurde indes eine eineinhalbtägige Ausgangssperre verhängt. Bis Montagmorgen um 6.00 Uhr (5.00 Uhr MEZ) stellt auch der Bahnhof der Stadt seinen Betrieb ein.
Nach Angaben der UNO sind inzwischen mehr als 3,3 Millionen Menschen vor den Kämpfen aus der Ukraine geflohen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf sprach am Samstag von weiteren fast 6,5 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind.