Stadt nahe Tschernobyl von russischen Truppen eingenommen
Russische Truppen haben offenbar die Kontrolle über die Stadt Slawutytsch in der Nähe des ukrainischen AKW Tschernobyl erlangt. Sie hätten das Krankenhaus eingenommen und den Bürgermeister entführt, hieß es am Samstag einer Mitteilung des Gouverneurs der Region Kiew. Die russischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben bei einem Raketenangriff auch erneut ein Arsenal mit Waffen und Militärtechnik zerstört.
In Slawutytsch haben Einwohner offenbar sofort gegen die russische Besatzung demonstriert. Sie entrollten eine große ukrainische Fahne, wie die Militärverwaltung des Gebietes Kiew mitteilte. Russische Soldaten schossen nach diesen Angaben in die Luft, um die Menschen auseinanderzutreiben. In Slawutytsch wohnt das Personal, das früher das AKW Tschernobyl betrieb und jetzt die stillgelegten Anlagen überwacht. Die Sperrzone um Tschernobyl ist seit den ersten Tagen des Krieges von russischen Kräften besetzt. Nun seien russische Truppen auch nach Slawutytsch eingedrungen und hätten ein Krankenhaus besetzt, schrieb Oleksandr Pawljuk, Chef der Militärverwaltung, auf Telegram. Auch in russisch besetzten Städten im Süden des Landes kommt es immer wieder zu proukrainischen Kundgebungen.
Vier Raketen vom Typ „Kaliber“ seien von einem Kriegsschiff im Schwarzen Meer abgefeuert und in einem Waffendepot in der Nähe der Großstadt Schytomyr eingeschlagen, teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Samstag mit. Die wichtige Industriestadt Schytomyr liegt rund ein 120 Kilometer westlich von Kiew. Insgesamt seien innerhalb von 24 Stunden 117 militärische Objekte zerstört worden, darunter sechs Kommandostellen und drei Kampfflugzeuge.
Von unabhängiger Seite überprüfbar waren alle diese Angaben wie immer nicht.
Für die Hauptstadt Kiew ordnete Bürgermeister Vitali Klitschko erneut eine Ausgangssperre an. Der Beginn wurde demnach für Samstagabend, 20:00 Uhr, das Ende für Montag früh, 7.00 Uhr (jeweils Ortszeit), angesetzt.
Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte nach Spekulationen um den Verbleib von Ressortchef Sergej Schoigu am Samstag auch ein Video von einer Sitzung der Militärführung. Dabei sagte Schoigu, dass die Rüstungsaufträge trotz der westlichen Sanktionen gegen Russland erfüllt würden. Zudem sagte er, dass die Ausrüstung der Streitkräfte mit Hochpräzisionswaffen ungeachtet der „militärischen Spezial-Operation“ in der Ukraine weiter gehe.
Für Samstag wurden zehn humanitäre Korridore eingerichtet, um Zivilisten die Flucht aus besonders umkämpften Regionen zu ermöglichen. Das teilte die ukrainische Vizeregierungschefin Irina Wereschtschuk in Kiew mit. Die Korridore liegen im Umland Kiews und im ostukrainischen Gebiet Luhansk.
Aus der stark zerstörten Hafenstadt Mariupol gebe es keine zentralisierte Evakuierung mit Bussen, sagte Wereschtschuk der Agentur Union zufolge. Wer es schaffe, Mariupol mit dem Auto zu verlassen, könne in der nahen Stadt Berdjansk auftanken.
Der Bürgermeister von Mariupol hat nach eigenen Angaben mit dem französischen Botschafter die Möglichkeiten für Hilfe bei einer Evakuierung sondiert. Zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt, er wolle Russland einen Plan vorschlagen, um dabei zu helfen, die Menschen aus der Stadt in Sicherheit zu bringen.
Bürgermeister Wadym Boitschenko erklärte im staatlichen Fernsehen, die Lage in der Stadt sei weiterhin kritisch. Im Stadtzentrum gingen die Straßenkämpfe weiter. Die russische Armee beschieße aus der Luft und mit Artillerie zivile und militärische Objekte, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Bericht Samstagmittag mit. Am Boden versuchten russische Kräfte, in das Stadtzentrum vorzudringen. Auch der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch sprach von Straßenkämpfen in Mariupol.