Dreieinhalb Jahre Haft für „Ibiza-Detektiv“ in St. Pölten

Mit dreieinhalb Jahren Haft hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des Ibiza-Videos, Julian Hessenthaler, am Mittwoch am Landesgericht St. Pölten geendet. Der 41-Jährige wurde wegen Kokainhandels sowie wegen Annahme, Weitergabe oder Besitzes falscher oder gefälschter besonders geschützter Urkunden und Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Urteil stieß auf Kritik, für Donnerstag wurde eine Kundgebung in Wien angekündigt.

Hessenthaler wurde vom Schöffensenat schuldig gesprochen, 2017 und 2018 insgesamt 1,25 Kilo Kokain in Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich zu einem Grammpreis von 40 Euro an einen Bekannten übergeben zu haben. Weiters wurde er verurteilt, einen gefälschten slowenischen Personalausweis und Führerschein, die auf den Namen einer rumänischen Bekannten lauteten, besessen und übergeben sowie bei einer Polizeikontrolle am 7. Mai 2019 in Wien eine gefälschte slowenische Lenkberechtigung vorgewiesen zu haben.

Es gebe „keinen Anhaltspunkt“, dass Zahlungen für eine Falschaussage geleistet wurden, meinte der Richter in der Urteilsbegründung: Der zeitliche Konnex zwischen Bezahlung und der ersten Belastung eineinhalb Jahre später passe nicht.

Die Belastungszeugen haben nach Ansicht des Gerichts einen „glaubwürdigen Eindruck vermittelt, was die Anlastungen betrifft“ und ihre Aussagen nicht abgesprochen. Die Frau habe bereits bei ihrer Festnahme von drei Suchtgiftlieferungen an Hessenthaler gesprochen, von denen später auch der frühere Geschäftspartner des 41-Jährigen berichtete. Die Aussagen der beiden zu drei Drogenübergaben „überschneiden sich trotz zahlreicher Widersprüche“, sagte der Richter.

Aussagen der Rechtsanwälte seien in die Richtung gegangen, dass ein Urteil nicht im Sinne der Verteidigung Ausfluss von politischer Einflussnahme sei, meinte der Richter. „Ich kann Ihnen versichern, das ist nicht der Fall.“

Hessenthaler bezeichnete es zu Beginn des Prozesstages in seiner Stellungnahme als „bemerkenswert“, dass trotz ressourcenintensiver Ermittlungen sowie eigener Sonderkommission „nicht ein einziger Sachbeweis“ vorliege: „Das ist mehr als ungewöhnlich.“ Er müsse sich verteidigen gegen eine „einseitig ermittelnde Soko und Staatsanwaltschaft“.

Staatsanwalt Bernd Schneider erklärte in seinem Schlussvortrag zu den Vorwürfen gegen den Beschuldigten: „Meines Erachtens sind sie erwiesen.“ Wie bereits zu Beginn des Prozesses am 8. September 2021 betonte er, die Anklage „hat nichts mit einem Video zu tun, das 2017 auf Ibiza gedreht wurde“. Die Anklage sei auf einen Drogen-“Zufallsfund“ in einem Staubsaugerbeutel im Keller der späteren Belastungszeugin zurückzuführen. Die Frau habe eine „Lebensbeichte“ abgelegt und den Beschuldigten als einen ihrer Lieferanten genannt.

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Den Angeklagten habe „seine Vergangenheit eingeholt“, erklärte der Staatsanwalt. Schneider warf der Verteidigung einen „Versuch, Hessenthaler als Opfer der Strafverfolgungsbehörden darzustellen“ und „Ablenkungsmanöver“ vor.

Verteidiger Wolfgang Auer entgegnete dem Staatsanwalt, die Anklage stehe sehr wohl in Zusammenhang mit dem Ibiza-Video. „Das politische System in Österreich ist sehr korruptionsanfällig“, deshalb würden Whistleblower verfolgt, um „ein Exempel zu statuieren“, konstatierte der Rechtsanwalt im Schlussplädoyer. Es gebe in den Zeugenaussagen „so viele Widersprüche, dass einfach gar nichts mehr übrig bleibt“.

Beschuldigt wurde der 41-Jährige von einem ehemaligen Geschäftspartner und dessen früherer Geliebten. „Der persönliche Eindruck der Belastungszeugen war desaströs“, meinte Co-Verteidiger Oliver Scherbaum. Der Rechtsanwalt verwies auf den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ und meinte zu den Schöffen: „Nutzen Sie die Gelegenheit zu zeigen, dass wir ein Rechtsstaat sind.“ Er forderte ebenso wie Auer einen Freispruch.

Hessenthaler erklärte in seinen Schlussworten, seit 16 Monaten frage er sich, warum er in U-Haft sitze, und jetzt wisse er es: „Weil es der Staatsanwaltschaft Wien vollkommen egal ist, ob Unwahrheiten verbreitet werden, ob gelogen wird.“

Bei einem Strafrahmen von bis zu 15 Jahren wurde die Unbescholtenheit des Angeklagten mildernd gewertet. Verurteilt wurde Hessenthaler wegen eines Verbrechens und drei Vergehen. Die Vorhaft seit 10. Dezember 2020 - der Angeklagte war in Berlin mit Europäischem Haftbefehl festgenommen und in der Folge an Österreich ausgeliefert worden - wird angerechnet.

Die Verteidigung meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Damit ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Rechtsanwalt Oliver Scherbaum sagte nach Prozessende vor Journalisten, de facto werde der Oberste Gerichtshof das Verfahren zu überprüfen haben. „Das Urteil ist falsch und besorgniserregend“, teilte die Verteidigung mit. „Julian Hessenthaler ist über das Urteil bestürzt, weil er bis zuletzt die Hoffnung hatte freigesprochen zu werden. Er wird aber nicht aufgeben, seine Unschuld zu beweisen“, hieß es in einer Aussendung.

Amnesty International und epicenter.works orteten in einer Aussendung ein „Urteil gegen die Meinungsfreiheit in Österreich“. Thomas Lohninger, Geschäftsführer von epicenter.works, vermutete, dass es vor allem darum gegangen sei, „eine abschreckende Wirkung“ auf zukünftige Aufdecker zu erzielen. „Die Optik des Verfahrens ist verheerend für die Unabhängigkeit der Justiz in Österreich und für das Vertrauen in den Rechtsstaat“, erklärte Lohninger. Österreich sei säumig bei der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie. Lohninger und Amnesty-Geschäftsführerin Annemarie Schlack bemängelten, dass noch immer kein entsprechender Gesetzesentwurf zur Begutachtung vorliege.

Die Anti-Korruptionsinitiative „Saubere Hände“ rief gemeinsam mit der „reDonnerstag“ und „epicenter.works“ zu einer Kundgebung am Donnerstag um 18.00 Uhr am Platz der Menschenrechte in Wien auf. „Zu befürchten ist, dass die Entscheidung des Gerichts negative Konsequenzen für Antikorruption und Transparenz in diesem Land hat: Wer Missstände aufdecken will, könnte ab jetzt fürchten, politisch und juristisch verfolgt zu werden - und daher schweigen“, sagte Ursula Bittner, Sprecherin von Saubere Hände.

Hessenthaler soll das Video produziert haben, das den damaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza im Gespräch mit einer vermeintlichen Oligarchennichte zeigt. Nach Veröffentlichung der Aufnahmen im Mai 2019 verloren nicht nur Strache und Gudenus ihre Ämter, sondern es kam auch zum Bruch der türkis-blauen Koalition. Eine Neuwahl war die Folge.

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