Deutsche Familienministerin Spiegel tritt zurück

Gut 100 Tage nach Beginn ihrer Arbeit hat die deutsche Ampel-Koalition im Bund ihre erste Ministerin verloren. Familienministerin Anne Spiegel (Grünen) trat am Montag zurück. Ihr war ein vierwöchiger Familienurlaub kurz nach der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 vorgeworfen worden. Damals war sie als rheinland-pfälzische Umweltministerin auch für den Katastrophenschutz verantwortlich.

Kurz vor dem Rücktritt hatte sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch demonstrativ hinter Spiegel gestellt, mit der er laut einer Sprecherin „eng und vertrauensvoll“ zusammen arbeite. Nach dem Rücktritt ließ er erklären, dass er die Entscheidung von Spiegel „mit großem Respekt“ zur Kenntnis nehme. „Wir werden sehr bald - zeitnah - einen Vorschlag unterbreiten für die Nachfolge“, sagte Grünen-Co-Chef Omid Nouripour.

Der Rückzug der Grünen-Ministerin verstärkt die Debatte auch über andere Minister der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. So hatte es in den vergangenen Wochen harte Kritik auch an Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) gegeben. Lambrecht wird eine zu zögerliche Politik der Waffenexporte an die Ukraine vorgeworfen. Lauterbach muss sich wegen der gescheiterten Impfpflicht, dem Infektionsschutzgesetz und der Rücknahme neuer Quarantäne-Regelung rechtfertigen.

Spiegel hatte sich für ihre Arbeit als rheinland-pfälzische Umweltministerin in der Flutkatastrophe bereits vor einem Untersuchungsausschuss im Landtag in Mainz verantworten müssen. Jetzt war der Druck auf die Grünen-Politikerin Spiegel aber stark gewachsen, weil in Nordrhein-Westfalen die Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ebenfalls wegen Urlaubs-Vorwürfen in der Flutkatastrophe zurücktreten musste. Heinen-Esser hatte dabei mehrfach falsche Angaben gemacht. Auch Spiegel räumte am Sonntagabend ein, dass sie anders als gegenüber der „Bild am Sonntag“ angegeben, in der Urlaubzeit nicht an einer Kabinettssitzung teilgenommen habe.

Die Grünen-Politikerin hatte am Sonntagabend dann in einem sehr emotionalen Statement zunächst ihren Urlaub als Fehler bezeichnet und dafür um Entschuldigung gebeten. Die Mutter von vier Kindern gab als Grund für den Urlaub zehn Tage nach der verheerenden Flut vor allem familiäre Gründe an. Ihr Mann habe 2019 einen Schlaganfall erlitten, die vier Kinder seien nicht gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Zudem habe sie zu viele Aufgaben innerhalb der Grünen in Rheinland-Pfalz und der Landesregierung übernommen gehabt, sagte Spiegel. „Das war ein Fehler, dass wir auch so lange in Urlaub gefahren und dass wir in Urlaub gefahren sind. Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung“, fügte sie hinzu.

Sowohl Kanzler Scholz als auch Grünen-Politikerinnern und Politiker zeigten sich von dem Statement am Sonntagabend bewegt. Der Auftritt habe den Kanzler betroffen gemacht, er sei persönlich sehr beeindruckt gewesen, sagte eine Regierungssprecherin. „Was die Zusammenarbeit angeht, so schätzt der Bundeskanzler ihre Arbeit“, fügte sie hinzu. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, die Pressekonferenz Spiegels sei unter die Haut gegangen. „Das glaube ich ging allen so, die es gesehen haben.“ Sie habe größten Respekt vor ihrem Mut und ihrer Klarheit, sagte Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang am Montag. „Wir haben Respekt vor diesem Schritt“, sagte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner der „Rheinischen Post“ nach dem Rücktritt.

Allerdings war Spiegel am Sonntagabend niemand von der Grünen-Parteispitze beigesprungen. In Koalitionskreisen hieß es, dass die Nervosität der Parteien auch wegen der anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und vor allem Nordrhein-Westfalen im Mai groß sei. Die Wahl hatte auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dazu getrieben, auf einen Rücktritt seiner Ministerin Heinen-Esser zu pochen.

Die Grünen müssen nun eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Spiegel für das Familienministerium ernennen. Dies gilt angesichts der Konkurrenz der Parteiflügel als nicht einfach. Spiegel war Vertreterin des linken Flügels. Um die Parität zwischen Männern und Frauen im Kabinett zu wahren, müssten die Grünen erneut eine Frau benennen. Sonst gerät die Zusage von Scholz in Gefahr, dass in seinem Kabinett nicht weniger Frauen als Männer vertreten sind. „Das ist alles Sache der Grünen. Da gibt es keine Einmischung in deren Fragen“, sagte Lindner.

Scholz äußerte seinen „großen Respekt“. Der Kanzler habe mit Spiegel im Kabinett eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag. „Er wünscht ihr nach dieser schweren Zeit für die Zukunft alles Gute.“