Nehammer bei Putin: „Generell keine positiven Eindrücke“
Bundeskanzler Karl Nehammer hat bei seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „generell keine positiven Eindrücke“ gewonnen. Das erklärte er am Montagabend bei einer Videokonferenz. Wichtig sei aber „persönlicher Kontakt“, so der Kanzler, der dafür eintrat, den Weg des Dialog weiterzugehen, „damit es kein Vakuum gibt“. Auf seine Botschaft, dass Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj das persönliche Gespräch suche, habe es von Putin „keine Reaktion“ gegeben.
Generell sei Russland offenbar dabei, eine Offensive in der Ostukraine im Gebiet der russischen Separatistengebiete vorzubereiten. „Diese Schlacht wird mit Vehemenz geführt werden“, sagte der ÖVP-Bundeskanzler laut dpa in Moskau auch vor Journalisten. Deshalb müssten Zivilisten aus den umkämpften Gebieten über humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht werden. Doch habe er „keinen optimistischen Eindruck“. Nehammer hatte zuvor als erster Regierungschef eines EU-Landes seit dem Kriegsausbruch vor mehr als sechs Wochen mit Putin persönlich gesprochen.
Nehammer war erst am Wochenende in der Ukraine auf Besuch gewesen und hatte dort Präsident Wolodymyr Selenskyj und Premier Denys Schmyhal getroffen. Er forderte zudem eine Aufklärung der Kriegsverbrechen. Dabei könnten die Vereinten Nationen helfen, sagte er. Zu diesem Thema habe es eine heftige Diskussion gegeben. Putin unterstelle der Internationalen Gemeinschaft in diesen Fragen nämlich Parteilichkeit. Der russische Präsident habe diesbezüglich ein Misstrauen an den Tag gelegt, was die unabhängige Verfolgung dieser Verbrechen angehe, so Nehammer. Österreich habe aber angeboten, sich für eine Aufarbeitung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.
Nehammer hatte bereits zuvor darauf hingewiesen, dass er „die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen“ und betont habe, „dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen“ seien. „Ich habe Präsident Putin auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben.“
Es gebe Beispiele wie aus den Jugoslawienkriegen, dass solche Verbrechen aufgeklärt werden könnten. Diejenigen, die dafür verantwortlich seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Am Samstag war Nehammer bei einem Besuch in Kiew auch in den Vorort Butscha gefahren, wo Hunderte Leichen von Zivilisten gefunden worden waren.
„Putin ist massiv in der Kriegslogik angekommen und handelt auch entsprechend“, so der Regierungschef. Anfangs habe Putin des Begriff „Krieg“ nicht akzeptiert, gegen Ende habe der russische Präsident jedoch sinngemäß gesagt, er hoffe, dass dieser bald ende.
Nehammer verteidigte sein Treffen mit Putin auch gegen Kritik. Er habe im Machtzentrum der Russischen Föderation die Schrecken des Krieges direkt ansprechen wollen. „Es braucht die persönliche Konfrontation“, betonte er. Das Treffen mit Putin sei mit den Spitzen der EU und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesprochen gewesen.
Zudem setzte der russische Präsident offenbar darauf, einen allfälligen Dialog über die ins Stocken geratene Verhandlungen in der Türkei fortzusetzen, sagte der ÖVP-Bundeskanzler. „Er hat nach wie vor Zutrauen in die Istanbuler Friedensgespräche“. Er werde dazu auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sprechen.
Der Kanzler bezeichnete die Begegnung mit Putin zudem als „sehr direkt, offen und hart“. „Das ist kein Freundschaftsbesuch“, betonte er in einer Mitteilung unmittelbar nach Ende des Treffens bei Moskau. „Meine wichtigste Botschaft an Putin war (...), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer“, so der Kanzler. Die Reise nach Russland sei für ihn „eine Pflicht“ gewesen, unterstrich der Bundeskanzler. „Eine Pflicht aus der Verantwortung heraus, nichts unversucht zu lassen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken.“
Die Begegnung fand in Putins Residenz Nowo-Ogarjowo bei Moskau statt, berichtete die staatliche russische Agentur TASS mit Berufung auf Kremlsprecher Dimitri Peskow. Die Initiative zur Moskau-Reise sei von ihm ausgegangen, sagte Nehammer, und zwar schon während die Reise in die Ukraine geplant wurde. Österreich hatte zuletzt vier russische Diplomaten ausgewiesen.
Seit Kriegsausbruch war kein Regierungschef aus der EU bei Putin in Moskau, es gab nur telefonischen Kontakt etwa mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. Lediglich der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett war Anfang März als Vermittler zu einem Treffen mit Putin nach Moskau gereist. Die Reise nach Moskau habe er mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel abgesprochen, sagte Nehammer. Auch Selenskyj, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und den deutschen Kanzler Scholz habe er informiert.
An Nehammers Initiative gab es auch Kritik im In- und Ausland. Die Europäische Kommission teilte mit, sie erwarte gespannt die Ergebnisse des Treffens. Der Bundeskanzler wollte noch am Montag in Moskau akkreditierten Diplomaten von seinem Gespräch berichten.