Grüne zurückhaltend zu Nehammers Treffen mit Putin
Bei den Grünen löst Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin keine Begeisterung aus. Vorausgesetzt, die Reise sei mit der EU abgestimmt, „könnte es einen Versuch wert sein“, reagierte Vizekanzler Werner Kogler am Montag zurückhaltend. „Nicht gutheißen“ will die Grüne Außenpolitik-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic den Besuch bei Putin: „Das hat mit Diplomatie nichts zu tun.“
Dass der Koalitionspartner keinen Applaus spendet, könnte auch damit zu tun haben, dass die Grünen dem Vernehmen nach erst aus den Medien von Nehammers Reiseplänen nach Moskau erfahren haben. Vor Journalisten hatte Nehammer am Sonntagnachmittag angekündigt, am heutigen Montag Putin zu einem Gespräch zu treffen und erklärt, die Reise mit den EU-Spitzen besprochen zu haben.
„Unter der Voraussetzung, dass die Reise des österreichischen Bundeskanzlers innerhalb der Europäischen Union abgestimmt ist, könnte es einen Versuch wert sein“, meinte Kogler auf Anfrage in einer knappen schriftlichen Stellungnahme. „Klipp und klar ist: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine muss sofort gestoppt, Kriegsverbrechen vollumfänglich aufgeklärt und humanitäre Korridore verlässlich geschaffen werden.“
Deutlich kritischer äußerte sich die Abgeordnete Ernst-Dziedzic auf Twitter: „Nein, ich kann einen Besuch beim Putin nicht gutheißen“, ließ sie wissen. „Das hat mit Diplomatie nichts zu tun. Das ist auch kein akkordierter Fahrplan für Verhandlungen. Putin wird das für seine Propaganda nutzen“, fürchtet Ernst-Dziedzic.
NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter ließ nach dem Treffen wissen: „Nehammers Aussagen zu Sanktionen sind unklug, wenn nicht sogar gefährlich. Die Einstellung, Sanktionen müssten nur so lange aufrecht bleiben, solange Menschen in der Ukraine sterben, ist die falsche. Sanktionen müssen so lange weitergehen und verschärft werden, solange noch ein russischer Soldat in der Ukraine ist, solange, bis die international anerkannten Grenzen der Ukraine wieder hergestellt sind. Die Europäische Union muss hier hart bleiben, sonst nimmt sich Putin, was er möchte, wenn wir zu vorschnell lockern. Das wäre die richtige Argumentation gewesen, die Nehammer Putin hätte entgegenhalten müssen.“
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger schrieb Ähnliches auf Twitter: „Es ist sehr unklug zu sagen, dass die Sanktionen so lange aufrecht bleiben wie Menschen in der Ukraine sterben. Sie müssen so lange aufrecht bleiben bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist. Alles andere lädt Putin geradezu zu weiteren Schritten ein.“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich bisher noch nicht zur Reise des Kanzlers geäußert. In der Präsidentschaftskanzlei wollte man Nehammers Besuch vorerst nicht kommentieren.
Skeptisch gab sich unterdessen die SPÖ. „Dialog zu führen und mit allen im Gespräch zu sein, ist wichtig, aber genauso wichtig ist auch, ein klar definiertes Ziel für dieses Gespräch mit Putin zu haben und innerhalb der EU gut abgestimmt zu sein“, meinte SPÖ-Europasprecher und Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Montag in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Ich hoffe, dass diese Abstimmung mit den EU-Partnern auch erfolgt ist. Der gemeinsame europäische Weg darf jedenfalls nicht verlassen werden und dem Kanzler ist hoffentlich bewusst, dass das Risiko auch für den außenpolitischen Ruf Österreichs hoch ist“, warnte Leichtfried. „Am Ende des Tages zählt, welches Ergebnis bei diesem Gespräch herauskommt.“Am Abend twitterte die SPÖ: „Was war jetzt konkret das Ergebnis des Gespräches zwischen #Nehammer und #Putin?“
Die Strategie der österreichischen Regierung seit Kriegsbeginn sei weder nachhaltig noch durchdacht, meinte FPÖ-Chef Herbert Kickl, dessen Freiheitliche als traditionell russlandfreundlich gelten. „Erst die Sanktions-Einpeitscherei, dann das überfallsartige Ramponieren der Neutralität, dann die mit der Neutralität in Widerspruch stehenden Solidaritätsbesuche bei Selenskij und Klitschko - und jetzt geht‘s plötzlich nach Moskau“, meinte Kickl in einer Aussendung. Es dränge sich der Verdacht auf, „dass nicht das ehrliche Bemühen um ein Ende des Krieges und um die Interessen der Österreicher in dieser Krise im Mittelpunkt steht, sondern der innenpolitisch motivierte, persönliche Rettungsplan des Herrn Nehammer“, vermutete Kickl.
Es sei zu hoffen, „dass Nehammer bestens vorbereitet und nicht Hals über Kopf in das Gespräch mit Putin geht, damit nicht weiterer Schaden für Österreich entsteht“, meinte Kickl. Entscheidend sei der Versuch, „die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen, eventuell auch österreichische Diplomaten als Mediatoren einzusetzen“.
Der frühere österreichische Botschafter in Moskau, Emil Brix, sieht die Reise vor allem als „Schritt von russischer Seite“, sagte er den „Salzburger Nachrichten“. „Die Russen wissen ganz genau, dass Österreich nicht die EU-Linie bestimmen kann, sie wissen ganz genau, wie gering unsere außenpolitische Macht ist. Aber es ist zumindest ein Zeichen, dass man das Gespräch prinzipiell sucht“, so der ehemalige Spitzendiplomat und Leiter der Diplomatischen Akademie Wien. Die Initiative sei freilich eine Gratwanderung und der Grat „extrem schmal und man kann runterfallen“. Doch Brix sieht in der Neutralität Österreichs in diesem Zusammenhang auch eine Chance: „Österreich ist eines der wenigen Länder, mit denen so was möglich ist. (...) Es zeigt, dass die Neutralität, auch wenn es keine moralische Neutralität ist, noch immer einen Wert haben kann.“
In der „ZiB 2“ am Sonntagabend hatte der Russland-Experte Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck harsche Kritik an der Visite Nehammers in Moskau geübt: „Ich halte diesen Besuch für keine kluge Entscheidung.“ Auf einen Brückenbauer habe in der EU keiner gewartet, die Osteuropäer kritisierten diesen Schritt bereits scharf, meinte Mangott. Russlands Präsident Putin habe die Macht über die Bilder dieses Besuches und werde diese zu nutzen wissen, warnte er. Nehammer werde Putin Bilder verschaffen, die sagen: „Ich bin nicht isoliert, es gibt Länder im Westen, die mit uns kooperieren.“ Allerdings gab es - offenbar auf österreichischen Wunsch - letztlich keine Fotos, die Nehammer gemeinsam mit Putin zeigen.
Der Besuch Nehammers beim russischen Präsidenten dürfe nicht dazu führen, dass Österreich den gemeinsamen europäischen Weg verlässt, kommentierte Sonntagabend die NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger in einer Aussendung. „Insgesamt besteht die Sorge, dass das Treffen Putin letztlich mehr nutzt als der Ukraine. Schließlich kam es schon vor, dass sich Österreichs Politiker vor den russischen Propaganda-Karren spannen ließen“, erklärte sie.
Die ehemalige österreichische ÖVP-Außenministerin und langjährige Diplomatin Ursula Plassnik begrüßte indes die außenpolitischen Aktivitäten von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Kiew und Moskau. Angesichts eines drohenden verheerenden russischen Angriffs auf die Ostukraine müsse jede noch so winzige Chance, in Moskau Gehör zu finden, aktiv genützt werden, erklärte sie der APA am Montagabend. „Dieser Verantwortung ist Bundeskanzler Nehammer nachgekommen“, betonte sie.
Nehammer war erst vergangenes Wochenende mit einem Journalistentross nach Kiew gereist, um dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seine Solidarität zu versichern. Nach seiner Rückkehr kündigte er Sonntagnachmittag vor Journalisten an, auf seine eigene Initiative auch Putin zu treffen. Unter anderem habe er Selenskyj und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von seinen Reiseplänen informiert, sagte Nehammer. Seit Kriegsausbruch war kein Regierungschef aus der EU bei Putin in Moskau, es gab nur telefonischen Kontakt.