Neue Regierung

Sozialminister Rudolf Anschober: „Ich werde lästig sein”

Anschober in seiner neuen Wirkungsstätte – dem Ministerbüro auf dem Wiener Stubenring.
© HANS KLAUS TECHT

Der neue Sozialminister Rudolf Anschober spricht im TT-Interview über seine Arbeitspläne. Das Thema Pflege steht ganz oben auf der Agenda.

Sie waren am Montag mit Kanzler und Vizekanzler in einer Pflegeeinrichtung, als Signal, wie wichtig der Regierung das Thema ist. Im Regierungspakt ist von der Weiterentwicklung des Pflegegeldes die Rede. Wohin geht die Reise?

Rudolf Anschober: Wir haben die Valorisierung des Pflegegeldes beschlossen, also die analoge Erhöhung zu den Pensionanpassungen.

Der Pflegeberuf soll auf die Mangelberufsliste kommen. Dafür reicht eine Verordnung. Wann kommt sie?

Anschober: Sie ist schon da. Die Pflegeberufe sind auf der Mangelberufsliste. Das ist eine von geschätzten Dutzend Initiativen, damit wir die ganz große Aufgabe der Republik lösen. Wir haben aufgrund der demographischen Situation in der Altersentwicklung und aufgrund der Tatsache, dass wir weniger junge Leute haben, die in den Pflegeberuf einsteigen können, und den Anforderungen des Berufs große Herausforderungen. Wir wollen in allen Bereichen schauen, wie wir die rund 75.000 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir bis 2030 unbedingt brauchen, bekommen können. Wir haben ein großes Maßnahmenbündel. Einerseits Qualifizierungsmaßnahmen bei den AMS, zweitens die Mangelberufliste – und drittens die Ausbildungsschiene erweitern. Wir haben jetzt schon die Fachpflegeassistenz und die Pflegeassistenz. Was uns bisher gefehlt hat, war die Lücke nach dem Abgang aus der Sekundarausbildung, das heißt zwischen 15 und Matura. Und das schließen wir mit einem Schulversuch, der österreichweit umgesetzt werden wird, damit wir hier eine Berufsausbildung mit Maturaabschluss zustande bringen. Das wird mit September starten. In den nächsten Tagen beginnt die Ausschreibung für die Standorte.

Wie viele Standorte soll es geben?

Anschober: Wir gehen von vier bis fünf Standorten aus und von 100 bis 150 Schülerinnen und Schülern, die ausgebildet werden. Ich möchte mir nach einem Jahr ansehen, wie es funktioniert. Und dann möchte ich in die Breite gehen. Wir brauchen jedes Jahr zusätzlich 4000 bis 7000 ausgebildete Menschen.

Es ist im Regierungspakt auch von einer Pflegelehre die Rede. Ist das etwas Eigenes? Oder ist mit der Lehre der Schulversuch gemeint?

Anschober: Das ist eine weitere Schiene. Sie ist aber noch nicht präzisiert. Meine persönliche Meinung: Ich glaub’, für einen 15-Jährigen, für eine 15-Jährige soll erst die theoretische Ausbildung stattfinden, die praktische Umsetzung würde ich mir für einen späteren Zeitpunkt wünschen.

Erst ab 18?

Anschober: 17, 18.

Wie schaut es mit der Finanzierung aus?

Anschober: Die wird geteilt zwischen Bund und Ländern. Der Bund übernimmt den Ausbildungsteil, die Länder übernehmen den Pflegeteil, die praktische Arbeit mit den betroffenen Menschen.

Es ist von einer Pflegeversicherung die Rede. Der Kanzler hat aber gesagt, dass die Sozialausgaben zunächst nicht steigen sollen. Was heißt zunächst? In dieser Legislaturperiode?

Anschober: Es gibt unter dem Schlagwort verschiedene Modelle. Ein System wie in Deutschland ist nicht unser Ziel. Die Finanzierung wird hauptsächlich aus öffentlichen Geldern erfolgen. Die genauen Details soll eine Task Force klären, wo wir Bund, Länder und Gemeinden an einen Tisch bringen.

Warum nennt man das dann Pflegeversicherung, wenn es keine ist?

Anschober: Wir müssen Finanzierungssicherheit geben. Ich werde in den nächsten Wochen eine „Task Force Pflege” starten und eine Zielsicherungskommission einrichten, an der Bund, Länder und Gemeinden beteiligt sind. In dieser Kommission ist das Ziel, die großen Fragen Qualitätssicherung und Finanzierungssicherung gemeinsam konsensual abzuklären. Das ist wichtig, denn es gibt unterschiedliche Finanzflüsse, und ich möchte, dass wir durch gemeinsames Arbeiten, durch ein gemeinsames Projekt, bei dem alle an einem Strang ziehen, stärker werden. Wir haben in manchen Bundesländern großartige Pilotprojekte, die werden wir versuchen, in die Breite zu bringen. Und das ist gesamt mein Arbeitsstil. Ich möchte dialogorientiert mit den anderen arbeiten, keine einsamen Entscheidungen treffen.

Zurück zur Frage nach der Bedeutung des „zunächst“.

Anschober: Das waren die Worte des Herrn Bundeskanzlers, bitte ihn zu fragen.

Das Pensionssplitting soll grundsätzlich verpflichtend werden. Wann?

Anschober: Sehr ehrliche Antwort: Das muss ich mir wirklich mit den Expertinnen und Experten im Detail anschauen. Ich möchte das Machbare abklären. Ich glaube, je früher das kommt, desto besser. Aber ich kann noch nicht sagen, wann.

Es ist eine einmalige Opt-Out-Möglichkeit vorgesehen. Müssen dieser beide Elternteile zustimmen?

Anschober. Es gibt noch keine ganz einheitliche Linie, wir werden da noch weiter reden müssen in der Regierung.

Die Arbeitsmarktagenden sind nicht in Ihrem Ressort, obwohl es viele Verschränkungen mit dem Sozialen gibt. Warum haben sie sich diese Materie aus den Händen nehmen lassen?

Anschober: Ich bedaure, dass die Arbeitsmarktagenden nicht bei mir sind. Wir haben versucht, sie im Sozialministerium zu belassen. Die Grünen sind aber keine 51 Prozent-, sondern eine 14 Prozent-Partei. Auch anderswo hätte ich mir etwas anderes gewünscht, etwa beim Kapitel Migration und Asyl. Ich kenne aber AMS-Chef Johannes Kopf lange – und habe auch großes Vertrauen in ihn.

Sind die Grünen ,schuld', dass er AMS-Vorstand bleibt?

Anschober: Das wäre eine schöne Schuld. So lange er wesentlich für die AMS-Agenden zuständig ist, bin ich zuversichtlich, dass es in die richtige Richtung geht.

Soll die Notstandshilfe bestehen bleiben?

Anschober: Ja, das ist mein Ziel, weil das eine wichtige Säule der sozialen Absicherung ist. Über Optimierungen kann man aber reden.

Wie geht es mit der Mindestsicherung weiter? Das Verfassungsgericht hat die Kernpunkte der türkis-blauen Reform ja aufgehoben.

Anschober: Ich bin dem Höchstgericht dankbar für die Aufhebung. Zur Bekämpfung der Kinderarmut, für Familien mit mehreren Kindern ist gut, dass es dieses Urteil gegeben hat. An dem kann man weiterarbeiten. Es wird jetzt eine Rechtsbewertung durch mein Haus geben. Anfang Februar werde ich mit den Sozialhilfereferenten der Länder über die Sache reden.

Die Länder können die Sozialhilfe jetzt wieder selbst gestalten, wie ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz meint? Also wird es einen Fleckerlteppich an unterschiedlichen Regelungen geben?

Anschober: Grundsätzliche Ziele sind die Armutsbekämpfung – vor allem bei Kindern. Die Rahmenbedingungen etwa bei den Wohnkosten sind je nach Bundesland aber unterschiedlich. Das kann man auf Landesebene belassen. Es wird keine Einheitsregelung sein, wie sie bei Türkis-Blau beschlossen worden war.

Im Koalitionspakt ist vermerkt, dass es mehr Medizinstudienplätze geben soll. Wie viele? Und bis wann?

Anschober: Dazu gibt es noch keine Zahl. Wir arbeiten an der Festlegung.

Und wie werden die Landarztstipendien gestaltet?

Anschober: Da sind wir noch nicht wahnsinnig weit. Es soll eine Art Bonus geben, etwa für den Aufbau einer Praxis in ländlichen Strukturen. Was die Höhe angeht: Da werde ich mit fachlich kompetenten Leuten aus der Branche das Gespräch suchen.

Gesundheitsexperten sagen unisono, es wäre wichtig, den Leistungskatalog der Krankenkassen zu aktualisieren. Dazu steht nichts im Pakt. Warum?

Anschober: Weil wir das nicht als allererste Priorität empfunden haben. Aber im Rahmen des Österreich-Dialogs in den kommenden zwei Monaten werden wir uns dem widmen. Ich bin da auch ein Lernender. Und werde jetzt vor allem zuhören, zuhören, zuhören.

Was heißt Österreich-Dialog konkret?

Anschober: Das heißt, dass ich mir den Februar und März freischaufeln werde, um mich mit fachkompetenten Personen – Experten und Betroffenen – zu treffen. Ich finde es fürchterlich, wenn Politiker – sieben Tage nachdem sie in die Funktion gekommen sind – so tun, als würden sie alles wissen. Und wenn die Gespräche dann abgeschlossen sind, will ich den Dialog auf Augenhöhe mit der Sozialpartnerschaft suchen, wobei ich auch die Zivilgesellschaft, also die NGOs, einbinden will. Ich möchte, dass dieses Ressort ein Ressort des Zusammenhalts und des Dialogs wird, dass es auch eine Art von Klimaschutz-Ressort wird – nur dass es um den Schutz des politischen Klimas geht.

Sie haben vorhin das Thema Integration angesprochen. Sie haben das Integrations- und Asyl-Kapitel verhandelt. Wie weh tut es Ihnen, dass es nun nicht bei Ihnen ressortiert?

Anschober: Es hat mich ein bisschen getröstet, dass es nun erstmals ein eigenes Integrationsministerium gibt. Ich schätze auch die Kollegin Raab sehr. Aber es ist nicht so, dass ich meine Haltung an der Ministeriumsgarderobe abgegeben hätte. Ich werde diese Themen selbstverständlich weiter verfolgen und „lästig“ sein.

Werden Sie so etwas wie der inoffizielle grüne Integrationsminister?

Anschober: Sicher nicht. Aber die Ministerin und ich werden an einer guten Gesprächskultur arbeiten.

Beim Thema Asyl und Integration gibt es ein Nebeneinander von ÖVP und Grünen. Die Grünen argumentieren „Wir sehen das eh anders, aber mehr war halt nicht drin“. Kann man diesen Standpunkt in den nächsten fünf Jahren durchhalten, vor allem wenn dann umgesetzt wird?

Anschober: Es war ja einiges drin. Wir konnten auch einiges, mit dem ich überhaupt nicht einverstanden war, rausverhandeln. Aber ja, es wird in den nächsten Jahren ein Ringen um Kompromisse werden.

Aber das Nein zum UNO-Migrationspakt pickt, oder?

Anschober: Ja. Aber ehrlich gesagt schmerzen mich jene Dinge, die mir im Regierungsabkommen fehlen, mehr. Zum Beispiel hätte ich mir einen Abschiebeschutz auch für Schüler und Studenten gewünscht. Die ÖVP muss sich auch darauf einstellen, dass ich weiter dafür kämpfen werde, dass das kommt.

Das Gespräch führte Karin Leitner