Transit-Fiasko: Notausgang gesucht, EU will Streit entschärfen
Mit Kanzler Kurz will LH Platter heute die Anti-Transit-Achse gegen Brüssel und EU-Verkehrskommissarin Valean fester schmieden. Tirol-intern ebbt die Empörung nicht ab, jedoch wächst auch der Druck auf die ÖVP.
Von Manfred Mitterwachauer
Innsbruck – Nach den heftigen Auseinandersetzungen mit EU-Verkehrskommissarin Adina Valean, die wegen der Lkw-Fahrverbote Tirol bzw. Österreich sogar den Austritt aus dem Binnenmarkt empfohlen haben soll, setzt die Kommission auf Entspannung. Dem Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Martin Selmayr, kommt offenbar die Vermittlerrolle zu. Gegenüber der TT betont der ehemalige Kabinettschef von Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dass jetzt einmal die Emotionen herausgenommen werden müssten.
Selmayr telefonierte sowohl mit Tirols LH Günther Platter (VP) als auch mit Valean. Platter wird er am 13. März in Innsbruck treffen. Die EU-Kommission werde zwischen Österreich, Deutschland und Italien vermitteln, um Umwelt- und Verkehrsbelange in angemessenen Ausgleich zu bringen, sagt Selmayr. Bei einem bereits im Jänner vereinbarten Treffen mit Platter sollen in Ruhe neue Lösungswege gefunden werden.
Platter holte sich gestern indes im ÖVP-Parteivorstand Rückendeckung. Geschlossenheit forderte er auch von den Wirtschaftsvertretern, die immer wieder Kritik geübt hatten. Diese stellten sich geschlossen hinter den ÖVP-Landeschef.
Suche nach Notausgang und Verbündeten
Das, was gestern die Klubobleute der Landtagsfraktionen aus dem Munde von LH Günther Platter (VP) und LHStv. Ingrid Felipe (Grüne) über das freitägige Fiasko-Treffen mit EU-Verkehrskommissarin Adina Valean (EVP) zu hören bekamen, wird heute auch VP-intern zwischen Platter und Kanzler Sebastian Kurz besprochen werden. Und wohl auch, in welchen Worten sich Platter – wie angedroht – in seinem Protest-Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über Valean beschwert. Um auf dem diplomatischen Parkett nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, wollte Platter vorerst das Briefgeheimnis wahren. Man erwarte sich aber von der Kommission die Unterstützung für die Korridormaut. Dem Vernehmen nach aber auch eine (informelle) Rüge von der Leyens gegenüber Valean.
Valeans Auftritt, ihre Brüskierung der Anti-Transit-Maßnahmen und ihre scheinbare Sympathie für die deutsche und italienische „Freie-Fahrt-Politik“ lassen Tirol jetzt eifrig nach einem Notausgang und Verbündeten suchen. Der Schulterschluss mit der Bundesregierung soll heute erneuert, das weitere Vorgehen gegen die oder mit der EU-Kommission besprochen werden. Platter sieht in Tirol weiter „alle an einem Strang ziehen“ und ein „geschlossenes Vorgehen von Bund und Land“. Felipe sagt, dass nun von allen gegenüber Brüssel „Haltung und Rückgrat“ vonnöten sei.
Opposition übt Kritik
Und auch wenn sich Platter und Felipe gestern Abend der Rückendeckung alle Landtagsfraktionen versicherten, die Opposition übt auch Kritik. „Die ÖVP kann sich innerfamiliär nicht durchsetzen“, verweist SP-Landeschef Georg Dornauer darauf, dass Valean Teil der Europäischen Volkspartei sei. Das führt auch NEOS-KO Dominik Oberhofer gegen Platter ins Treffen: „Die EVP-Kommissarin ist nicht vor der Lkw-Lobby eingeknickt, sondern hat die CSU-Agenden 1:1 übernommen.“ KO Andrea Haselwanter-Schneider (Liste Fritz) nimmt aber auch den Juniorpartner der Türkisen, Grünen-Verkehrsministerin Leonore Gewessler, in die Pflicht. Von ihr hätte sie sich einen schneidigeren Auftritt gewünscht: „Ich hätte Valean die Blumen im Tunnel vor die Füße geworfen.“ Der Platter’sche Beschwerdebrief sei „viel zu wenig“.
Apropos Taten: FP-Landeschef Markus Abwerzger will das sektorale Fahrverbot jetzt auf alle nicht-verderblichen Waren ausweiten – vorausgesetzt, die Bahnkapazitäten reichen. An Blockaden der Brennerautobahn hält er fest. Selbige kündigt VP-LA Alois Margreiter auf der Inntalautobahn bei Kufstein an, ebenso zeigen sich Wipptaler Bürgermeister nicht abgeneigt. Platter will keinen von Blockaden abhalten, aber auch nicht aktiv dazu aufrufen. Transitforumchef Fritz Gurgiser forderte gestern von Kurz das Ende des Dieselprivilegs erneut ein.
Enttäuscht von Valean und deren Treffen mit der italienischen Verkehrsministerin Paola De Micheli zeigten sich gestern aber auch die Frächter im Süden. Die italienische Regierung dürfe keine Zeit mehr verlieren, so der Verband Conftrasporto: „Seit 30 Jahren sind wir Österreichs Geiseln."
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Innsbruck, Wien – Fahrt und Emotionen rausnehmen. So lautet die Devise von Martin Selmayr. Der aus Deutschland stammende hochrangige EU-Beamte leitet seit November die Vertretung der EU-Kommission in Österreich. Als seinerzeitiger Kabinettschef von Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kennt er nur zu gut die Anliegen von Landeshauptmann Günther Platter (VP). Auch von Besuchen in Tirol. Selmayr will jetzt nicht zurück-, sondern nach vorne schauen. Und die Transit-Brösel wegwischen. Denn: „Die EU-Kommission versteht die Sorgen der Tiroler vor übermäßiger Belastung ihrer Umwelt. Die Sorgen der Tiroler sind auch unsere Sorgen“, bestätigte er gegenüber der TT nach einem Gespräch mit Günther Platter.
Ein bereits im Jänner vereinbartes Treffen mit ihm am 13. März in Innsbruck erhält jetzt plötzlich viel Brisanz. Die Dynamik der Emotionen möchte Selmayr auf beiden Seiten herausnehmen, „denn es benötigt einen Kompromiss“, wie er sagt. Denn Europa sei ein Friedensprojekt. Selmayr hat auch mit EU-Verkehrsministerin Adina Valean gesprochen. Vorerst dürfte Selmayr eine Vermittlerrolle wahrnehmen und dann im März mit Platter die nächsten Schritte besprechen.
Hinter den Kulissen hat der Konflikt zwischen Tirol und der EU-Verkehrskommissarin vom Freitag jedenfalls viel Staub in Brüssel aufgewirbelt, wie am Montag aus Brüssel zu hören war. Die EU-Kommission kann zwar mit den (verschärften) Lkw-Fahrverboten in Tirol nicht viel anfangen, zugleich dürfte ihr aber bewusst sein, dass es Entlastungsmaßnahmen benötigt. Auch im Sinne des von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerufenen „Grünen Deal“. Vor allem Bayern will die EU-Kommission deshalb in die Pflicht nehmen. Dass Deutschland bei der Umsetzung des 10-Punkte-Plans vom Verkehrsgipfel in Berlin vom Juli des Vorjahres säumig ist, wird hauptsächlich Bayern angelastet.
Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wird hingegen nicht als geeignetes Mittel gesehen, um den als schwierig bezeichneten Transitstreit mit Tirol zu lösen. Italien und Deutschland drängen hingegen auf Schritte gegen Österreich. Verkehrskommissarin Adina Valean könnte nach dem „verpatzten Start“ doch noch eine zentrale Position einnehmen. In Brüssel wird nämlich ernsthaft überlegt, aus dem Zehn-Punkte-Plan von Berlin ein europäisches Zehn-Punkte-Programm zur Eindämmung des Alpentransits über den Brenner zu formulieren. Valean soll es federführend ausarbeiten. Davon erhofft sich die Europäische Kommission mehr Fortschritte als durch einen Konfrontationskurs.
Den nächsten öffentlichen Auftritt hat die EU-Verkehrskommissarin am Donnerstag im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments. Das ist auch die Stunde der Wahrheit für die ÖVP auf dem europäischen Parkett. Es wird sich zeigen, wie ernst es der ÖVP tatsächlich ist, Valean in die verkehrspolitische Zange zu nehmen. Die Rumänin – immerhin Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) – wird dann nämlich dem Verkehrsausschuss des Europaparlaments ihre zukünftige Verkehrsstrategie vorlegen. Als stellvertretende EVP-Verkehrssprecherin hat Tirols EU-Abgeordnete Barbara Thaler (VP) dieses Mal das Recht, Valean die erste Frage zu stellen. Der Brenner-Zwist dürfte auf der Hand liegen. „Ich werde sie definitiv darauf ansprechen, wie es weitergehen soll“, sagt Thaler im Vorfeld. Wenngleich sie festhält, dass „wir weiterverhandeln müssen“. Die Achse Tirol-Brüssel dürfe nicht abbrechen. (pn, mami)