Italien

Italienische Städte als neues Wuhan: „Pandemie nicht vermeidbar“

Die italienische Regierung hat am Samstagabend die Isolation von etwa einem Dutzend Städten angekündigt.
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Städte abgeriegelt, menschenleere Gassen, rasant steigende Infektionszahlen – diesmal nicht in China, sondern direkt vor unserer Haustür: Italien wird von einem Covid-19-Ausbruch überraschenden Ausmaßes erfasst. Damit steigt auch das Risiko für Österreich.

Von Alvise Armellini und Annett Stein, dpa

Rom – Beim Karneval in Venedig sind sie immer sehr präsent: die typischen Schnabelmasken, die Ärzte in Zeiten der Pest trugen, um sich zu schützen. Doch zunehmend bestimmt in Norditalien ein anderer Mundschutz das Straßenbild, der Karneval wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt: Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 ist im Land. Wie großflächig es schon um sich gegriffen hat, lässt sich derzeit kaum absehen.

Es ist der weitaus schlimmste bekannte Ausbruch von Sars-CoV-2 in Europa. In der stark betroffenen Stadt Codogno waren viele Straßen am Wochenende menschenleer, die Stadt wirkte wie eine italienische Miniaturausgabe der abgeriegelten chinesischen Millionenstadt Wuhan. Unter den Infizierten ist auch mindestens ein Unilever-Beschäftigter, Mitarbeiter der lokalen Fabrik des Verbrauchsgüterkonzerns tragen auf der Straße Mundschutz –und immer mehr Anwohner tun es ihnen gleich. Etliche Schulen und Geschäfte sind geschlossen, zig Sportveranstaltungen und andere Großevents abgesagt.

Notverordnung in Südtirol unterzeichnet

Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher hat am Sonntagvormittag eine Notverordnung unterschrieben, durch die das Risiko einer Ausbreitung des Coronavirus im Südtirol minimiert werden soll. Demnach bleiben ab morgen, Montag, alle Kleinkindbetreuungseinrichtungen, die Freie Universität Bozen und weitere Bildungseinrichtungen geschlossen.

Von der Schließung betroffen sind sowohl öffentliche als auch private Einrichtungen zur Kleinkindbetreuung. Auch an der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe "Claudiana" und am Konvervatorium "Monteverdi" wird der Unterricht ausgesetzt.

Grundlage für die gesetzten Maßnahmen war ein Schreiben des Generaldirektors des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Florian Zerzer, vom Samstagabend, in dem er Kompatscher über den aktuellen Stand im Hinblick auf das Coronavirus informierte. In der Notverordnung wird zudem ausgeführt, wie mit Menschen umzugehen ist, die aus Risikozonen kommen oder mit Personen in Kontakt waren, die Symptome der Viruserkrankung zeigen. Ebenso wurde festgelegt, wie vorzugehen ist, wenn jemand Symptome einer Coronaviruserkrankung aufweist.

Rasante Ausbreitung binnen weniger Tage

Für die Menschen Norditaliens ist die rasante Entwicklung kaum zu fassen, Angst greift um sich. Bis Mittwoch schien die Welt noch in Ordnung, nur drei Infektionen waren landesweit bekannt, alle drei wurden früh erkannt. Am Donnerstag folgte der Schock: Bei einem schwer erkrankten 38-Jährigen in einer Klinik in Codogno wurde das Virus nachgewiesen. Die italienischen Behörden reagierten schnell, stellten zig Menschen unter Quarantäne, veranlassten umfassende Tests auf das Virus bei Krankenhauspersonal, Verwandten, Arbeitskollegen und Freunden des Mannes.

Doch das Virus hatte da schon längst Dutzende weitere Menschen erfasst, darunter Ärzte und Krankenschwester der Klinik in Codogno. Unterdessen wurde ein weiterer, zunächst deutlich kleinerer Ausbruch in Venetien bekannt. Dort starb in der Gemeinde Vo ein 78-Jähriger wohl an Covid-19, der vom Virus verursachten Lungenkrankheit, wie die Behörden annehmen. Mehr als zehn Menschen in seinem Umkreis sind ebenfalls infiziert. In der Lombardei wurde das Virus bei einer am Donnerstag verstorbenen 77-Jährigen nachgewiesen.

In ganz Norditalien wurden bisher 115 Coronavirus-Fälle gemeldet. Damit ist Italien weltweit auf Platz vier, in Europa gar auf Platz eins in der Liste der Länder mit den meisten Coronavirus-Erkrankungen aufgerückt.
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Am Samstagabend greift die italienische Regierung hart durch, um eine weitere Ausbreitung von Covid-19 im wirtschaftlich wichtigen Norden einzudämmen: Knapp ein Dutzend Orte südöstlich von Mailand mit etwa 50.000 Einwohnern sowie Vo mit rund 3000 Bewohnern werden abgeriegelt. „Das Betreten und Verlassen dieser Gebiete ist verboten“, sagte Regierungschef Giuseppe Conte. Sicherheitskräfte würden eingesetzt. „Wenn nötig, werden es auch die Streitkräfte sein.“ Wer versuche, die Absperrungen zu umgehen, dem drohe „strafrechtliche Verfolgung“. Auch ein verfrühtes Ende des eigentlich noch bis Dienstag dauernden Karnevals in Venedig wird erwogen.

Suche nach "Patient 0"

Derweil wird nach dem Ursprung beider Ausbrüche gesucht: Wo steckten sich die beiden 38 und 78 Jahre alten Männer an, auf die wohl alle weiteren Nachweise in Venetien, der Lombardei und dem Piemont zurückgehen? Vollkommen unklar. Im Unterschied zum Aufflackern von Sars-CoV-2 in Bayern mit insgesamt 14 Infizierten gibt es keinen „Patient 0“, keinen bekannten Ersterkrankten. Möglicherweise brachten Touristen oder Geschäftsleute aus China das Virus irgendwann unwissentlich mit. Die Statistiker zählen in Italien rund 300.000 Chinesen, dazu kamen zuletzt jährlich 5,3 Millionen Übernachtungen aus dem Land.

Im Krankenhaus von Codogno müssen immer mehr Infizierte behandelt werden.
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Pandemie wohl nicht aufzuhalten

Die Entwicklung in Italien zeigt ebenso wie die zunehmend kritische Situation in Südkorea, dem Iran und anderen Ländern, dass eine Pandemie, ein unaufhaltsamer weltweiter Siegeszug des Virus, wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Noch am Freitag hatte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gewarnt, dass das Zeitfenster dafür immer kleiner werde. „Wir dürfen nicht eines Tages zurückblicken und es bereuen, dass wir von diesem Zeitfenster nicht Gebrauch gemacht haben“, so Tedros Adhanom Ghebreyesus. Ist es nun zu spät?

Nehammer: "Wir sind gut gerüstet in Österreich"

"Wir sind gut gerüstet in Österreich", sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bei einem Medientermin im Innenministerium am Sonntagvormittag anlässlich der Verbreitung des neuartigen Coronavirus in Italien mit zwei Todesfällen. "Es gibt keinen Grund zur Panik." Mit den italienischen Behörden sei man in enger Abstimmung. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass es keinen Fall in Österreich gibt."

"Die Lage in Italien nehmen wir sehr ernst", so Nehammer. Der Einsatzstab des Innenministeriums werde morgen, Montag, erneut zusammenkommen. In Österreich gab es bisher 181 Verdachtsfälle, die sich alle nicht bestätigt haben.

„Eine Eindämmung in letzter Sekunde ist wohl auch mit allen verfügbaren Kräften nicht mehr erreichbar“, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Das wohl auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergesprungene Virus spielt seinen Trumpf aus: Weil die meisten Infektionen mit Sars-CoV-2 mild verlaufen, sind sie kaum erfassbar.

Die Straßen und Gassen in Codogno sind menschenleer.
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Seine Eigenschaften ermöglichten Sars-CoV-2 eine unbemerkte Übertragung, erklärt Drosten. Wer nur milde oder keine Symptome hat, geht nicht zum Arzt und wird nicht getestet – kann das Virus aber auf Dutzende andere Menschen übertragen, die es wiederum in ihr Netz von Sozial- und Arbeitskontakten tragen. Nach einer Modellrechnung des Imperial College London würden geschätzt nur ein Drittel aller importierten Fälle aus China überhaupt wahrgenommen, so Drosten. „Ich glaube nicht mehr daran, dass eine Pandemie vermeidbar ist.“

Viele Infektionen kommen schleichend

In immer mehr Ländern fällt erst auf, dass das Virus längst große Kreise gezogen hat, wenn Menschen schwer erkranken oder sterben. So war es im Iran, so war es in Südkorea, so ist es nun auch in Italien. Und auch in etlichen anderen Ländern könnten längst Ausbrüche um sich greifen, von denen bisher niemand ahnt – auch in Deutschland oder Österreich. „Irgendwann wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass unbemerkte Infektionen plötzlich bemerkt werden“, hatte Drosten kürzlich erklärt.

Wegen des behördlichen Erlasses müssen Geschäfte, Schulen, Kindergärten und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen bleiben.
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In so manchem privaten Kommentar im Internet war in den vergangenen Wochen zu lesen, es werde viel zu viel Aufhebens um ein Virus gemacht, dass nur ein paar alte Leute sterben lasse, man solle die Epidemie doch einfach laufen lassen. Zum einen mag dahingestellt bleiben, ob die Schreiber solcher Bemerkungen das so auch ihren Eltern oder Großeltern sagen würden. Zum anderen gibt es gute Gründe, Ausbrüche so gut wie möglich einzudämmen.

Coronavirus-Ausbruch: Norditaliens abgeriegelte Städte

Angesichts des Ausbruchs des Virus Sars-CoV-2 hat die italienische Regierung als drastische Notfallmaßnahme die Abriegelung mehrerer Gemeinden im Norden des Landes angeordnet. Betroffen sind elf Städte in Gebieten, in denen sich das neuartige Virus rasant ausgebreitet hat. Die Zeitung Corriere della Sera spricht von einer Sperre nach „Wuhan-Modell“.

Dazu gehören zehn Gemeinden in der Provinz Lodi in der Lombardei rund 60 Kilometer südöstlich der Metropole Mailand: Codogno, Castiglione d’Adda, Casalpusterlengo, Fombio, Maleo, Somaglia, Bertonico, Terranova dei Passerini, Castelgerundo und San Fiorano. Hier leben insgesamt rund 50.000 Einwohner. Die elfte Gemeinde ist die Stadt Vo in der Provinz Padua in Venetien mit rund 3000 Einwohnern.

Betreten und Verlassen verboten

Eine Abriegelung der Ortschaften bedeutet, dass das Betreten oder Verlassen verboten ist, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärte. Die Anordnung werde von der Polizei und notfalls auch der Armee durchgesetzt, jedwede Verletzung dieser Sperre werde strafrechtlich verfolgt.

Bis zum Sonntag waren Anwohner der betroffenen Städte lediglich angewiesen, das Gebiet nicht zu verlassen. Conte zufolge habe man sich auf strengeren Maßnahmen geeinigt, nachdem eine Familie abgefangen wurde, die im Begriff gewesen sei, eine der Städte verlassen.

Nach Angaben des italienischen Ministerpräsidenten sollten die Maßnahmen für zwei Wochen gelten, was der normalen Inkubationszeit für die vom Virus verursachte Lungenkrankheit Covid-19 entspreche. Er rief die Bevölkerung auf, nicht den Mut zu verlieren. „Wir werden euch eine angemessene Unterstützung geben. Wir nehmen wahr, dass es Bedenken in euren Köpfen und Herzen gibt, aber wir stehen an eurer Seite.“

Erstens sei nicht genau abzuschätzen, wie die Schwere, Sterblichkeit und die Risiko-Gruppen aussähen, wenn Covid-19 große Bevölkerungsteile Deutschlands erfassen würde, erklärt Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. „Zweitens haben wir – anders als bei Influenza – keinen Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung und werden ihn auch nicht rechtzeitig einsetzbar haben.“ Auch speziell auf den Kampf gegen das Virus zugeschnittene Medikamente seien nicht so rasch verfügbar.

Infektion könnte abflauen

Schon Mitte Februar hatte es vom Robert Koch-Institut (RKI) geheißen, Ziel in Deutschland sei es, eine Erkrankungswelle hinauszuzögern, um zu vermeiden, dass die Covid-19- und die derzeitige Grippewelle zusammenfallen. Das würde eine kaum zu stemmende Doppelbelastung von Kliniken und Praxen bedeuten. „Wir müssen mit angemessenem Aufwand versuchen, die Ausbreitung zu verlangsamen, um einen intensiven Belastungspuls auf das Gesundheitssystem abzumildern“, erklärt Drosten. „Die Zahl der Infektionen sollte über eine möglichst lange Zeit ausgedehnt werden.“

Zwei Personen sind in Italien bereits an dem neuartigen Virus gestorben. Die Angst geht vor allem in der Lombardei um, wo es binnen weniger Tage eine rasante Ausbreitung gab.
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Manche Experten hoffen darauf, dass der Covid-19-Erreger in einer Eigenheit dem genetisch eng verwandten Sars-Virus ähnelt: Die Epidemie mit insgesamt etwa 8000 erfassten Infektionen war nach einem bis dahin stürmischen Anstieg im April und Mai 2003 sehr rasch abgeflaut. Ähnlich wie die Grippewelle könnte auch die Covid-19-Welle im Frühjahr abflauen, so eine vage Vermutung.

Das Sars-Virus wurde nach 2003 nie wieder bei Menschen nachgewiesen. Das allerdings wird allein angesichts der schieren Zahl der Infektionen bei Covid-19 womöglich anders sein. Die Lungenkrankheit könne zu einer etablierten Krankheit wie die Grippe werden, hatte Wang Chen, Präsident der China Academy of Medical Science, kürzlich gesagt.

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