Radsport

Ex-Radprofi Eisel: „Uns geht es besser als dem Fußball“

Bernhard Eisel beim Klassiker Paris-Roubaix: Künftig wird das Rennen wohl auch virtuell bestritten.
© Fotoreporter Sirotti Stefano

Kinderlachen im Hintergrund, kein Rennrad mehr im Keller: Der steirische Ex-Radprofi Bernhard Eisel (39) ist heuer nach zwölf Tour-de-France-Teilnahmen und seinem Rücktritt im Alltag ohne Sport angekommen.

Kommt man bei dem tollen Wetter nicht in Versuchung, am Südufer des Wörthersees in die Pedale zu treten?

Bernhard Eisel: Ich hätte nicht einmal mehr ein Rad zuhause. Neben den Kindern – die hört man ja im Hintergrund – konzentriere ich mich auf andere Themen wie meine Expertentätigkeit.

Wie arbeiten Sie, zumal ja keine Rennen stattfinden?

Eisel: Wir bedienen derzeit unsere Kanäle auf GCN, Global Cycling Network, mit Interessantem aus dem Radsport. Auch auf Eurosport sind wir sehr aktiv, diese Woche kommt wieder mehr Radfahren, aber ohne Live-Bilder. Eine sehr schwierige Aufgabe, aber sehr interessant.

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Aber auf virtueller Ebene schon! Gestern gewann Olympiasieger Greg van Avermaert die Flandernrundfahrt – im Wohnzimmer also. Wie finden Sie das?

Eisel: Gut, auch wenn das Produkt noch nicht zu 100 Prozent passt. Aber es ist gut, das jetzt zu implementieren, wenn die Leute noch nicht so kritisch sind. Der reelle Radsport wird nach Covid-19 sicherlich mehr geschätzt. Wo es Live-Daten gibt, wird das überall kommen.

Wie empfinden Sie als Privatmann die Rennen?

Eisel: Ich beschäftige mich viel damit, jeden Tag wird es besser. Die Mitgliederzahl explodiert. Keiner muss alleine Rad fahren, sondern kann das mit 100.000 Leuten tun. Die realen Profiteams organisieren sich, selbst Taktik ist dabei.

Nur Technik und Mut, etwa bei einer haarsträubenden Abfahrt, lassen sich nicht simulieren.

Eisel: Das ist schwer zu kreieren, aber Räder, die sich mitbewegen, sind bereits im Test – so wie bei einem Formel-1-Simulator.

Zurück in den realen Radsport: Die Veranstalter der Tour de France weigern sich beharrlich, die heurige Auflage abzusagen. Wie geht es Ihnen als ehemaliger Fahrersprecher damit?

Eisel: Jeder versucht, die Veranstaltung so lange wie möglich am Leben zu halten, da geht es auch um Vertragsangelegenheiten. Und sollte sich Frankreich erholen, die Situation in den Griff bekommen, wären das drei Wochen Feiertag für die Leute. Die Zuschauerzahlen im Fernsehen wären immens.

Wie leicht wäre das umzusetzen?

Eisel: In der jetzigen Lage fast unmöglich. Die Frage lautet eher: Lässt sich die Veranstaltung verschieben? Bis hin zu jedem Kreisverkehr müsste alles neu ausgeschrieben werden, das wäre äußerst kostenintensiv.

Würde das die Fahrer überhaupt interessieren, wenn sie möglicherweise sogar ohne Zuschauer am Streckenrand unterwegs wären?

Eisel: Die Fahrer würden alles tun, um endlich Rennen fahren zu können. Die würden sogar ein Einzelzeitfahren über 21 Tage durch Frankreich machen, wenn sie nur nicht mehr daheim herumsitzen müssten. Jeder Sportler will raus und sich mit seinen Gegnern messen.

Geht es den Radsportlern derzeit schlecht?

Eisel: Natürlich müssen die Profis Gehaltseinbußen von zehn bis 30 Prozent hinnehmen, aber das ist immerhin leicht verdientes Geld: Die Gehälter kommen, und reisen muss man auch weniger. Die schwierige Situation ergibt sich eher danach, bei Sponsoren, die den Lockdown spüren und gravierende Umsatzeinbrüche haben.

Wie geht es den Teams?

Eisel: Der Radsport lebt nicht so wie der Fußball von TV-Geldern oder Zuschauereinnahmen, da geht’s uns ein bisschen besser. Aber die Sponsoren wollen natürlich eine Plattform.

Also lässt sich die Situation nicht mit dem Fußball vergleichen?

Eisel: Wenn ich sehe, dass Champions-League-Vereine mit Spielern im Wert von 100 Millionen Euro ihre Mitarbeiter arbeitslos melden, fehlt mir das Verständnis. Auch wenn ich lese, dass Golfplätze extreme Umsatzeinbußen haben. Nichts gegen Golf, aber das fällt für mich unter Jammern auf hohem Niveau.

Was bedauern Sie derzeit besonders im Sport?

Eisel: Die kleinen Sportvereine, die Kinder, die derzeit nicht trainieren können.

Der US-Dopingfahnder Travis Tygart – er war in den Fall Lance Armstrong involviert – meinte: Das könnte jetzt die Hoch-Zeit für Manipulationen sein.

Eisel: Ein paar besonders Schlaue, die dann ohnehin auf die Nase fallen, wird es immer geben. Ich glaube, dass es im Sport jetzt um andere Sachen geht. Neue Qualifikationen für die Olympischen Spiele 2021! Wie werden Sportförderungen ohne Wettkämpfe vergeben? Wie viele Vereine können die Krise überstehen?

In den vergangenen Monaten kam es zu Dopingprozessen rund um heimische Langläufer und Radsportler, deren Vergehen als schwerer gewerbsmäßiger Betrug eingeordnet wurde. Zu scharf für Ihre Begriffe?

Eisel: Wenn das Ausmaß ein großes ist, kann man das durchaus gutheißen. Aber ich würde mich nicht als Experten bezeichnen, mit dem Thema habe ich mich nicht auseinandergesetzt.

Der Radsport ist im Wandel begriffen. Glauben Sie, dass sich die Stärkenverhältnisse nach der Corona-Krise geändert haben?

Eisel: Leute wie Dumoulin oder Froome werden auch danach wieder gut sein. Die können regenerieren und trainieren, da wird sich nichts ändern. Schwierig ist so ein Jahr des Stillstands eher für junge Fahrer, von denen viele nur Ein-Jahres-Verträge bekommen. Für die wird es mental ein schwieriges Jahr, ihre Trainer sind wohl genauso Mentalcoach. Stars können da viel entspannter sein.

Glauben Sie, dass die Rad-WM im September (Schweiz) auch tatsächlich stattfinden kann?

Eisel: Ich glaube schon. Rundkurse sind leichter zu organisieren, nötigenfalls auch ohne Zuschauer.

Das Gespräch führte Florian Madl