Coronavirus

Covid-Situation kann Verlust gesunder Lebensjahre bringen

Viele Praxen haben angesichts der Corona-Krise geschlossen, zahlreiche Operationen wurden verschoben.
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Wie viele gesunde Lebensjahre gehen durch Covid-19 gerade verloren? Diese Frage stellt sich angesichts der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Auf nicht unmittelbar Erkrankte könnten geschlossene Arztpraxen und verschobene OPs durchaus Folgen haben.

Wien – "Wie viele gesunde Lebensjahre gehen durch Covid-19 gerade verloren?" – Das fragen sich der Grazer Public Health-Experte Martin Sprenger und seine Kollegen. Denn die Maßnahmen zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung durch Covid-19-Patienten wie etwa die Reduktion sozialer Kontakte sind jedenfalls in der gesamten Gesellschaft spürbar.

Langzeitauswirkung auf nicht unmittelbar Erkrankte unbekannt

Sie wirken sich auf die Psyche, das Zusammenleben, die wirtschaftliche Sicherheit und nicht zuletzt auch auf die gesundheitliche Situation Nicht-Erkrankter aus. Wenn etwa Arztpraxen geschlossen oder nicht unmittelbar notwendige Operationen verschoben werden, ist das auch für nicht vom Coronavirus Betroffene einschneidend. Die Frage sei nun auch: "Wie viele gesunde Lebensjahre gehen durch Covid-19 gerade verloren?", so der Grazer Public Health-Experte Martin Sprenger. Da vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen das höchste Sterberisiko haben, halte sich der Effekt zumindest bisher vermutlich in Grenzen.

"Interessanter ist jetzt die Frage, wie viele gesunde Lebensjahre durch eine Regelversorgung im 'Covid-19-Modus' verloren gehen und wie viel Schaden hier gerade entsteht. Momentan läuft das aber unter dem Radar", sagte Sprenger. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, beschäftigen sich der Forscher und seine Kollegen derzeit mit dem Sammeln von "teilweise dramatischen" Fallgeschichten, wo Veränderungen in der Versorgung von akuten und chronischen Erkrankungen zum Teil große Auswirkungen hatten.

Der Grund liegt unter anderem bei den strikteren Aufnahmekriterien von Krankenhäusern, der erschwerten Zugänglichkeit von Fachärzten – vor allem im Bereich der bildgebenden Verfahren –, der Distanzierung von Ärzten und Patienten und dem erschwerten Zugang zu Therapeuten. Wie viele Österreicher nun mit Unter- und Fehlversorgung konfrontiert sind, wäre wichtig herauszufinden, so der Forscher von der Medizinischen Universität Graz. Auch eine steigende Arbeitslosigkeit hat bekanntermaßen negative gesundheitliche Auswirkungen.

Forderung nach möglichst "wissensbasiertem Risikomanagement"

Diese Effekte würden voraussichtlich durch wenige positive Veränderungen, wie etwa der leicht reduzierten Luftverschmutzung, nicht ausgeglichen, so der Grazer Experte. "Um überhaupt in den Diskurs einzusteigen", bräuchten Wissenschafter, etwa aus den Bereichen Demographie, Soziologie, Ökonomie und Gesundheitswissenschaften jedoch die notwendigen Daten.

Österreich müsse laut Sprenger rasch auch ein wissensbasiertes Risikomanagement etablieren, das den drohenden Verlust von gesunden Lebensjahren mit im Auge behält. "Dazu braucht es aber vor allem eine ständig anzupassende transparente und der Bevölkerung verständlich kommunizierte Exit-Strategie für die nächsten Monate", schreibt der Wissenschafter in einer Analyse. (APA)

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