Coronavirus

Wenn die Kinderseele zu leiden beginnt: Hilfe in der Corona-Krise

Kinder spüren die Sorgen ihrer Eltern und vermissen ihre Freunde. Wenn ihre Seele zu sehr leidet, können Psychiater und Psychologen auch derzeit helfen.
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Ausgangsbeschränkungen, keine Schule, kein Kontakt zu Freunden: Auch Kinder spüren die volle Wucht der Corona-Krise. Wie Eltern selbst helfen können, wann Hilfe von Profis nötig ist und wie diese derzeit praktizieren, erklären zwei Expertinnen.

Von Monika Schramm

Innsbruck – Auf dem Pausenhof mit Freunden spielen, am Nachmittag über den Spielplatz toben, bei Oma und Opa Kuchen essen: Das alles fällt derzeit aus. Stattdessen sind sie daheim. Manchmal auf engem Raum, ohne Balkon, ohne Garten. Rund um die Uhr mit Mama, Papa und Geschwistern. Weil ein Virus die ganz Welt ausgebremst hat.

Nicht nur der Alltag der Erwachsenen hat sich binnen Stunden komplett verändert. Auch Kinder und Jugendlich erleben die Ausnahmesituation. Auch ihre Seele muss damit klar kommen.

"Angst ist ansteckender als der Coronavirus", sagt Kathrin Hulak. Die Klinische Psychologin betreut sich in ihrer Praxis in Schwaz viele Kinder und Jugendliche. Kinder spüren, wenn ihre Eltern Angst haben – um ihren Job, vor der Krankheit –, Sorgen mit sich tragen. Und sie sehen, wie Mutter und Vater mit der Situation umgehen. "Kinder lernen am Modell. Gerade jüngere übernehmen das Verhalten der Erwachsenen", erklärt Kathrin Hulak. Durch die Ausgangseinschränkungen fehlen nun andere Vorbilder, Großeltern zum Beispiel, Nachbarn oder die Eltern der Kindergarten- und Schulfreunde.

Ängste im Spiel verarbeiten

Was helfen kann? Den Kindern erklären, was gerade vor sich geht. "Sonst entwickeln die Kinder ihre eigenen Fantasien. Und die sind nicht lustig." Denn was man nicht kennt, was man nicht sieht, das kann einen in Panik versetzten. Es sei wie die Angst im Dunkeln. "So lange es finster ist, malt sich meine Fantasie Schreckensbilder aus. Sobald aber Licht da ist und ich sehen kann, dass um mich herum alles in Ordnung ist, ist auch die Angst verschwunden", sagt Kathrin Hulak.

Die Psychologin rät, den Kindern die Fakten zu erklären, aber wohl dosiert: "So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich." Die Ängste sollten nicht klein gemacht werden. "Als Erwachsener kann ich meinem Kind aber auch sagen: 'Du darfst Angst haben, denn das Virus ist Realität.'" Wichtig sei, dabei zu zu vermitteln: "Wir sind für dich da. Gemeinsam schaffen wir das." Eine Umarmung, kleine Rituale helfen hier ebenfalls.

Und zu spielen. "Kinder fangen schnell an, die Situation im Spiel zu verarbeiten. Sie spielen Dinge nach: Das Virus, das angreift; Menschen, die ins Krankenhaus müssen", sagt Kathrin Hulak. Das sei gut für sie und Eltern sollten das zulassen. Auf der spielerischen Ebene könnten die Erwachsenen dann auch lenkend eingreifen, so die Psychologin.

Wenn Kinder ihr Seelenleben gut kaschieren

Aber wie können Eltern erkennen, dass die Seele zu leiden beginnt? "Das ist nicht immer leicht und jeder Mensch zeigt andere Muster, wenn es ihm nicht gut geht", sagt dazu Susanne Bongardt, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. "Einerseits gibt es Kinder, bei denen man es deutlich beobachten kann – zum Beispiel an Antriebsmangel, Verlust an Freude, depressiver Stimmungslage, Schlafstörungen, Unfähigkeit Aufgaben zu bewältigen, Rückzug, Appetitsänderungen usw." Andere Kinder und Jugendliche könnten dies wiederum ganz ausgezeichnet überspielen. "Gerade Kinder mit einer guten Intelligenz können oft ihr Innenleben sehr gut kaschieren."

Da Familien und Kinder sehr unterschiedlich sind, gibt es kein Patentrezept –kinderpsychiatrische Behandlung ist deshalb individuell und ganz auf die Person abgestimmt. Manchmal ist es Ruhe, manchmal Aktivierung, die gefragt sei. "Es gibt aus kinderpsychiatrischer Sicht keine einfache Antwort." Auch andere Faktoren spielen eine Rolle: wie konfliktbehaftet die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist. Wenn es anderen in der Familie gerade auch nicht gut geht, könne eine krankheitsfördernde Dynamik entstehen.

Im Zweifel ist Hilfe von Außen gefragt: "Eine Fachperson, die nicht in dem Familiengefüge verstrickt ist, ist oft an sich eine gute Entlastung. Öfter höre ich als Fachfrau, dass die Kinder Ihre Eltern nicht belasten möchten und sie sich freuen, offen über ihre 'dunklen Seiten' sprechen zu können", sagt Susanne Bongardt.

Kontakte

Rat auf Draht: Unter Tel. 147 oder im Internet unter https://www.rataufdraht.at/ bekommen Kinder und Jugendliche kostenlos, rund um die Uhr erste Hilfe.

Homepage des Tiroler Landesverbands für Psychotherapie

Videosprechstunde: Tirols Psychiater und Psychologen sind trotz der bestehenden Auflagen erreichbar und behandeln auch per Telemedizin (Videoanruf oder Telefon).

Kinderpsychiaterin Susanne Bongardt: Terminvereinbarung ist über die Homepage der Fachärztin aus Mieming möglich. Weitere Infos: www.kinderjugend.com

Psychologin Kathrin Hulak: Therapieangebote und weiter Infos finden Sie auf der Homepage www.studio-wendepunkte.at

Wie die Schule daheim erträglicher werden kann

Manchen Kindern und Jugendlichen setzt das ständige "Drinnen-sein-müssen" sehr zu. Andere leiden unter dem Heimunterricht. Konfliktpotential steckt genug darin. "Du musst jetzt aber ...", ist ein Satz, an dem sich hitzigste Diskussionen entzünden können. "Aber es kann auch eine Chance sein", sagt Kathrin Hulak. Die Psychologin erklärt: "Wenn ich meinem Kind erlaube, seinen eigenen Rhythmus zu finden, dann kann der Hausunterricht auch ganz problemlos funktionieren." Manche wollen gleich in der Früh ihr Pensum absolvieren, andere sind eher am Nachmittag zum Lernen motiviert. "Wenn ich dem Kind das Vertrauen schenke, selbst zu entscheiden, dann übernimmt es auch die Eigenverantwortung und wird mit Freude lernen." Das habe sie auch zur Zeit in ihrer eigenen Praxis erfahren.

Wenn die Eltern den Verdacht haben, dass die Kinderseele leidet, raten beide Expertinnen zur professionellen Hilfe. Psychiater und Psychologen sind trotz der Auflagen derzeit erreichbar und behandeln auch – via Telemedizin oder Video. In Ausnahmefällen ist – unter Berücksichtigung aller Sicherheitsmaßnahmen, also Abstand und Mund-Nasen-Schutz – auch eine Sitzung in der Praxis möglich. "Es ist in Ordnung, sich Hilfe zu holen. Manche Dinge sind alleine nicht lösbar", sagt Kathrin Hulak. Elternarbeit sei dabei ebenso wichtig wie die Arbeit mit dem Kind.

Ein Kinderpsychiater spricht im ersten Schritt mit Kind und Eltern und sucht nach Risikofaktoren. Ob dann ein Therapie erfolgt, entscheidet die Familie. "Wenn kein dringender Therapiebedarf besteht, habe ich oft erlebt, dass die Familie entspannter und letztlich auch etwas stolz auf sich ist, weil sie fachliches Know-How hinzugezogen hat, war für elterliche Fürsorge und Kompetenz steht", sagt Susanne Bongardt.

Ganz viele Kinder, berichten beide Expertinnen, kommen mit der jetzigen Situation aber auch sehr gut zurecht. "Manche finden die Quarantäne sogar richtig toll", sagt Susanne Bongardt. Warum? "So viel Zeit mit meinem Papa hatte ich schon lange nicht mehr."