Psychiater Haller zu Geisterspielen: Spiel ohne Zuschauer kann viel erfüllen
Das hohe Aggressionspotenzial, das sich in den Menschen während der Corona-Krise mit ihren Einschränkungen aufgestaut habe, müsse laut dem Psychiater und Gutachter irgendwie abgeführt werden.
Berlin – Der renommierte Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller hält den Begriff Geisterspiele für nicht gut. „Wer sind die Geister? Die Fußballspieler, die nicht vorhandenen Zuschauer oder etwas, das über dem leeren Stadion schwebt?“, fragte er in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Donnerstag). „Klar wäre es besser, wenn die Psychologie der Masse, das volle Stadion, dazukäme. Aber von den emotionalen Bedürfnissen her betrachtet, kann auch ein Spiel ohne Zuschauer viel erfüllen“, meinte Haller.
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Das hohe Aggressionspotenzial, das sich in den Menschen während der Corona-Krise mit ihren Einschränkungen aufgestaut habe, müsse irgendwie abgeführt werden, erklärte der 68 Jahre alte Psychiater und Gutachter. „Durch Spaziergänge und eine Stunde Bewegung am Tag geschieht das zu wenig. Beruflicher Wettbewerb ist derzeit kaum möglich, und Wettkampfsport fällt auch aus. Was bleibt da übrig, als Massen-Aggressionsabfuhr auf diesem Weg zu ermöglichen?“
Haller ist davon überzeugt, dass das auch vor dem Fernseher in der Wohnung funktioniert. „All das, was man emotional hineinlegt - die Identifikation mit der eigenen Mannschaft, die taktischen Überlegungen, der direkte Kampf, die eigenen Reaktionen auf Sieg oder Niederlage -, kommt auch dort zum Tragen. Zwar nicht in der intensiven Art und Weise wie im Stadion, aber doch ganz ordentlich“, erklärte er. „Geisterspiele wären eine gute Möglichkeit, den Frustrationslevel zu reduzieren und den zunehmenden Aggressionsdruck in sozial verträglicher Weise zu kanalisieren.“ (dpa)