„Diese 'Message-Control' nervt": Forschern fehlen nötige Daten
Ein Offener Brief an den Gesundheitsminister Anfang April hat den Initiatoren zufolge kaum Verbesserung gebracht. Ein besserer Zugang auf Corona-bezogene Daten wäre für Wissenschafter allerdings dringend nötig.
Wien – Vor einem „Blindflug" aufgrund von fehlenden Zugängen zu Daten zur Coronakrise warnte Anfang April eine Reihe an Wissenschaftern in einem Offenen Brief an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Seither habe sich leider kaum etwas verändert, bemängeln Experten. „Diese 'Message Control' nervt“, sagte der Grazer Public Health-Experte Martin Sprenger zur APA.
Daten nötig, um auf mögliche zweite Welle zu reagieren
In Österreich sind viele Daten, die nach Ansicht der Wissenschafter mehr Licht in den bisherigen Verlauf und Prognosen über weitere Entwicklungen zuließen, der Forschungscommunity einfach nicht zugänglich. Eine „evidenzbasierte Analyse des pandemischen Geschehens unter Ausnützung der Schwarmintelligenz tausender wissenschaftlich tätiger Menschen in den Universitäten und Forschungsinstituten dieses Landes“ sei „unerlässlich“, hieß es in dem am 3. April verschickten Brief. Zur Beantwortung wesentlicher Fragen fehle aber das Datenmaterial. Anschober ließ daraufhin durchblicken, dass man an einem besseren Datenzugang für Wissenschafter arbeite.
Seither habe sich jedoch „fast nichts“ getan, sagte Sprenger, der bis vor wenigen Wochen Mitglied der Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium war. Es gehe jetzt vor allem darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln, die dabei helfen, angesichts einer etwaigen zweiten Welle im Herbst oder Winter „professionell zu reagieren und die Kollateralschäden in der Wirtschaft und der gesundheitlichen Regelversorgung“ möglichst gering zu halten.
Daten werden nicht gerne an Wissenschaft weitergegeben
In Österreich würden leider „viele Datensätze und Kanäle“ nicht nur zur Coronakrise „gar nicht existieren", erklärte Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) auf APA-Anfrage. So benötigte der Forscher beispielsweise für eine Zusammenarbeit mit spanischen und italienischen Kollegen Krankenhausdaten. „Die jeweiligen Kollegen konnten auf eine Website gehen und sich die Daten einfach runterladen. Wir benötigen dazu eine Datenanfrage an das Bundesministerium“, so Czypionka.
Hierzulande habe man es mit einer „grundsätzlich konträren Kultur zu vielen anderen Ländern“ zu tun. Während man vielerorts durchaus froh sei, wenn Wissenschafter Daten auswerten und Erkenntnisse mitteilen, herrschten in Österreich oft Bedenken im Hinblick auf die Wirkung von Ergebnissen vor, so der Gesundheitsökonom, der einer der Mitinitiatoren des Offenen Briefes ist.
Kritik kommt aus verschiedensten Wissenschaftsrichtungen
Ähnlich äußerte sich kürzlich Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien: „Aus allem, was jetzt passiert, können wir lernen. Aber dafür braucht die Wissenschaft endlich den versprochenen Zugang zu Daten. Es wäre höchst fahrlässig, die Folgen von Entscheidungen jetzt nicht laufend evidenzbasiert zu bewerten“, so der Komplexitätsforscher. Ebenso bemängelte die Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der MedUni Wien, dass man „derzeit nicht genug Information zu den Covid-Fällen“ bekomme, „um die wirklichen Risikogruppen optimal erkennen und schützen zu können.“
In einem Kommentar im Online-Standard stößt auch die Ökonomin Monika Köppl-Turyna vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria in eine ähnliche Richtung: Demnach zeige die Coronakrise, dass es an der Zeit wäre, dass Statistik Austria ihren „Datenspeicher“ öffne. Durch den restriktiven Umgang mit Daten entstehe „ein riesiger Schaden für Österreich im Generellen und für den Wissenschaftsstandort im Speziellen, der in der aktuellen Covid-19-Krise schmerzlich spürbar wird“, heißt es dort. (APA)