Die Bälle rollen und die Fäuste fliegen: Nicaragua trotzt der Krise
Wie in einer Parallelwelt geht das Leben in Nicaragua größtenteils weiter, als gäbe es keine globale Pandemie. Es ist eines der wenigen Länder, in denen noch Profisport stattfindet. Gerade kamen Hunderte Menschen in einer Halle zusammen, um sich Boxkämpfe anzusehen.
Von Nick Kaiser und Franko Koitzsch, dpa
Managua - In Fußballligen überall auf der Welt stehen in diesen Tagen Entscheidungen an, ob - und wenn ja, wie - unterbrochene Meisterschaften zu Ende gespielt werden können. In Nicaragua stellt sich die Frage nicht, es wird einfach weiter gekickt. Am Mittwochwurden die Halbfinalrückspiele der Liga Primera ausgetragen. Im Finale stehen Real Estelí und Managua FC.
Die Regelungen des mittelamerikanischen Staates zum Spielbetrieb in der Corona-Krise dürften sich europäische Ligen allerdings nicht zum Vorbild nehmen. Die Partien finden zwar vor leeren Rängen statt, verbindliche Maßnahmen zum Schutz der Spieler, Trainer und Schiedsrichter gibt es jedoch nicht. Bisweilen guckten sich zudem immer noch Gruppen von Fans die Spiele von Mauern oder Hügeln an den Stadien an, erzählte der nicaraguanische Sportjournalist Nectalí Mora Zeledón in der Radiosendung „Los Provocadores“ aus El Salvador.
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Nicaragua gehört zusammen mit Weißrussland und Turkmenistan zu den wenigen Ländern, in denen trotz der globalen Pandemie noch der Ball rollt. Dort schwingen zudem immer noch die Baseballschläger und fliegen die Fäuste. Vergangenen Samstag fanden in der Hauptstadt Managua acht Boxkämpfe statt. Der US-Sportsender ESPN übertrug die Veranstaltung, vor Ort waren hunderte Zuschauer.
Diesen wurde beim Betreten der Halle die Körpertemperatur gemessen, und ihre Hände und Schuhsohlen wurden desinfiziert. Zwischen den Fans wurde Abstand gehalten, und sie trugen Mundschutz - die Boxer jedoch nicht. Sie waren auch nicht auf das Virus getestet worden.
Veranstaltet wurde der Abend vom Promoter und Ex-Boxer Rosendo „El Búfalo“ Álvarez. Er sei stolz, dass sein Land so stabil sei, als einziges der Welt trotz der kritischen Situation Boxkämpfe anbieten zu können, betonte er vor Journalisten. „Nicaragua ist ein armes Land, die Boxer müssen essen“, sagte er der Nachrichtenagentur AP.
Für Walter Wagner, Deutschlands renommiertesten Ringarzt, ist das widersinnig: „Wenn sich ein Boxer infiziert und vielleicht sogar stirbt, dann isst die ganze Familie nicht mehr.“ Es sei verantwortungslos, dass in Zeiten der Corona-Pandemie Boxkämpfe ausgetragen würden, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Die Virenübertragung bei diesem Kampfsport ist jederzeit möglich.“ Auch der Ring- und die Punktrichter seien - trotz Masken - durch die über Schläge ausgelöste Verbreitung von Schweiß und Speichel gefährdet.
Erst 13 positive Tests in Nicaragua
Nach offiziellen Angaben wurden in Nicaragua erst 13 Menschen positiv auf das neuartige Coronavirus getestet - drei von ihnen starben. Zweifel an der Richtigkeit dieser Zahlen sind angebracht. Nicaragua hat seine Grenzen nicht geschlossen, es gibt dort weder Ausgangsbeschränkungen, Schulen und Geschäfte bleiben auf. Die Regierung von Präsident Daniel Ortega erlaubt nicht nur Massenveranstaltungen, sondern organisiert sie selbst.
„Wenn wir hier aufhören zu arbeiten, stirbt das Land“, sagte Ortega vor rund zwei Wochen bei einem seltenen öffentlichen Auftritt. Amnesty International warf Ortegas Regierung vor, das Leben tausender Menschen aufs Spiel zu setzen.
Kritik an der Regierung kann in Nicaragua negative Konsequenzen haben - etwa für Ärzte, die nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) willkürlich entlassen wurden. Einem der besten jungen Baseballspieler des Landes, Robbin Zeledón, erging es ähnlich. Er wurde für ein Jahr von der Liga suspendiert, weil er aus Angst vor einer Corona-Infektion nicht spielen wollte.
Dennis Martínez, eine Baseball-Legende des Landes, lobte im Interview der Zeitung „La Prensa“ Zeledóns Mut. „Die Funktionäre werden verantwortlich sein für die Familien, die sterben könnten“, sagte er. Mit vereinten Kräften könnten die Spieler aber auch einen Abbruch des Spielbetriebs erreichen. „Sie müssen sich vereinen und für das Recht auf Leben kämpfen“, forderte Martínez.