Geisterspiele als No-Go: Stimme der Fans darf niemals verstummen
Die Fans drücken in Österreich und Deutschland ihren Unmut über die geplanten Geisterspiele aus. Die TT hakte bei szenekundigen Tirolern nach, die das „Erlebnis Fußball“ mit dem Stadionbesuch auch über die Grenzen hinaus zu schätzen wissen.
Von Alex Gruber
Innsbruck – „Nein danke“, so lautet die Botschaft, die zahllose Fangruppierungen in Österreich wie Deutschland wegen der anvisierten Geisterspiele in Richtung Ligen, Klubs und Regierung richten. Denn Covid-19 macht noch mehr sichtbar, was seit vielen Jahren vor allem auf internationalem Terrain augenscheinlich ist: Die schönste Nebensache der Welt hat sich vielfach schwer(st)reichen Klubbesitzern und dem (bezahlten) Fernsehen in seiner flächendeckenden Kostenrechnung verschrieben.
Auch die Klubs der heimischen Bundesliga beziehen einen wesentlichen Teil ihres Budgets aus dem TV-Geld von Sky, das anteilig bei einem vorzeitigen Saisonabbruch verloren gehen könnte. Das wissen gut ein Dutzend Fangruppierungen, die in Österreich in ihrer Stellungnahme kundtaten: „Der Tribünenbesucher, der Fan, ist so nur noch Aufputz für die TV-Übertragungen.“
Die Wacker-Fans oder „Tivoli Nord“ zeigten zuletzt beim ÖFB-Cuphalbfinale bei Austria Lustenau, welche Kraft im Fansektor stecken kann. Die beipflichtende „Fanitiative Innsbruck“ unterstreicht: „Die Aussendung der Fanszenen nimmt Bezug auf die kapitalstarken Fernsehanstalten, deren Einflussnahme bis hin zu den Anstoßzeiten reicht, die für etwaige Stadionbesucher jedoch unattraktiv sind.“ Es werden Themen angesprochen, die man schon vor der Corona-Pandemie kritisiert hatte.
Ob man Spiele in leeren Stadien austragen sollte und PRC-Testkapazitäten für den Profifußball verbrauchen sollte, wird ebenfalls moniert. „Die Kraft, die in der Innsbrucker Fanszene liegt, hat auch in dieser schwierigen und fußballfreien Zeit kein bisschen an Fahrt verloren. Man denke nur an die Solidaritätsbekundungen für das besonders exponierte Klinikpersonal oder die sehr erfolgreichen Spendenaktionen für die stark betroffene Region um Bergamo“, führt die Fanitiative Innsruck aus, wie wichtig die soziale Komponente ist.
🔗 Facebook-Posting der Faninitiative Tivoli Nord Innsbruck
Stefan Maierhofer, 37-jähriger Routinier der WSG Tirol, der in seiner langen Karriere schon in vielen großen Stadien (Allianz-Arena, Old Trafford, Stade de France/Paris) vorgespielt hat, weiß, dass einen die Stimmung der Ränge tragen kann: „In erster Linie wünsche ich mir den Fußball zurück. Das steht ja alles noch in den Sternen, die Gesundheit geht vor.“ Das gilt für zwei Tiroler Fans über die Grenzen hinaus:
Der treue BVB-Fan: Werner Brugger ist seit gefühlten Ewigkeiten Dauerkartenbesitzer bei Borussia Dortmund. Der Tiroler Torwarttrainer gehört zum „Bündnis Südtribüne“: „Da sind 94 Prozent für ein Saisonende.“ Die wirtschaftliche Notwendigkeit von TV-Geldern für das Überleben einiger Klubs ist ihm auch bei Gedanken an den Erzrivalen Schalke bewusst: „Die Blauen dürfen uns nicht auf diese Art und Weise wegsterben. Wenn es kein Derby mehr gibt, fehlt das Salz in der Suppe. Geisterspiele sind womöglich ein notwendiges Übel, dass Traditionsvereine überleben können. Und wir rechnen damit, dass wir erst nächstes Jahr wieder ins Westfalenstadion gehen“, nennt er als echter Fan den ursprünglichen Stadionnamen. Eines schickt er hinterher: „Die Meinung treuer Stadionbesucher unterscheidet sich oft stark von jener derjeniger Personen, die Fußball vorwiegend über TV konsumieren.“
Der kreative Schalker: Helmut Zangerl, Obmann des Schalke-Fanklubs „Tiroler Knappen“, glaubt auch, dass Fans erst 2021 wieder ins Stadion dürfen. „Aber wenn es keine Geisterspiele und TV-Gelder gibt, befürchte ich, dass ein Verein nach dem anderen wegbricht“, sagt der Unternehmer, der gemeinsam mit Axel Schnaller einen universellen Becherhalter („Fanclip“) kreiert hat, der dem Duo kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie sogar einen Auftritt in der deutschen Show „Das Ding des Jahres“ beschert hat. „Danach ging es rund. Wir waren voller Euphorie. Wie damals (2001), als Schalke am letzten Bundesliga-Spieltag für vier Minuten deutscher Meister war – damals traf Bayern in der Nachspielzeit – und bei uns kam Corona“, scherzt Zangerl. Im Signal-Iduna-Park des BVB ist der Fanclip schon präsent. Beim Fußball ohne Fans vermisst Zangerl nicht nur das Bier (und somit den Becherhalter), sondern die Emotionen: „Ich glaube, ein Spieler geht vor 60.000 Fans anders auf den Platz als in einem leeren Stadion. Die Emotion überträgt sich doch auf den Platz.“ Spiele ohne Zuschauer bedeuten auch große finanzielle Verluste. Die Lage ist derzeit alles andere als Fan-tastisch ...
Kommentar: Zwischen Stallgeruch und Geschäft
Von Alexander Gruber
Corona deckt auf oder verstärkt die Symptome, die eine Landschaft in den vergangenen Jahr(-zehnt-)en hinterlassen hat. Und das ist beim Fußball nicht anders als in anderen Lebensbereichen.
Es gibt Vorgaben der Regierung, (inter-)nationale Ligen, Vereine und Spieler. Es gibt TV-Zuschauer, Fans, Ultras und im schlimmsten Fall Hooligans. Es gibt so viele Interessen. Und Überleben ist zur Stunde alles. Die Decke droht trotz Geisterspielen einzustürzen, zumal beispielsweise drei positive Corona-Tests beim 1. FC Köln sowie die Quarantäne-Verordnungen in der österreichischen Bundesliga (laut Ministerium müssen neben einem positiv Getesteten auch alle Kontaktpersonen isoliert werden) den vorzeitigen Saisonabbruch, und vielleicht die Insolvenz einiger Klubs, mehr als nur nahelegen.
Die Geisterspiel-Antipathie und Hoffnung der deutschen/österreichischen Fans, dass der Fußball nach einem reinigenden Gewitter wieder mehr zu seinem Ursprung zurückkehrt, ist verständlich. Im Schlaraffenland Premier League kräht indes kaum noch ein Hahn aus den Rängen in diese Richtung. Denn auf der Insel heißt es in den Stadien ja längst Fußball-Tourismus. Da geht’s Milliardären ums globale Geschäft. Der Stallgeruch und das Bier unter Fans schmeckt um vieles besser.