Coronavirus

Corona-Ausbruch: Tönnies und Ischgl – ein schwieriger Vergleich

In dem Schlachtereibetrieb Tönnies im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen haben sich mehr als 1300 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert.
© David Inderlied

Ist Gütersloh das neue Ischgl? Der Corona-Ausbruch im Tönnies-Werk und seine Folgen für die Region erinnern mitunter an den Ausbruch in Tirol Anfang März. Experten sehen den Vergleich aber sehr skeptisch.

Berlin – Viele Menschen zusammen an einem Ort und massenhaft Infektionen mit dem Coronavirus: Trotz dieser Gemeinsamkeit halten Experten einen Vergleich des Corona-Ausbruchs im Tönnies-Schlachbetrieb in Gütersloh und dem Geschehen im Tiroler Wintersportort Ischgl Anfang März für nicht haltbar.

„In Ischgl sind die Angesteckten häufig schon abgereist, bevor sie selbst Symptome entwickelten“, sagte der Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik am Universitätsklinikum Halle, Rafael Mikolajczyk, am Mittwoch. So sei der Ausbruch unbemerkt größer geworden. Man könne davon ausgehen, dass die Kontrolle des Ausbruchs in Gütersloh schneller gelinge.

Experten begrüßen Lockdown

Eine Parallele zu Ischgl sieht auch der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie nicht. „Im Unterschied dazu handelt es sich in Gütersloh um ein Geschehen in einem Großbetrieb“, erklärte er. Eine Häufung von Infektionen war demnach absehbar, wenn Leute am Arbeitsplatz wieder zusammenkommen würden.

In Ischgl hatten sich Anfang März viele Menschen mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert und waren dann wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Dem Land Tirol und der Tourismusbranche wird deshalb vorgeworfen, nicht schnell genug auf die Ausbreitung reagiert und den Skibetrieb zu spät gestoppt zu haben.

Den wegen dem Ausbruch bei Tönnies verhängten Lockdown in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf begrüßte Zeeb: „Man muss kein großer Prophet sein, um zu sehen, dass es diese Maßnahmen braucht, um dem Virus wieder Einhalt zu gebieten.“ Mikolajczyk stimmt zu: „Angesichts der gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen ist eine kurze Phase mit strengen Maßnahmen vorzuziehen.“

Österreich spricht Reisewarnung und Landeverbote für NRW aus

Das Tönnies-Werk Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh gilt als Ausgangspunkt des Ausbruchs, auch im Raum Warendorf wohnen viele Tönnies-Mitarbeiter. Im Landkreis Gütersloh hat es bis Mittwoch mehr als 2000 positive Befunde gegeben.

Vor dem Start der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen empfahl Zeeb den Menschen in den beiden Landkreisen, das weitere Geschehen abzuwarten und geplante Reisen um einige Tage zu verschieben. „Wir haben hier eine besondere Situation, und es wird nicht die letzte gewesen sein.“

Die österreichische Bundesregierung hat am Mittwoch angesichts der aktuellen Lage jedenfalls eine partielle Reisewarnung der Stufe fünf für Nordrhein-Westfalen verhängt. Zudem gibt es bis auf weiteres ein Landeverbot für Flugzeuge aus dem 18-Millionen-Einwohner-Bundesland. Größere internationale Flughäfen gibt es in dort in Düsseldorf, Köln-Bonn und Münster/Osnabrück.

Die bevorstehenden Urlaubsreisen erschweren laut Mikolajczyk den Überblick über das Infektionsgeschehen in den Ferienorten. Man müsse sicherstellen, dass bei einer Häufung von Infektionen bei Rückkehrern in den betreffenden Ferienorten die Übertragung unterbrochen werde, erklärte er.

Drosten: „Ich bin nicht optimistisch"

Der Virologe Christian Drosten befürchtet angesichts der jüngsten Ausbrüche eine unbemerkte Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung. Er sei „nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch eine so friedliche Situation haben". Man müsse jetzt wieder alle Alarm-Sensoren anschalten, um eine zweite Welle zu verhindern. Die Verbreitung über die jeweilige Gegend hinaus zu verhindern, sei jetzt das Entscheidende, sagte der Charité-Wissenschaftler am Dienstag im NDR-Podcast.

Man könne zwar das feuchtkalte Klima in einem Schlachtbetrieb mit dem Klima im Herbst und Winter vergleichen, sagte Drosten. Aber er glaube nicht, „dass das am Ende das sein wird, was uns in eine zweite Welle führt." Er denke, man müsse schon jetzt vorsichtig sein. An der Entwicklung in den Südstaaten der USA sehe man, dass man trotz hoher Umgebungstemperaturen in eine furchtbare Situation laufen könne. „Ich habe heute Morgen eine Meldung gesehen, dass jetzt in einer Stadt in den amerikanischen Südstaaten Kinderkliniken für Erwachsene freigegeben werden, weil die Krankenhaus-Aufnahmen einfach ein Maß erreicht haben, das so etwas erfordert."

Virologin sieht aktuell keine zweite Welle in Österreich

Da in Österreich derzeit keine Covid-19-Cluster mit annähernd der Größe wie jener in Nordrhein-Westfalen auftreten, schätzt die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Medizin-Universität Wien die Chance auf eine zweite Erkrankungswelle aktuell gering ein. „Wir sind davon ein Stück entfernt", sagte sie am Mittwoch zur APA. Kleinere Cluster wie in Salzburg zeigen aber: „Das Virus ist da."

Ein Szenario einer vielfach diskutierten zweiten Welle würde durch relativ viele Fälle, „die so im Untergrund laufen", verursacht. „An die Oberfläche kommt" dann eine gesteigerte Anzahl an symptomatischen Fällen. Übersteigt diese Anzahl wiederum etwa die Kapazitäten der Kontaktverfolgung „und man kommt mit den Cluster-Testungen nicht mehr nach", hätte man es tatsächlich mit einer zweiten Welle zu tun, so Puchhammer-Stöckl.

In Österreich brächte das Ausmaß der in letzter Zeit auftretenden kleineren Fall-Häufungen das aufgebaute Nachverfolgungs- und Testsystem nicht ins Wanken. Puchhammer: „Das sehe ich als kein großes Risiko für die Bevölkerung." Ganz anders sei die Situation in den vom massiven Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies betroffenen westfälischen Landkreisen Gütersloh und Warendorf. Hier scheint es nicht mehr möglich zu sein, allen Fällen auch nachzugehen.

Das Verhängen der Quarantäne über die Kreise war dort vermutlich „alternativlos". In Deutschland müsse nun alles daran gesetzt werden, damit der lokale Ausbruch nicht größere Landesteile erfasst, so die Wissenschafterin vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien. Dass Österreich nun eine Reisewarnung für Nordrhein-Westfalen ausgegeben hat, sei „sinnvoll und absolut richtig". (APA, dpa, TT.com)