Covid-19-Studien: Infektion bedeutet wohl nicht automatisch Immunität
Tests finden bei vielen Menschen kurz nach einer Corona-Infektion schon keine speziellen Antikörper mehr im Blut. Was heißt das für Herdenimmunität, Immunitätspässe und die Entwicklung von Impfstoffen?
Hamburg/Langen, Wien – In der Corona-Pandemie hoffen viele Menschen auf Immunität – nach überstandener Infektion oder durch eine bald verfügbare Impfung. Beides könnte das Immunsystem gegen den Erreger wappnen und Menschen vor der Krankheit Covid-19 schützen. Nun aber deuten viele Studien darauf hin, dass gerade bei Menschen, die nur wenige oder gar keine Symptome hatten, schon bald nach einer Infektion keine Antikörper im Blut mehr nachweisbar sind.
Zwar ist noch unklar, was das für eine mögliche Immunität bedeutet. Doch die Beobachtungen wecken Zweifel an der Aussagekraft von Antikörper-Tests und an den derzeit diskutierten Immunitätspässen. Auch für die Entwicklung eines Impfstoffs wäre ein möglichst genaues Verständnis der Immunantwort auf Sars-CoV-2 zentral.
Immunantwort fällt offenbar uneinheitlich aus
Die Immunantwort scheint bei Menschen uneinheitlich auszufallen. Grundsätzlich kann das Immunsystem etwa mit sogenannten T-Zellen auf Krankheitserreger reagieren. Manche T-Zellen aktivieren B-Zellen, die dann Antikörper bilden. Antikörper binden an bestimmte Merkmale von Erregern und können diese so inaktivieren.
Auf den ersten Blick scheint das Vorhandensein spezieller Antikörper ein guter Hinweis auf eine frühere Infektion zu sein. Allerdings fand eine Untersuchung des Universitätsspitals Zürich bei Menschen mit milden oder asymptomatischen Verläufen keine sogenannten IgG-Antikörper im Blut. Diese sind wichtig für das Immungedächtnis – damit das Immunsystem bei erneutem Kontakt mit dem Erreger stärker und schneller reagiert. Die Studie ist bislang nur ein Preprint – ist also weder von Experten begutachtet noch in einem Fachjournal publiziert.
Eine weitere als Preprint veröffentlichte Untersuchung des Lübecker Gesundheitsamts fand bei 30 Prozent von 110 Corona-Infizierten mit ebenfalls höchstens mäßigen Covid-19-Symptomen keine Antikörper. Und im Fachblatt Nature Medicine berichten Forscher aus China, dass bei Infizierten ohne Symptome die Antikörper-Konzentration im Blut bereits nach kurzer Zeit deutlich sank.
Solche Studien lassen die Aussagekraft von Antikörper-Massentests, die das Ausmaß der Corona-Infektionswelle in der Bevölkerung klären sollen, fraglich erscheinen. Zudem könnte eine durch Antikörper gegebene Immunität bei vielen Sars-CoV-2-Infizierten schon nach kurzer Zeit wegfallen.
"Wir wissen noch nicht, wie Antikörper schützen"
Entsprechend skeptisch sieht Thomas Jacobs vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) die Einführung von Immunitätspässen für Menschen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich haben. Wissenschaftlich ist ohnehin nicht gesichert, dass die Präsenz von Antikörpern automatisch vor einer erneuten Infektion schützt. „Wir wissen generell noch nicht genau, wie Antikörper schützen“, stellt der Immunologe fest. Studien würden zwar einen solchen Schutz nahelegen, „aber wie hoch beispielsweise der Antikörper-Spiegel dafür sein muss, bleibt unklar“.
Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), betont, man müsse bei Antikörpern differenzieren: „Es gibt bei Antikörpern verschiedene Qualitäten, und nicht alle verhindern eine Infektion.“ Wichtig sei hier, harte Daten zu finden: „Ob ein Immunschutz entsteht, muss an der Realität gemessen werden.“
Ebenso wenig überraschen Jacobs die Studienresultate, dass gerade bei asymptomatischen Erkrankungen schnell wenige oder gar keine Antikörper mehr auffindbar sind: „Wenige Viren im Hals- und Rachenbereich genügen wahrscheinlich nicht, um eine große Antikörper-Antwort oder T-Zellen-Immunität auszulösen.“
Bei schweren Symptomen längerfristiger Schutz
Für das Immunsystem habe diese angepasste Reaktion durchaus Sinn, da wir im Alltag ständig Pathogenen ausgesetzt seien: „Wenn wir mit leichten Waffen antworten können, brauchen wir keine schweren Geschütze auffahren.“ Bei Covid-19-Erkrankungen mit schwereren Symptomen werde indes vermutlich schon ein längerfristiger Schutz aufgebaut.
Studien zu anderen Coronaviren weisen darauf hin, dass eine erneute Sars-CoV-2-Infektionen komplett verhindernde Immunität vielleicht nur einige Monate bestehen bleibt, wie der Virologe Shane Crotty vom La Jolla Institute of Immunology in Kalifornien dem Fachmagazin „Nature“ erklärte. Eine Symptome abmildernde Immunität könnte es demnach länger geben.
Ungewiss ist, welcher Teil der Immunabwehr besonders wichtig für diesen Schutz ist. „Neben den Antikörper bildenden B-Zellen kann die T-Zell-Antwort auf den Erreger genauso wichtig sein“, erklärt Jacobs. Welcher Mechanismus hier vor allem wirke, sei eine zentrale Frage für die Entwicklung eines Impfstoffs.
Auch Teil-Immunität möglich
Dazu verweist der Infektionsforscher auf Studien aus den USA und Deutschland: Darin hatten bis zu 30 Prozent der Menschen, die nicht mit Sars-CoV-2 infiziert waren, dennoch bestimmte T-Helferzellen, die auf dieses Coronavirus reagierten: „Wahrscheinlich hatten sie schon einmal Kontakt mit so genannten Common-Cold-Coronaviren“ – also mit anderen Coronaviren, die herkömmliche Erkältungen auslösen.
Ein solcher Kontakt könnte eine Teil-Immunität gegen Covid-19 bieten. „Das würde erklären, warum bei der Infektion so unterschiedliche Dynamiken und Symptome zu beobachten sind“, vermutet Jacobs. Noch ist allerdings unklar, ob und welchen Schutz diese sogenannte T-Zell-Reaktivität bieten könnte.
Wiener Studie greift gleiches Thema auf
Eine in Wien durchgeführte SARS-CoV-2-Antikörperstudie zum gleichen Thema zeigt ebenfalls, dass offenbar nur ein Teil der Infizierten eine schützende Immunantwort entwickelt. In zwei weiteren Testphasen wollen die Wissenschafter der MedUni Wien jetzt den Verlauf der Immunreaktion beobachten und engagieren sich auch in der Impfstoffforschung, sagte Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt.
Die Wissenschafter der MedUni Wien sind gerade dabei, ihre wissenschaftliche Arbeit für die Publikation vorzubereiten. Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie und Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin: "Wir haben von Anfang April bis Mitte April in einem großen Unternehmen in Wien 1.650 Beschäftigte untersucht. 53 Prozent waren permanent im Home Office, 47 Prozent permanent im Büro. Der Anteil der Personen, die damals keine Antikörper gegen SARS-CoV-2 aufwiesen, war sehr hoch." Rund 90 Prozent zeigten keine Immunantwort.
Die Verteilung der Personen mit vorher nicht stattgefundenen Kontakt mit den Covid-19-Erregern war in der Home Office- und in der Office-Gruppe etwa gleich verteilt. Aber, wie die Expertin erklärte: "1,88 Prozent der Getesteten zeigten Virus-reaktive Antikörper. Von ihnen war der größere Anteil aus der Home Office-Gruppe." Dies könnte aber auch damit zu tun haben, dass das Unternehmen alle Beschäftigten vehement dazu aufgefordert hatte, auch bei leichtesten Krankheitssymptomen sofort zu Hause zu bleiben.
Nur Hälfte der Infizierten mit schützenden Antikörpern
Die Wissenschafter testeten mit vier verschiedenen Verfahren die genaue Art der Immunantwort der Personen, welche offenbar mit SARS-CoV-2 in Kontakt gekommen waren. Ursula Wiedermann-Schmidt: "Nur 0,8 Prozent (von insgesamt 1,88 Prozent positiv Getesteten; Anm.) wiesen vor SARS-CoV-2 schützende Antikörper auf." Die MedUni Wien weist mit dem Department für Virologie auch eine seit vielen Jahren international hoch anerkannte Forschungsinstitution auf diesem Gebiet auf.
Wahrscheinlich – und darauf deuten die Auswertungen auch gemäß den Symptomen bei den Untersuchten hin – entwickeln Personen, welche auch Symptome einer SARS-CoV-2-Infektion haben, eher eine für die Zukunft schützende Immunantwort. Die Wiener Wissenschafterin: "Das sind offenbar alle Formen von Symptomen, auch beispielsweise Schnupfen oder Störungen des Geschmackssinns."
Bei den schützenden Antikörpern sind – potenziell längerfristig – die sogenannten IgG-Antikörper entscheidend. Wie Ursula Wiedermann-Schmidt erklärte, konnten bei manchen Untersuchten aber auch sogenannte IgA-Antikörper gegen das Coronavirus festgestellt werden. "Da hatten aber alle bis auf eine Person nichts von der Infektion gespürt." IgA-Antikörper werden sehr schnell nach einer Infektion gebildet und machen den immunologischen Schutz in Schleimhäuten aus, verschwinden aber wieder. IgG-Schutz entsteht erst nach rund zwei Wochen, wirkt hingegen länger.
Erkentnnisse helfen für Impfstoff-Entwicklung
Die Wiener Wissenschafter engagieren sich jetzt auch in Studien, um aus den Erkenntnissen Schlussfolgerungen für die Entwicklung wirksamer SARS-CoV-2-Impfstoffe ziehen zu können. Die Wissenschafterin: "Im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit haben wir untersucht, gegen welche Strukturen des Virus die entstandenen Antikörper der Personen nach einer Infektion gerichtet waren."
Die Ergebnisse dieser Detailuntersuchungen: Am wichtigsten für eine schützende Immunantwort sind offenbar IgG-Antikörper, die spezifisch gegen jene Region des S-Proteins (Spike Protein; Anm.) gerichtet sind, mit der das Virus an Zielzellen bei der Infektion andockt. "Wir werden jetzt diese Strukturen (Epitope; Anm.) genauer untersuchen und mit unserer Mimotop-Methode, die wir für eine Krebsvakzine entwickelt haben, Forschungen für die Entwicklung möglicher Impfstoffe durchführen." Je genauer jene Antigene definiert sind, die man für eine optimale Immunreaktion durch Anwendung in einer Vakzine benutzt, desto wirksamer sollte diese sein.
Entscheidend für alle diese Fragen ist aber auch, wie beständig die Immunreaktion von Menschen auf SARS-CoV-2 ist. Davon hängt die Möglichkeit der Entstehung eines "Herdenschutzes" genauso ab wie eine allfällige zukünftige Impfstrategie, zum Beispiel, wie oft immunisiert werden muss. Auch hier sind die Wiener Wissenschafter dabei, Folgeuntersuchungen durchzuführen. Ursula Wiedermann-Schmidt: "Wir wiederholen die Tests nach drei und sechs Monaten." Bei den Personen mit nachgewiesener und bereits überstandener SARS-CoV-2-Infektion wird man den Status der Immunreaktion auf die Covid-19-Erreger damit längerfristig überwachen können. (APA, dpa)