Prozess

Ex-SS-Wachmann zu Jugendstrafe verurteilt, "Nazi-Jäger" enttäuscht

Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. im Mai 2020 im Verhandlungssaal in Hamburg.
© CHRISTIAN CHARISIUS

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 93-Jährige in den Jahren 1944 und 1945 mehrere Monate als Jugendlicher zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Stutthof gehört hatte.

Hamburg – Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. ist vom Hamburger Landgericht am Donnerstag zu zweijähriger Jugendhaft auf Bewährung verurteilt worden. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 93-Jährige in den Jahren 1944 und 1945 mehrere Monate als Jugendlicher zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Stutthof gehört hatte. Er habe sich damit der Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen und zum versuchten Mord in einem Fall schuldig gemacht.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft gefordert. Der damals 17 bis 18 Jahre alte SS-Wachmann habe gewusst, was in der Gaskammer des Lagers bei Danzig passierte und dass Menschen in einem Nebenraum des Krematoriums erschossen wurden.

📽️Video | Bewährungsstrafe für SS-Mann wegen Beihilfe zu 5230 Morden

Die Vertreter der rund 40 Nebenkläger – darunter Überlebende des Lagers und Hinterbliebene von KZ-Opfern – hatten eine Verurteilung des Angeklagten, aber keine über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgehende Strafforderung gestellt. Einige Nebenkläger äußerten ausdrücklich den Wunsch, der Angeklagte möge nicht inhaftiert werden. Ein hochbetagter Stutthof-Überlebender in Israel erklärte, man solle dem Angeklagten vergeben.

Der 93-Jährige hatte zum Auftakt des Verfahrens im Oktober vergangenen Jahres eingeräumt, dass er vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 Wachmann in Stutthof war. Allerdings sei er das nicht freiwillig gewesen. Als nicht fronttauglicher Wehrmachtssoldat sei er zum Wachdienst in dem KZ abkommandiert worden.

"Das darf sich niemals wiederholen"

In seinem Schlusswort am Montag bat Bruno D. die Opfer um Vergebung. "Heute möchte ich mich bei allen Menschen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei ihren Angehörigen und Hinterbliebenen entschuldigen", sagte er. Es belaste ihn bis heute, was damals in dem Lager bei Danzig geschehen sei. "Das darf sich niemals wiederholen."

Nach dem Urteil im Stutthof-Prozess führen deutsche Staatsanwaltschaften noch 14 Ermittlungsverfahren. Offen seien drei Verfahren zum früheren KZ Buchenwald und acht zu jenem in Sachsenhausen, so die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Zudem beschäftige auch das oberösterreichische Konzentrationslager Mauthausen mit jeweils einem Verfahren die Staatsanwaltschaften München I und Berlin.

Die Verfahren wurden durch eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) im September 2016 ermöglicht. Dieses hatte die Verurteilung des früheren SS-Mannes Oskar Gröning wegen Beihilfe zum massenhaften Mord bestätigt, obwohl ihm keine konkrete Tat nachgewiesen werden konnte, wie dies zuvor von deutschen Gerichten jahrzehntelang gefordert worden war. (APA/AFP)

"Nazi-Jäger": Bewährungsstrafe für SS-Wachmann "sehr enttäuschend"

Der "Nazi-Jäger" Efraim Zuroff hat die Verurteilung des ehemaligen SS-Wachmanns im Konzentrationslager Stutthof am Donnerstag grundsätzlich begrüßt. Die zweijährige Jugendstrafe auf Bewährung bezeichnete er jedoch als "sehr, sehr enttäuschend".

Die Bewährungsstrafe nannte der Leiter des Wiesenthal-Zentrums "ein Syndrom deplatzierter Sympathie". Nicht der SS-Mann, sondern die Holocaust-Opfer verdienten Sympathie. Die Tatsache, dass er damals erst 17 Jahre alt war, "bedeutet nicht, dass er nicht wusste, was in dem Lager passiert". Zuroff wörtlich: "Er wird den ganzen Weg nach Hause lachen, sein Leben fortsetzen. Die Überlebenden bleiben mit ihren Albträumen zurück."

Das 1977 gegründete Wiesenthal-Zentrum ist mit der weltweiten Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren bekannt geworden. Seit Umsetzung einer neuen juristischen Praxis vor rund einem Jahrzehnt habe es fünf solcher Prozesse gegeben, sagte Zuroff. "Nicht einer der bei diesen Prozessen verurteilten Personen hat nach der Verurteilung auch nur einen Tag im Gefängnis gesessen", bemängelte er.

Seit dem Urteil gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk 2011 besteht die Justiz nicht mehr auf den oft unmöglichen Nachweis individueller Schuld. Heutzutage wird auch die allgemeine Dienstausübung in einem Lager, in dem erkennbar systematische Massenmorde stattfanden, juristisch geahndet.

Zuroff betonte, ein hohes Alter der Täter sei kein Grund, auf eine Strafverfolgung zu verzichten. "Die vergangene Zeit verringert nicht die Schuld", sagte er. "Sie verdienen kein Mitgefühl, weil sie selbst absolut kein Mitgefühl mit den Opfern hatten." Prozesse gegen NS-Verbrecher seien weiterhin wichtig im Kampf gegen Holocaust-Leugnung. "Es ist wichtig, dass diese Prozesse weitergehen, aber wenn es kein Element der Bestrafung gibt, dann ist etwas sehr Grundsätzliches falsch."