Abwanderung vom Tisch: Penicillin-Produktion bleibt in Tirol
Die Abwanderung der letzten Antibiotika-Produktion der westlichen Welt ist vom Tisch. Das Sandoz-Werk in Kundl wird um 150 Millionen Euro modernisiert. Die öffentliche Hand steuert 50 Millionen Euro bei.
Von Stefan Eckerieder
Wien, Kundl – Die Abwanderungspläne für die Penicillin-Produktion der Novartis-Tochter Sandoz aus Kundl nach Asien sind nun endgültig vom Tisch. Wie die TT in der vergangenen Woche bereits vorab berichtete, haben sich Bund, Land Tirol und der Schweizer Pharmakonzern Novartis nach intensiven Gesprächen nach rund zwölf Monaten darauf geeinigt, dass die Antibiotika-Produktion in Tirol bleibt. Dafür werden 150 Millionen Euro in das Werk in Kundl investiert, wie gestern bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), Sandoz-Vorstand Christian Pawlu und Novartis-Österreich-Chef Michael Kocher bekannt gegeben wurde. Ein Drittel des Geldes soll von der öffentlichen Hand kommen. Damit wird die Antibiotika-Produktion nicht nur gehalten, sondern ausgebaut. Künftig soll von Kundl aus der Bedarf ganz Europas gedeckt werden können.
Den Durchbruch in den Verhandlungen dürfte die Corona-Krise gegeben haben. Schramböck verwies gestern auf Exportstopps von Schutzmasken und Medikamenten der österreichischen EU-Nachbarländer zur Hochphase der Pandemie im April: „Das zeigt ganz deutlich, dass in Krisensituationen ganz andere Regeln gelten.“ Um so stolzer zeigte sie sich gestern über die Einigung: „Die Penicillin-Produktion bleibt in Österreich, in Kundl.“
Sandoz-Vorstand Christian Pawlu betont die Bedeutung des Tiroler Standorts: „Wir betreiben die letzte integrierte Penicillin-Produktion in der westlichen Welt.“ Das bedeutet, dass in Kundl nicht nur das fertige Produkt, sondern auch der Wirkstoff und die Vorläufersubstanzen hergestellte werden. „Es geht darum, die Antibiotika-Produktion in Europa zu sichern“, sagt der Vorstand des Pharmaunternehmens, das mit Kundl und Schaftenau zwei große Tiroler Werke mit über 4000 Beschäftigten hat.
Mittlerweile werden über 80 Prozent wichtiger medizinischer Wirkstoffe in Asien produziert, die meisten in China und Indien. Die niedrigen Gehälter und Umweltauflagen in den asiatischen Ländern haben zu einem enormen Preisdruck geführt. Zudem seien die staatlichen Förderungen dort meist höher. Mit Hilfe öffentlicher Gelder soll nun die „letzte Bastion Kundl“, wie Schramböck sagte, nicht nur gehalten, sondern auch ausgebaut werden. Investiert wird in neue Produktionsprozesse und die Optimierung der Produktion, um künftig mit den Weltmarktpreisen mithalten zu können. Damit soll der Penicillin-Bedarf ganz Europas gedeckt werden. Dieser beträgt laut Pawlu mehrere tausend Tonnen jährlich.
25 Mio. Euro für den Ausbau sollen aus der heimischen Forschungsförderung, Forschungsprämien sowie der Investitionsprämie kommen. Weitere 20 Mio. Euro sollen via EU-Maßnahmen (Important Projects of Common European Interest, IPCEI) finanziert werden. 5 Mio. Euro kommen vom Land Tirol. Im Gegenzug verpflichtet sich Sandoz, die Antibiotika-Produktion für die nächsten zehn Jahre in Europa zu halten.
Für Landeshauptmann Günther Platter sind die 5 Millionen Euro, die vom Land Tirol kommen, „gut investiert, denn Penicillin ist extrem begehrt, und daher sind wir stolz, dass die Produktion dieses Wirkstoffs auch weiterhin in Tirol erfolgt“. Die Vereinbarung mit Novartis ist laut Platter ein wesentlicher Schritt Richtung Unabhängigkeit in der medizinischen Versorgung und Stärkung des europäischen Arzneimarktes. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig die Unabhängigkeit von Pharma-Importen aus dem Ausland sei. „Mit dem Standort Tirol ist künftig nicht nur die Versorgung des heimischen und europäischen Marktes mit diesem Antibiotikum garantiert, sondern auch die Unabhängigkeit von Billiglohnländern“, so Platter weiter.
Als „starkes Signal“ für den Standort bezeichnete Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Einigung. Auch für Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ist es ein „großer und wichtiger Schritt“, um die Arzneimittelproduktion in Europa zu halten.
„Grundsätzlich positiv“ bewertete NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker den Verbleib der Penicillin-Produktion in Kundl. Von einer Stärkung und einem Ausbau der Arzneimittelproduktion in Österreich sei man aber „noch Lichtjahre entfernt“.