Vereint in Feindschaft: Was Israel und die Emirate zusammenbringt
Bisher galt es als Tabu für arabische Staaten, vor einer Lösung des Nahost-Konflikts friedliche Abmachungen mit Israel zu schließen. Dieses Tabu ist nun gefallen. Die überraschend verkündete Einigung ist ein Meilenstein im Nahost-Konflikt.
Von Sebastian Engel und Jan Kuhlmann/dpa
Abu Dhabi, Jerusalem – Die Worte für das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten können gar nicht groß genug sein: "historisch", "wichtige diplomatische Leistung", "Beginn einer neuen Ära". Tatsächlich ist die überraschend verkündete Einigung ein Meilenstein im Nahost-Konflikt.
Nach Ägypten und Jordanien sind die Emirate erst das dritte arabische Land, das zu Israel diplomatische Kontakte aufnimmt.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu kann das Abkommen genauso als Erfolg verbuchen wie der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Said, der eigentlich starke Mann in den Emiraten. Zusammengebracht hat die beiden so unterschiedlichen Seiten vor allem ein gemeinsamer Feind: der schiitische Iran.
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Planung im Geheimen
Israel und die Emirate führten bisher keine Beziehungen miteinander. Über inoffizielle Kanäle standen sie aber längst in Kontakt. Auch wirtschaftlich sollen beide Länder bereits kooperiert haben. Berichten zufolge war der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Yossi Cohen, zuletzt mehrmals in dem Golfstaat, um das Abkommen perfekt zu machen.
Wie etwa der israelische Channel 12 berichtet, soll der gemeinsame Kampf gegen Corona den Bemühungen zusätzlich Schwung verliehen haben. Der "New York Times" zufolge soll der Mossad zu Beginn der Pandemie heimlich medizinisches Gerät in die Emirate verschifft haben.
Der gemeinsame Feind: Iran
Israel und die Emirate eint vor allem ihre Feindschaft zum Iran, dessen Machtambitionen in der Region sie eindämmen wollen. Seit der islamischen Revolution von 1979 erkennt der Iran die Souveränität Israels nicht an. Teheran betrachtet das Land als Erzfeind und hat mehrmals mit dessen Vernichtung gedroht.
Aber auch die Emirate sehen im Golfnachbarn Iran die größte Gefahr für ihre nationale Sicherheit. Gemeinsam mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman führt Mohammed bin Zayed den Anti-Iran-Block in der arabischen Welt an. Die beiden verbündeten Staaten begannen etwa vor drei Jahren die Blockade gegen das Emirat Katar. Einer der Vorwürfe gegen Doha: zu enge Beziehungen zum Iran.
Zurückdrängen wollen Israel und die Emirate auch den Einfluss islamistischer Bewegungen – wie etwa die palästinensische Hamas, die wiederum von der Türkei und Katar unterstützt wird.
Erfolg für Netanyahu – und ein Risiko
Noch im Juni nannte Netanyahu eine Annexion von Gebieten im Westjordanland eine "historische Möglichkeit". Experten meinten damals, der 70-Jährige sehe sie als Teil seines politischen Vermächtnisses.
Nun, Mitte August, legt er die Pläne zugunsten einer Annäherung mit den Emiraten auf Eis. Für Yoshua Krasna, Politikwissenschaftler am Jerusalem Institut für Strategie und Sicherheit, hat der Schritt Sinn: "Netanyahu bekommt eine gesichtswahrende, bedeutsame Belohnung dafür, dass er etwas nicht tut, was er in dem derzeitigen politisch-diplomatischen Kontext eh nicht hätte tun können."
Seit dem 1. Juli wäre es der israelischen Regierung möglich gewesen, die Pläne voranzutreiben. Sie sah aber davon ab. Der Widerstand gegen war groß: in der israelischen Gesellschaft, in der dortigen Koalition, vor allem aber in der arabischen Welt und in den USA. Netanyahu, innenpolitisch in der Corona-Krise und wegen eines Korruptionsprozesses massiv unter Druck, hat erkannt, dass die Annexion von Gebieten derzeit nicht möglich ist.
Mit diesem Bruch eines zentralen Wahlkampfversprechens geht er aber auch ins Risiko. Nach Ansicht des Präsidenten des Israelischen Demokratie-Institutes, Yohanan Plesner, dürfte Netanyahu für seine Entscheidung in Israel viel Zuspruch erhalten, quer durch verschiedenste gesellschaftliche Gruppen. Doch im rechten Lager, seiner Wählerbasis, könnte er Unterstützung verlieren. Die Siedler im Westjordanland toben bereits.
Wütende und machtlose Palästinenser
Wie die Siedler fühlen sich auch die Palästinenser verraten. Bisher galt es als Tabu für arabische Staaten, vor einer Lösung des Nahost-Konflikts friedliche Abmachungen mit Israel zu schließen.
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas (Abu Mazen) beorderte umgehend den Botschafter aus den Emiraten zurück. Viel mehr Spielraum bleibt der Palästinenserführung aber nicht. Angesichts der Annexionspläne hat sie bereits alle Vereinbarungen mit Israel und den USA gekappt. An einem weiteren Aufstand, einer neuen Intifada, inmitten der Corona-Pandemie dürften die Palästinenser kein Interesse haben.
Applaus und Kritik für die Emirate
Die Emirate mögen ein Verbündeter des großen Nachbarn Saudi-Arabien sein – außenpolitisch gehen sie aber, wenn nötig, ihren eigenen Weg. Ziel: den eigenen Einfluss auszudehnen. Kronprinz Mohammed bin Zayed stellt sich mit dem Abkommen an die Spitze der diplomatischen Bewegung in der arabischen Welt und schafft Fakten. Den Saudis und deren Kronprinz stiehlt er die Show.
Der Golfstaat kann nun auf wirtschaftliche, militärische und technologische Hilfe aus Israel und den USA hoffen. Vor allem jungen Emiratis ist die Entwicklung des eigenen Landes wichtiger als die Interessen der Palästinenser und ein Konflikt, der seit Jahrzehnten nicht gelöst werden kann. Der weltweite Applaus lenkt auch von den Menschenrechtsverletzungen ab, die Kritiker anprangern.
Doch auch der Golfstaat geht mit dem Abkommen ins Risiko. Schon im vergangenen Jahr kam es vor der Küste zu Angriffen und Sabotageakten gegen Schiffe, für die die Emirate den Iran verantwortlich machten. Die jemenitischen Houthi-Rebellen, vom Iran unterstützt, hatten schon vor zwei Jahren behauptet, den Flughafen von Abu Dhabi mit einer Rakete angegriffen zu haben. Das Abkommen könnte die Spannungen in der konfliktreichen Region weiter vergrößern.