Der infizierte Präsident: Trumps Corona-Diagnose beunruhigt
Donald Trump hat das Ende der Corona-Pandemie beschworen. 32 Tage vor der Wahl stellt sich heraus, dass sich der US-Präsident selbst mit dem Virus angesteckt hat. Die Infektion des mächtigsten Mannes der Erde beunruhigt.
Von Lena Klimkeit, dpa
Washington – Es ist kurz nach Mitternacht, als das Wahljahr eine dramatische Wendung nimmt. Die Nachricht kommt per Twitter und stürzt die USA in eine kaum vorstellbare Unsicherheit. Einer der am besten geschützten Menschen der Welt, US-Präsident Donald Trump, hat sich mit dem Coronavirus angesteckt. 32 Tage vor der Wahl, die über seine zweite Amtszeit bestimmt – und über so viel mehr.
„Das Ende der Pandemie ist in Sicht“, hörte man Trump am Donnerstagabend noch sagen, wenige Stunden bevor er die Diagnose von sich und seiner Ehefrau Melania bekannt machte. Mit seinen 74 Jahren gehört Trump zur Risikogruppe. Und ausgerechnet er hat sich angesteckt, der die Gefahr von Corona monatelang herunterspielte.
Die Diagnose stelle das ernsthafteste bekannte Gesundheitsrisiko für einen amtierenden amerikanischen Präsidenten seit Jahrzehnten dar, heißt es beim TV-Sender CNN. Und das Risiko war bekannt.
Mehr als 7,2 Millionen Infektionen wurden in den USA bereits nachgewiesen, mehr als 207.000 Menschen sind nach einer Infektion mit dem Virus gestorben. Das Land bekommt die Pandemie einfach nicht in den Griff – auch Trump wird dafür verantwortlich gemacht. Joe Biden, sein Herausforderer bei der Wahl am 3. November, wirft ihm immer wieder vor, er habe als Präsident in seiner grundlegendsten Pflicht gegenüber der Nation versagt. „Er hat uns nicht geschützt.“
Trump hat sich womöglich selbst nicht geschützt
Am Freitag ist klar: Trump hat sich womöglich selbst nicht geschützt. Schon am Mittwochabend – Trump flog in der Präsidentenmaschine Air Force One vom US-Staat Minnesota in Richtung Washington – soll es einer seiner engsten Beraterinnen an Bord der Maschine schlecht gegangen sein. Erst am Abend drauf machen Berichte die Runde, Hope Hicks sei positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zwischen dem Flug und den Berichten liegen viele Stunden, in denen im Weißen Haus alles nach Plan zu laufen schien. Sprecherin Kayleigh McEnany gab vor zahlreichen Journalisten eine Pressekonferenz. Trump brach nach New Jersey zu Terminen auf.
Vom Weißen Haus heißt es zunächst nur, dem Präsidenten sei seine eigene Sicherheit und die der Mitarbeiter wichtig, die Corona-Protokolle würden befolgt.
Es ist der Präsident selbst, der Hicks‘ Infektion bestätigt, im Telefoninterview mit seinem Lieblingssender Fox News. Normalerweise produziert die Sendung, zu der sich der Republikaner donnerstagabends kurz nach halb zehn gerne telefonisch zuschalten lässt, keine Nachrichten mehr, doch bei Trump weiß man nie. Er sagt, er habe sich testen lassen und warte nun auf das Ergebnis. „Wir werden sehen, was passiert.“
Das Weiße Haus schickt kurz darauf noch das Tagesprogramm des Präsidenten herum, geplant ist für Freitag unter anderem ein Wahlkampfauftritt in Florida. Nach Bekanntgabe der Diagnose bleibt ein Termin übrig: Ein Telefonat mit Senioren, die in der Corona-Pandemie besonders gefährdet sind.
Infektion als Wahlkampfmanöver?
Es dauert nicht lange, bis Gerüchte aufkommen: Ist die Infektion ein Wahlkampfmanöver? Eine Lüge? Wird Trump nach wenigen Tagen mehrfach negativ getestet und kann allen zeigen, wie ungefährlich das Virus ist, das die Welt seit Monaten paralysiert?
Noch im Jänner konnte Trump dank sehr guter Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Börsendaten Chancen dem Wahltag optimistisch entgegensehen. Doch dann stürzte die Pandemie die Wirtschaft in eine schwere Krise, die Infektionszahlen gingen durch die Decke, das Sterben begann. Trump sprach vom „unsichtbaren Feind“, den es zu besiegen galt. Er lobte das Krisenmanagement seiner Regierung und ließ kaum Mitgefühl für die Opfer der Pandemie erkennen. Vor allem einen Satz prägte er: das Virus werde einfach wieder verschwinden.
Trump sorgte in der Pandemie vor allem mit unzähligen Tweets und Pressekonferenzen für Aufsehen. Er gab China die Schuld an der Schwere der Pandemie und strafte die Weltgesundheitsorganisation hart ab. Zuletzt schürte er vor allem Hoffnung mit Blick auf einen baldigen Impfstoff für alle Amerikaner und zog seine Experten dabei offen in Zweifel. Mit Veranstaltungen im Weißen Haus mit zahlreichen geladenen Gästen verbreitete er den Eindruck von Normalität.
Seinen Kontrahenten Biden (77) verspottete Trump für seine Vorsicht. „Ich trage die Maske nicht wie er. Jedes Mal, wenn man ihn sieht, trägt er eine Maske. Er könnte 200 Fuß (60 Meter) entfernt von mir sprechen, er würde mit der größten Maske aufkreuzen, die man je gesehen hat“, sagte Trump am Dienstag bei der ersten TV-Debatte mit Biden. Prahlerisch äußerte er sich über Wahlkampfauftritte mit 25.000 bis 35.000 Zuschauern – was schlichtweg übertrieben war. Moderator Chris Wallace fragte, ob er keine Sorge wegen der Ausbreitung des Coronavirus habe? „Nun, bisher hatten wir überhaupt kein Problem“, sagte Trump – und fügte in Richtung Biden hinzu: „Wenn Sie diese Massen bekommen könnten, würden sie dasselbe tun. Aber Sie können es nicht. Niemanden interessiert‘s.“
Wahlkampf liegt auf Eis
Von einem Augenblick auf den anderen liegt Trumps Wahlkampf auf Eis. Er hatte sich so vehement dagegen gewehrt, Abstand zu nehmen von großen Events. Doch in den Umfragen sah es nicht gut für Trump aus. Und so produzierte seine Kampagne Bilder, die aus der Zeit gefallen schienen: Anhänger mit aufgerissenen Mündern, die dicht an dicht dem Präsidenten zujubeln. In den kommenden Tagen sollte es so weitergehen, in Florida, Wisconsin und Arizona. In 13 Tagen steht eigentlich die nächste Debatte mit Biden auf dem Programm. Wird sie überhaupt stattfinden?
In der Nacht nach der Nachricht gibt es wenige Antworten auf viele offene Fragen. US-Medien versuchten, die Kontakte von Hope Hicks in der mächtigsten Regierungszentrale der Welt zurückzuverfolgen. Der Sender MSNBC kommt auf 20 Menschen, die kürzlich mit ihr unterwegs waren. Darunter sind Trumps Tochter Ivanka, Wahlkampfmanager Bill Stepien und Sprecherin Kayleigh McEnany. Fotos von Mittwoch zeigen Hicks Seite an Seite mit Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner. Keiner von beiden trug Maske.
Auch Trump selbst traf in den vergangenen Tagen zahlreiche Menschen – darunter seine Kandidatin für den freigewordenen Richterposten am Supreme Court, Amy Coney Barrett. Mit Vizepräsident Mike Pence, der im Notfall die Amtsgeschäfte Trumps übernehmen müsste, habe er die Debatte vorbereitet, berichtet die „New York Times“. Doch im Weißen Haus seien reguläre Tests die Entschuldigung für den Verzicht auf Masken und andere Sicherheitsmaßnahmen gewesen. Und nicht zu vergessen: Trump teilte sich am Dienstag 90 Minuten eine Bühne mit Biden. Das Wahljahr hat den USA bisher wenig Gutes gebracht. Und mit der Infektion des Präsidenten ist der Ausgang nun ungewisser denn je.
Hope Hicks: Wie eine „weitere Tochter“ für Trump
Die Beziehung von Hope Hicks zur Familie von Donald Trump begann mit ihrer Arbeit für Trump-Tochter Ivankas Modelinie. Donald Trump holte sie 2015 in sein Wahlkampfteam, als er mit seiner Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner noch als Außenseiter galt. Die heute 31-Jährige zählt zu den wenigen Nicht-Familienmitgliedern, die zum innersten Kreis der Vertrauten des Präsidenten gehören. Trump hat sie einst als eine „weitere Tochter“ bezeichnet.
Bevor Trump und First Lady Melania positiv auf das Coronavirus getestet wurden, war zunächst Hicks‘ Infektion bekannt geworden. Nach Trumps Amtsantritt im Jänner 2017 nahm der Präsident Hicks mit ins Weiße Haus. Lange Zeit wirkte Hicks fast vollständig hinter den Kulissen, Trump machte sie schließlich zur Kommunikationsdirektorin. Ende Februar 2018 kündigte das Weiße Haus an, sie werde ihr Amt niederlegen. Zuvor hatte sie US-Medien zufolge in einer Anhörung vor dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses eingeräumt, ihre Arbeit für Trump erfordere es, manchmal zu lügen. Das Weiße Haus betonte damals, es gebe keinen Zusammenhang.
Hicks wechselte zum Unternehmen 21st Century Fox, zu dem auch der Trump-freundliche Sender Fox News gehört. Trump erklärte damals zum Weggang seiner Kommunikationschefin: „Ich werde sie an meiner Seite vermissen, aber als sie mich bezüglich anderer Berufsaussichten kontaktierte, habe ich das vollends verstanden.“ Der Präsident fügte hinzu: „Ich bin sicher, wir werden in der Zukunft wieder miteinander arbeiten.“
Trump sollte recht behalten: Im Februar teilte die damalige Sprecherin des Weißen Hauses, Stephanie Grisham, mit: „Ich freue mich riesig, Hope wieder im Weißen Haus begrüßen zu dürfen.“ Hicks kehrte nicht in die Kommunikationsabteilung zurück, sondern arbeitet mit Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner zusammen. Kushner teilte zur Rückkehr Hicks‘ ins Weiße Haus mit: „Es gibt niemanden, der sich mehr der Umsetzung der Agenda von Präsident Trump widmet als Hope Hicks.“