Der "Anti-Evo": Boliviens neuer Präsident Luis Arce
Ankurbelung der Wirtschaft und gesellschaftlicher Ausgleich dürften zu den wichtigsten Aufgaben des linken Präsidentschaftskandidaten Luis Arce zählen, wenn er gewinnt. Im Wahlkampf muss sich der ehemaligen Minister von Evo Morales aber auch von seinem Vorgänger abgrenzen.
La Paz – Es ist keine kleine Herausforderung gewesen, die Luis Arce in den vergangenen Monaten zu bewältigen hatte: Als Kandidat der linken MAS-Partei bei der Präsidentenwahl in Bolivien von der Beliebtheit Evo Morales' zu profitieren und sich zugleich von dem Ex-Präsidenten im argentinischen Exil zu distanzieren. Doch Arce (57) löste diese Aufgabe mit Bravour und führte einen klugen Wahlkampf. Er ist eine Art "Anti-Evo" – von seinem Wesen her wie auch von seiner Herkunft.
Das dürfte ihm auch als neuer Präsident des politisch polarisierten und gesellschaftlich gespaltenen südamerikanischen Landes zugutekommen. Während Morales seinen bescheidenen Ursprung in einer Aymara-Familie hat und seine politische Karriere in der Gewerkschaft der Koka-Bauern startete, stammt Arce aus der Mittelklasse der Hauptstadt La Paz und studierte Wirtschaftswissenschaften in Bolivien und Großbritannien. Ein Teil der MAS-Partei hatte denn auch zunächst Ex-Außenminister David Choquehuanca bevorzugt, der ein ähnliches Profil wie Morales hat und schließlich Vizepräsident wurde.
Auch wenn Arce sich früh für den Sozialismus interessierte und seine drei Kinder nach lateinamerikanischen Revolutionären und linken Politikern benannte – aktiv in die Politik trat er erst ein, als Morales ihn 2006 als Wirtschaftsminister nominierte. Dieses Amt übte er mit einer Unterbrechung aus gesundheitlichen Gründen bis 2019 aus.
Von Morales zusehends distanziert
Morales ist der Präsident, der Bolivien seit der Unabhängigkeit von Spanien 1825 am längsten regiert hat: 13 Jahre war er an der Macht. Als erster indigener Präsident des Landes regierte er mit starker Symbolkraft. In dieser Zeit war Arce, ehemaliger Mitarbeiter der bolivianischen Zentralbank, der Architekt der äußerst erfolgreichen Wirtschaftspolitik der MAS-Partei und für die Verstaatlichung des Öl- und Gassektors Boliviens verantwortlich. Instabilität und extreme Armut waren immer die Kennzeichen des Anden-Staates gewesen. Morales regierte mit dem Rückenwind des starken Wirtschaftswachstums, das sich von einem Durchschnitt von jährlich drei Prozent zwischen 1985 und 2005 nach seiner Amtsübernahme 2006 auf durchschnittlich fünf Prozent beschleunigte. Dies gab der linken Bewegung Substanz, die Armut zu verringern und die Lebenssituation der Indigenen zu verbessern.
Die Ankurbelung der Wirtschaft dürfte außer dem gesellschaftlichen Ausgleich auch eine der wichtigsten Aufgaben des als zurückhaltend und vermittelnd geltenden Arce als Präsident sein. Dass ein indigenes Hausmädchen nun auch Nachbarin sein konnte, haben manche in der Oberschicht immer noch nicht akzeptiert. Das Bruttoinlandsprodukt im schwer von der Corona-Pandemie getroffenen Bolivien wird nach Angaben des Internationalen Währungsfonds in diesem Jahr voraussichtlich um sechs Prozent sinken.
"Bolivien geht in seiner schlechtesten wirtschaftlichen Situation in Jahrzehnten an die Urnen", hatte die bolivianische Zeitung El Deber geschrieben. Um die Krise zu lösen, schlägt Arce unter anderem Subventionen für staatliche Unternehmen und eine Reihe von Anpassungen "mit Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit" vor. Von Morales hatte sich Arce in den vergangenen Wochen öffentlich zu distanzieren versucht – vielleicht als Geste an dessen Gegner, vielleicht auch, weil er wirklich ein anderer Präsident sein möchte. Dass der Ex-Präsident ankündigte, "früher oder später" in sein Heimatland zurückzukehren, hat zu einer Diskussion innerhalb der MAS-Partei geführt. "Wenn Evo Morales uns helfen will, ist er sehr willkommen", sagte Arce BBC Mundo. "Aber das bedeutet nicht, dass Morales in der Regierung sein wird. Es wird meine Regierung sein." Morales' Nachfolger im Präsidentenamt zu sein, ist keine kleine Herausforderung. (APA/dpa)