Corona-Krise

Gut zu wissen: Was ist Triage und warum ist sie so schlimm?

Mitarbeiter vor einem Triagezelt in Lissabon im April 2020.
© PATRICIA DE MELO MOREIRA

In der Corona-Pandemie gilt als oberstes Ziel, den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Ärzte und Experten warnen beinahe täglich vor der sogenannten Triage, in Salzburg scheint sie bereits nahe zu rücken. Was das genau bedeutet und warum man eine Triage unbedingt verhindern sollte, lesen Sie hier.

Innsbruck – Katastrophen, Unfälle, Anschläge: Für gewöhnlich kommt das System der sogenannten Triage in Österreich nur in absoluten Notsituationen zum Einsatz. Derzeit wird es aber vor allem im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie genannt bzw. eindringlich davor gewarnt.

Die massive Zunahme von täglichen Neuinfektionen könne schnell dazu führen, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen gerät und plötzlich nicht mehr jeder Patient ein Intensivbett zur Verfügung hat, sagen Experten. Aber wie knapp stehen wir in Österreich wirklich vor diesem Schreckensszenario und wie würde es im konkreten Fall aussehen?

⬇️ Die wichtigsten Fragen und Antworten ⬇️

❓ Was bedeutet Triage überhaupt?

Triage bedeutet, dass Ärzte sich aufgrund knapper Kapazitäten entscheiden müssen, wen sie zuerst behandeln bzw. die Patienten nach Dringlichkeit ihrer Behandlung einteilen. Entschieden wird nach der Wahrscheinlichkeit des Überlebens. Wer in den Augen der Mediziner gute Chancen hat, wird sofort intensivmedizinisch behandelt. Wer eher nicht überlebt, wird im schlimmsten Fall zum Sterben auf eine Normalstation geschickt.

Begriffsklärung

Der Begriff Triage leitet sich vom französischen Wort "trier" (sortieren) ab. Entwickelt wurde das System vom russischen Arzt Nikolai Pirogow, um im Krimkrieg (1853 bis 1856) mit der hohen Zahl verletzter Soldaten umzugehen.

📽️ Video | Mayr (ORF) zum Thema "Triage"

❓ Wann wird die Triage verwendet?

Die Innsbrucker Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker.
© TT/Julia Hammerle

Das Instrument des Triagierens wird beispielsweise bei schweren Massenunglücken (z.B. Zugunglücken) mit vielen Schwerverletzten eingesetzt. In der Corona-Krise geht es darum, wer bevorzugt intensivmedizinisch behandelt wird. Mediziner müssen im Ernstfall, also wenn zu viele Erkrankte auf zu wenige medizinische Kapazitäten treffen, anhand einer Checkliste beurteilen, wer die besten Überlebenschancen aufweist und am ehesten von einer sofortigen notfallmedizinischen Behandlung vor Ort profitiert.

"Dabei hängt es von der Schwere der Erkrankung bzw. Verletzung sowie von der konkreten örtlichen Situation ab", erklärte die Innsbrucker Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker, ihres Zeichens auch Leiterin der Arbeitsgruppe Ethik der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ARGE Ethik, ÖGARI) im vergangenen Jahr in einem Interview.

❓ Wie würde die Triage im Zusammenhang mit Covid-19 aussehen?

Darüber zerbrechen sich Experten seit Ausbruch der Corona-Krise den Kopf. Klar ist, dass die Corona-Pandemie zu einer Triage-Sondersituation führen würde. Laut Friesenecker wurde in nächtelangen Sitzungen im März des vergangenen Jahres von der ARGE Ethik eine Art Leitfaden, die sogenannte Triage-SOP, erarbeitet, die österreichweit Anwendung finden kann. Darin sind die Kriterien für die Auswahl der behandlungswürdigen Patienten festgelegt.

⚠️ Triage-Kriterien:

◾️ Das Alter darf (so wie man es in anderen Ländern im Rahmen der Covid-Pandemie durch die maximale Überlastung gesehen hat) nicht das alleinige Triage-Kriterium sein, sondern lediglich eines von vieren.

◾️ Die anderen drei umfassen einerseits Begleiterkrankungen wie unter anderem schwere Herzkreislauf-, Lungen-, Nieren-, Leber- und neurologische Erkrankungen sowie sogenannte "Scores", die die Gebrechlichkeit (ADL/Frailty Score) und die Schwere der Erkrankung bei Intensivpflichtigkeit (SOFA Score) erfassen. Das vierte Kriterium ist schließlich der Patientenwille.

◾️ All diese Kriterien münden in der konkreten Situation im Krankenhaus in eine Checkliste, die Ärzte und Patienten quasi durch die Notsituation führen und auf der alle Informationen rund um den Patienten dokumentiert werden.

❓ Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Konkret müsse man sich im Corona-Fall laut Friesenecker folgendes Szenario vorstellen: Viele Patienten kommen alle zeitgleich in eine Ambulanz, klagen über akute Atemnot, haben blaue Lippen, und sind lebensgefährlich durch den Sauerstoffmangel bedroht. Alle müssten akut intensivmedizinisch behandelt werden, um nicht zu sterben.

Erheblicher Zeitdruck und Personalmangel machen eine übliche Abklärung bzw. eine individuell auf den Patienten abgestimmte Intensiv-Versorgung nicht möglich. Anhand der Checkliste muss dann entschieden werden, welcher der Patienten zuerst intubiert (künstlich beatmet) wird und ein Intensivbett (zur Behandlung des sehr häufigen Organversagens) bekommt.

Im Zuge dessen wird auch entschieden, wer aus Mangel an genügend Intensivbetten bei geringer Überlebenswahrscheinlichkeit zum Sterben auf die Normalstation geht (unter palliativmedizinischer Begleitung).

💬 Der deutsche Virologe Christian Drosten erklärte Triage so:

Christian Drosten, Direktor, Institut für Virologie, Charite - Universitätsmedizin Berlin.
© Michael Kappeler

Man habe zum Beispiel einen alten Covid-19-Patienten, der seit einer Woche auf der Intensivstation beatmet werde, mit einer Überlebenschance zwischen 30 und 60 Prozent. Und dann komme ein 35-jähriger Vater dreier Kinder mit einem schweren Covid-19-Verlauf. Der jüngere Patient müsse dringend an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, sonst sei er übermorgen tot – das wisse man als Intensivmediziner, sagte Drosten bei einer Veranstaltung Anfang November des vergangenen Jahres.

"Was machen Sie? Sie müssen einen der älteren Patienten abmachen [also vom Beatmungsgerät trennen, Anm.]. Das ist, was Triage bedeutet", sagte Drosten. Aus diesem Grund setze die Bundesregierung auf Maßnahmen zur Kontaktreduktion." In unserem Kulturkreis gebe es ein anderes Ethikverständnis als in anderen Kulturkreisen: "Bei uns zählen alle Menschenleben."

Auch heuer rechnet Drosten aufgrund der geringen Impfrate wieder mit Shutdown-Maßnahmen. 2G würde bereits nicht mehr ausreichen, so Drosten vor wenigen Tagen. "Wir haben jetzt im Moment eine echte Notfallsituation", sagte der Leiter der Virologie in der Berliner Charité angesichts der Lage auf den Intensivstationen im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update". "Wir müssen jetzt sofort etwas machen."

❓ Betrifft eine Triage auch Menschen ohne Covid-19?

Ja. Ob mit oder ohne Covid-19: Wenn in Krankenhäusern ein Triage-System eingeführt wird, sind alle Patienten betroffen, die eine intensivmedizinische Behandlung brauchen. Nicht alle können dann optimal versorgt werden, die Sterblichkeit steigt.

❓ Welche Erfahrungen mit der Triage gibt es in anderen Ländern?

Triage ist nicht nur eine Drohkulisse, sondern wurde in manchen Ländern bereits Realität. Zu Beginn der Pandemie war es etwa in der chinesischen Stadt Wuhan und danach in anderen Teilen des Landes innerhalb der ersten Jänner-Wochen zu einem explosionsartigen Anstieg der Covid-19-Fälle gekommen. In Wuhan brach zeitweise das Gesundheitssystem zusammen. Aufgrund des Mangels an Intensivbetten wurde frühzeitig ein Triagesystem etabliert, hatte der deutsche Infektiologe Tobias Welte damals auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) berichtet.

"Ältere Patienten, insbesondere solche mit Ko-Morbiditäten (Begleiterkrankungen, Anm.) wurden bei Vorliegen einer respiratorischen Insuffizienz nicht mehr intensivmedizinisch betreut", erläuterte Welte. "Hieraus erklärt sich die hohe Sterblichkeitsrate in Wuhan."

Auch in Italien und Frankreich war es im weiteren Verlauf der Pandemie zu Triage-Entscheidungen gekommen.

❓ Wie groß ist die Gefahr einer Triage in Österreich?

Wohl hoch. Die Infektionszahlen explodieren seit einigen Wochen vor allem unter Ungeimpften. Die Krankenhauskapazitäten konnten das aufgrund der vielen Impfungen länger aushalten als noch im Vorjahr, als es noch keine Geimpften gab. Spätestens jetzt stoßen aber bereits die ersten Krankenhäuser in manchen Bundesländern an ihre Grenzen.

Die Geschäftsführung der Salzburger Landeskliniken (SALK) wandte sich nun mit einem dramatischen Hilferuf an das Land Salzburg als Spitalserhalter. Es könne in den Kliniken die Behandlung weiterer Patienten nach geltenden medizinischen Standards und Sorgfaltsmaßstäben bald nicht mehr garantiert werden. Es drohe eine Notstandssituation einzutreten, in der intensivmedizinische Triagierungen vorgenommen werden müssen.

Die SALK haben inzwischen ein sechsköpfiges Triagierungsteam nominiert, das aus fünf Medizinern verschiedener Fachbereiche – darunter ein Internist, ein Intensivmediziner und ein Palliativarzt – und einer Juristin besteht, sagte SALK-Sprecher Wolfgang Fürweger am Dienstagvormittag zur APA. Dieses Team müsse dann entscheiden, welche Patienten noch intensivmedizinisch behandelt werden können.

Auch in anderen Bundesländern steigen die Spitalszahlen derzeit immer weiter. Auch planbare Operationen werden stellenweise bereits verschoben, etwa in Oberösterreich.

❓ Wie kann die Triage verhindert werden?

Generell versuchen die Verantwortlichen auch in der vierten Welle, durch verschärfte Maßnahmen wie den Lockdown für Ungeimpfte und 2G-Regeln Kontakte zu reduzieren und dadurch die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen bzw. ein weiteres exponentielles Ansteigen der Kurve der Neuerkrankungen zu unterbinden. Je weniger Menschen sich infizieren, desto weniger erkranken schwer und so werden die Krankenhäuser und Intensivstationen entlastet.

Unendlichen Spielraum habe man jedoch nicht, machte Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker klar, denn: "Schon im Normalbetrieb beträgt die Auslastung auf den Intensivstationen 80 bis 90 Prozent". Hinzukomme das Problem der auch im "Normalbetrieb" eher knappen Personalressourcen. "Bevor uns die Intensivbetten und die Beatmungsgeräte ausgehen, geht uns das qualifizierte Personal aus", gab die Ärztin zu bedenken.

Einfach mehr Personal auszubilden war in der Krise übrigens nicht möglich, erklärten Experten immer wieder. Ein Grund: Die Ausbildung dauert zu lange. (TT.com, APA)

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