Gut zu wissen: Darum wissen inkompetente Menschen immer alles besser
Hobby-Virologen und Verschwörungstheoretiker sind vor allem eines: nicht einsichtig, wenn ihnen Menschen mit mehr Fachwissen zu einem bestimmten Thema Fakten präsentieren. Was hinter diesem Phänomen steckt und was man dagegen tun kann, lesen Sie hier.
Innsbruck – Der 19. April 1995 hätte eigentlich sein Tag werden sollen: Völlig von sich überzeugt stürmte der US-Amerikaner McArthur Wheeler unmaskiert zwei Banken in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania, bedrohte die Angestellten mit einer Waffe und machte sich dann mit jeder Menge Bargeld aus dem Staub. Dass es Videokameras gab, war Wheeler egal.
Die Aufnahmen führten die Polizei allerdings binnen einer Stunde zur Wohnadresse des 44-Jährigen, wo dann auch die Handschellen klickten. Der Verdächtige stritt die Überfälle zunächst ab. Als ihm Videos vorgespielt wurden, war er verblüfft: Er erklärte, sein Gesicht vor dem Coup sorgfältig mit Zitronensaft eingerieben zu haben, weil einen das für die Kameras unkenntlich mache. Dass das Blödsinn ist, liegt auf der Hand – Wheeler war dennoch fassungslos. Er war so sehr von sich selbst bzw. seinem genialen Plan überzeugt gewesen, dass er die Logik hinten angestellt hatte.
Einige Jahre später erregte der gescheiterte Bankräuber noch einmal Aufmerksamkeit, nämlich die der beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger von der Cornell University. Die Wissenschafter nahmen den Fall McArthur Wheeler zum Anlass, um 1999 in einer Studie den Zusammenhang zwischen Selbstüberschätzung und Inkompetenz zu erforschen.
Cleese: „Dumme Menschen wissen nicht, wie dumm sie sind"
Probanden wurden Tests zu Allgemeinwissen, Intelligenz und Hausverstand unterzogen, zudem wurde ihr Verständnis von Humor, logischem Argumentieren und Grammatik überprüft. Anschließend mussten die Probanden ihre eigene Leistung beim Test einschätzen. Das Ergebnis war bahnbrechend. Ausgerechnet die, die am schlechtesten abschnitten, hatten sich zuvor am besten eingeschätzt.
Etwas allgemeiner formuliert heißt das: Wer etwa Schwächen beim Autofahren, Lesen oder beim Sport hat, neigt dazu, sein eigenes Können zu überschätzen und andere (die sich damit wirklich auskennen) zu unterschätzen. Das Phänomen wurde schließlich als „Dunning-Kruger-Effekt" bekannt und ist nach wie vor weit verbreitet.
Der Dunning-Kruger-Effekt
Der nach den US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger benannte Dunning-Kruger-Effekt beschreibt das Phänomen, dass inkompetente Menschen ihr eigenes Können überschätzen und zudem nicht in der Lage sind, das Maß ihrer Inkompetenz zu erkennen. Zusammengefasst würde das bedeuten:
Wer weniger kompetent ist ...
- neigt zur Selbstüberschätzung
- glaubt nicht an die Kompetenz anderer Menschen
- ist nicht kompetent genug, die eigene Inkompetenz zu erkennen bzw. sich weiterzubilden.
Ein Freund von David Dunning, der Komiker und Schauspieler John Cleese, beschrieb es in einem Sketch so: "Das Problem mit dummen Menschen ist, dass sie nicht die leiseste Ahnung haben, wie dumm sie wirklich sind."
⚠️ Hinweis: Dunning und Kruger klammern in ihrer Studie die tatsächliche Intelligenz der Menschen explizit aus – sprich: wer sich selbst überschätzt und fachlich womöglich nicht kompetent ist, ist nicht automatisch dumm.
⬇️ Beispiele für den Dunning-Kruger-Effekt ⬇️
Der Dunning-Kruger-Effekt ist bei weitem kein Phänomen der 90er-Jahre, sondern heute vielleicht allgegenwärtiger als jemals zuvor. Vor allem in den Kommentarspalten der sozialen Medien ist es kaum möglich, nicht damit konfrontiert zu werden. Hier einige Beispiele im Alltag:
🟡 Hobby-Virologen: Der Corona-Krise ist es zu verdanken, dass es heutzutage mehr Virologen gibt als jemals zuvor. Zwar haben diese nicht studiert, keine wissenschaftlichen Abhandlungen verfasst, keine Forschung betrieben und maximal die „YouTube-Uni" oder die „Schule des Lebens" absolviert, dennoch sehen sie sich in allen wissenschaftlichen Belangen im Recht. Jenen, die sich beruflich seit Jahrzehnten mit Epidemiologie oder Virologie befassen und tatsächlich Experten auf ihrem Gebiet sind, wird die Kompetenz abgesprochen.
Ganz nach dem Motto: „Warum sollte ein Christian Drosten (Virologe) oder ein Robert Koch-Institut mehr wissen als ich? Ich habe mir YouTube-Videos von Insidern angesehen!" Leider sind Hobby-Virologen sehr oft beratungsresistent und wenn sie von tatsächlichen Fachleuten zurechtgewiesen werden, fühlen sie sich übergangen (siehe Punkt am Ende des Artikels) und wittern womöglich eine Verschwörung.
🟡 Dr. Google: Ähnlich äußert sich der Dunning-Kruger-Effekt beim Thema Medizin. Beim kleinsten Wehwehchen wird auch hierzulande sofort Dr. Google befragt. Wer die Ursache für das Problem im Netz recherchiert hat (meistens Krebs oder eine unheilbare neurologische Erkrankung), konfrontiert damit den Hausarzt. Dass Vorsehen besser ist als Nachsehen, liegt auf der Hand. Weist der Arzt die Bedenken des Patienten mit Verweis auf die eigene Berufserfahrung aber zurück und begründet das mit fachlichem Wissen, lassen das manche Patienten nicht gelten – Dr. Google hat es schließlich möglich gemacht, sich selbst besser auszukennen. Man überschätzt also sich selbst und spricht dem Arzt sein Können ab.
🟡 Der Fall Donald Trump: Der Neurowissenschafter Bobby Azarian berichtete in seinem Blog für die Zeitschrift Psychology Today über den US-Wahlkampf 2016 und die Frage, warum der damals gewählte US-Präsident Donald Trump trotz der Verbreitung offensichtlicher Unwahrheiten so viele loyale Anhänger hat. „Was geht in ihren Gehirnen vor, das sie so blind hingebungsvoll macht? Im Wesentlichen sind sie nicht klug genug, um zu erkennen, dass sie dumm sind", so Azarian.
Sogar Dunning selbst schrieb im Wahlkampf 2016 in einem Beitrag für die Nachrichtenseite Politico: „Dieses Syndrom könnte durchaus der Schlüssel zum Trump-Wähler sein – und vielleicht sogar zu dem Mann selber. Trump hat zahlreiche anschauliche Beispiele für diesen Effekt geliefert."
🟡 Die einzig wahren Fahr-, Fußball- und Grillprofis: Im Straßenverkehr ist der Dunning-Kruger-Effekt allgegenwärtig. Egal wie, die anderen Autofahrer fahren immer falsch. Vor allem junge Männer tendieren beim Fahren zur Selbstüberschätzung. Tatsächlich sind sie es, die die meisten Autounfälle verursachen. Aber auch in anderen Disziplinen – beispielsweise Fußball, Grillen, Heimwerken – ist Selbstüberschätzung der eigenen Kompetenz und Zweifeln an der Kompetenz der anderen ein Problem. Handwerker dürften das vermutlich kennen: Es soll Kunden geben, die sich allein durch das Schauen eines YouTube-Erklärvideos als Experte fühlen und Tischler, Maler, Bodenleger und Co. ihre Jobs erklären wollen.
🟡 Die „Lügenpresse": Zum Thema Medien werden gerade in Zeiten wie diesen die wahnwitzigsten Behauptungen in die Welt posaunt: „Fake News. Die werden von der Regierung oder von der Gates-Stiftung bezahlt. Die wollen nur Panik verbreiten" – als Medienmacher etwas auf Facebook zu teilen, inkludiert mittlerweile die Teilnahme am „Bullshit-Bingo“ der Verschwörungstheorien und Vorwürfe.
Der Dunning-Kruger-Effekt manifestiert sich hier meist auf drei Arten:
▪️ Variante 1: Fachlich inkompetente User sind der Meinung, mehr von der Materie zu verstehen als die in den Artikeln zitierten Experten. Sie sprechen jenen die Berufsausbildung und -erfahrung ab, die den ganzen Tag lang nichts anderes machen, als ihrem Job nachzugehen. Auch dieser Artikel wird genau das nach sich ziehen.
▪️ Variante 2: Fachlich inkompetente User meinen, die Materie besser zu verstehen als jene, die stundenlang Fakten recherchiert, Interviews geführt und Meinungen von anerkannten Experten in Artikelform gebracht haben. Jene, die mit journalistischem Handwerk nicht vertraut sind, sprechen also Redakteuren die Fähigkeit ab, Fakten und Meinungen neutral wiederzugeben. Auch dieser Artikel wird genau das nach sich ziehen.
▪️ Variante 3: Fachlich inkompetente User machen sich gegenseitig nieder, indem sie einander fehlende Kompetenz vorwerfen. Auch dieser Artikel wird genau das nach sich ziehen.
🟡 Casting-Shows: Egal, wie schlecht man singen kann: Mit dem nötigen Selbstbewusstsein ist erst vor Dieter Bohlen Schluss. Fällt dieser eine vernichtende Kritik, ist die Fassungslosigkeit meist groß. Was bleibt, ist ein anschauliches Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt in Reinkultur.
Warum überschätzen sich manche Menschen?
Der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb beschrieb das in einem Gespräch mit dem National Geographic als ein völlig normales Phänomen: „Wir alle haben ein positives Selbstbild, das wir aufrecht halten wollen.“ Manchmal winke dabei eine Belohnung. „Wer sich leicht selbst überschätzt, der ist eher erfolgreich, weil er auch Aufgaben angeht, die er nach realistischer Einschätzung vielleicht gar nicht angegangen hätte“, so Erb. Wenn diese Aufgaben möglicherweise mit etwas Glück oder der Hilfe anderer zum Erfolg führen, habe man das Gefühl, alles richtig zu machen. Nach dem Motto: Wer sich selbst aufwertet, macht sich stark. Auch mit Oberflächenwissen und guter Selbstinszenierung kann man so erfolgreich sein.
❌ Was kann man gegen das Phänomen tun?
Für inkompetente Menschen ist es tatsächlich schwer, sich alleine aus dem Teufelskreis ihrer Inkompetenz zu befreien (sie wissen ja nicht, dass sie inkompetent sind). Laut Dunning und Kruger gibt es jedoch Hoffnung. In Studien konnten die beiden Psychologen beobachten, dass Probanden ihre Selbsteinschätzung im Zuge von Übungen und dem Erlangen neuer Informationen verbessern konnten.
Das heißt so viel wie: Bildung hilft dabei, Wissenslücken zu beseitigen. Aber auch eine ehrliche Rückmeldung anderer Menschen ist wichtig. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten: Wird diese Rückmeldung zu unsensibel formuliert, geht der Schuss nach hinten los und der Dunning-Kruger-Effekt setzt wieder ein: Ein inkompetenter Mensch neigt dann dazu, sich als "verkanntes Genie" zu fühlen. (TT.com/reh)
Kurioses
💡 David Dunning und Justin Kruger scheinen nicht an Selbstüberschätzung zu leiden – im Gegenteil: Die beiden US-Psychologen schreiben in den ersten Seiten ihrer Publikation zu ihrer Studie, dass sich die „unbewusste Inkompetenz" auf vielen Gebieten zeige, darunter „Teamführung, Kindererziehung und das Durchführen einer fragwürdigen psychologischen Studie".
💡 Der Dunning-Kruger-Effekt gewann im Jahr 2000 den satirischen „Ig-Nobelpreis" im Bereich Psychologie.
💡 Vom Fall McArthur Wheeler ließen sich wohl zwei Bankräuber in Brasilien inspirieren. Sie rieben sich allerdings nicht mit Zitronensaft ein, sondern stürmten umhüllt von Alufolie ein Geldinstitut. Sie nahmen an, dass die Alarmanlage sie so nicht bemerken würde.