Mehr als 90 Flüchtlinge bei Bootsunglücken vor Libyen ertrunken
Seit fast zehn Jahren herrscht in Libyen Bürgerkriegschaos. Das Land hat sich zu einem der wichtigsten Transitgebiete für Migranten auf dem Weg nach Europa entwickelt. Immer wieder sterben dabei Menschen.
Tripolis – Beim Untergang von zwei Booten mit Flüchtlingen vor der Küste des Bürgerkriegslandes Libyen sind mehr als 90 Menschen ertrunken. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) meldete am Donnerstag, vor der Stadt Khums im Westen Libyens seien mindestens 74 Menschen ums Leben gekommen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) erklärte außerdem über Twitter, weiter westlich seien vor der Stadt Surman 20 Menschen gestorben.
An Bord des vor Khums verunglückten Bootes sollen nach IOM-Angaben mehr als 120 Menschen gewesen sein, darunter auch Kinder. 47 Überlebende seien von der Küstenwache und Fischern an Land gebracht worden, teilte IOM weiter mit. 31 Leichen seien geborgen worden. Die Suche nach Opfern gehe weiter.
MSF zufolge wurden nach dem Untergang des zweiten Bootes drei Frauen als einzige Überlebende von Fischern gerettet. Die Opfer hätten miterleben müssen, wie Angehörige vor ihren Augen gestorben seien.
Wichtiges Transitgebiet für Menschen auf der Flucht
In Libyen herrscht seit fast zehn Jahren Bürgerkrieg. In dem Chaos hat sich das nordafrikanische Land zu einem der wichtigsten Transitgebiete für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa entwickelt. Die Situation für Geflüchtete in dem nordafrikanischen Land ist katastrophal. Vielfach wurde in den vergangenen Jahren von Missbrauch, Sklaverei und Folter in sogenannten Internierungslagern für Geflüchtete berichtet.
Die meisten Migranten wagen die gefährliche Überfahrt in seeuntüchtigen Gummibooten. Immer wieder kommen bei Unglücken im Mittelmeer viele Migranten ums Leben.
Die IOM erklärte, allein in den vergangenen zwei Tagen seien zwei Boote gekentert und dabei mindestens 19 Menschen ertrunken. In den vergangenen Wochen sei die Zahl der ablegenden Boote gestiegen.
In der wachsenden Zahl der Toten im Mittelmeer drücke sich die Unfähigkeit der Staaten aus, entschieden zu handeln und dringend benötigte Such- und Rettungskapazitäten zu entsenden, sagte der Leiter der IOM-Mission in Libyen, Federico Soda. "Tausende schutzbedürftiger Menschen zahlen weiter den Preis für Untätigkeit sowohl auf See als auch an Land", erklärte er.
Nach IOM-Angaben sind in diesem Jahr mindestens 900 Menschen ertrunken, als sie über das Mittelmeer nach Europa wollten. 11.000 weitere Migranten seien zurück nach Libyen gebracht worden, wo sie dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen, Inhaftierung oder Menschenhandel ausgesetzt seien, kritisierte die Organisation.
Totes Baby geborgen
Am Mittwoch hatten private spanische Retter mehr als 110 Migranten vor Libyen aus Seenot geborgen. Kurz nach der Rettung aus dem Mittelmeer starb ein sechs Monate altes Flüchtlingsbaby nach Angaben der Helfer auf dem Schiff "Open Arms". Wie Open Arms am Donnerstag mitteilte, zog die Mannschaft bei dem Einsatz fünf Menschen tot aus dem Wasser. Mit dem Baby stieg die Zahl der Toten auf sechs.
Viele Menschen legen weiterhin in kleinen Booten in den nordafrikanischen Ländern Tunesien und Libyen ab, um nach Europa zu gelangen. Auf der Insel Lampedusa landeten in den vergangenen Tagen mehrere Boote mit Hunderten Menschen. Insgesamt kamen in Italien nach offiziellen Zahlen 2020 bisher fast 31.000 Migranten an. 2019 waren es im gleichen Zeitraum knapp 10.000 Menschen. (dpa)