1960–2020

Die Fußball-Welt weint um ein Idol: Diego Maradona ist tot

Diego Armando Maradona im Oktober 2016.
© FILIPPO MONTEFORTE

Der „Goldjunge“ aus Argentinien führte ein Leben auf der Überholspur: Auf dem Rasen spielte er seine Gegner schwindelig, neben dem Platz stürzte er sich gerne auch mal ins Delirium. Mehr als einmal sprang er dem Tod von der Schippe. Jetzt ist der Ausnahmespieler gestorben.

Von Nils Bastek, Jan-Uwe Ronneburger und Dennis Dütmann, dpa

Buenos Aires – Die Fußball-Welt trauert um Diego Armando Maradona. Der argentinische Nationalheld, dieser geniale Künstler am Ball, dessen Leben so viele, tragische Wendungen nahm, ist am Mittwoch im Alter von nur 60 Jahren gestorben. Weltmeister, Serienmeister, UEFA-Cup-Sieger, Dopingsünder, gescheiterter TV-Moderator und Kokain-Junkie in Personalunion – eigentlich viel zu viel für ein einziges Leben. Erst kürzlich hatte der „Goldjunge“ einen Krankenhaus-Aufenthalt überstanden. Argentinien weint.

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Es gibt unzählige Anekdoten über Maradona: Wie er seine Gegenspieler reihenweise narrte, wie er sogar den Tod gerade noch umdribbelte, wie er mit einem Luftgewehr auf Journalisten schoss oder sogar eine Kirche nach ihm benannt wurde? Als Fußballer war Maradona so unbeschreiblich gut wie vielleicht niemand davor oder danach. Als Mensch war er viele Jahre später mal so dick, dass er kaum sprechen konnte. Diego Armando Maradona: Dieser Name steht für ein Leben zwischen den Extremen, zwischen Himmel und Hölle, zwischen Genie und Wahnsinn.

Nach Hirnoperation aus Krankenhaus entlassen

Maradona war am 11. November, gut eine Woche nach der Operation wegen einer Hirnblutung, aus einem Krankenhaus in einem Vorort von Buenos Aires entlassen worden. Beim einstigen Superstar war zunächst von emotionalem Stress, Blutarmut und Dehydrierung die Rede. Bei den Tests wurde dann eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirn festgestellt.

Maradona habe den möglicherweise schwierigsten Moment seines Lebens überstanden, sagte sein Anwalt Matías Morla da. Der frühere „Pibe de Oro“ (Goldjunge) sei gewillt, sich wegen persönlicher Probleme zu rehabilitieren: „Es wird Maradona noch eine Weile geben.“

Im September 2019 übernahm Maradona den Trainerposten beim Erstligisten Gimnasia y Esgrima La Plata. Auf Instagram zeigte er sich mit einem kleinen Hund auf dem Arm, mit einer Taktiktafel im Garten oder mit einer einem Astronautenhelm ähnelnden Spezialmaske zum Schutz vor dem Coronavirus auf dem Kopf. Auf den Fotos sieht Maradona meist schlank und gesund aus, einmal trug er sogar eine modische Brille. Die Botschaft war: Es geht ihm gut. „Man muss anmerken, dass er seine Lebenskrise, die da entstanden ist nach dem Fußball, anscheinend gemeistert hat“, sagte Günter Netzer kurz vor Maradonas 60. Geburtstag am 30. Oktober.

Mythos Maradona

Für den Ex-Nationalspieler ist Maradona so wie für viele Menschen ein Mythos geblieben. Die Legende beginnt in der Siedlung Villa Fiorito am Rande von Buenos Aires, wo „El Pibe de Oro“ (der Goldjunge) früh vom Erstligisten Argentinos Juniors entdeckt wird. Als zwölf Jahre alter Balljunge soll er den Zuschauern mit seinen Kabinettstückchen während der Halbzeitpausen schon mehr Unterhaltung als die erste Mannschaft geboten haben. Im Alter von 15 Jahren gibt er sein Debüt in der ersten Liga, mit 16 ist er Nationalspieler, mit 17 Torschützenkönig und als 19-Jähriger erstmals Südamerikas Fußballer des Jahres.

Maradona und Pelé im Jahr 2016.
© PATRICK KOVARIK

Ob er der neue Pelé ist, wollen argentinische Reporter damals von ihm wissen. „Ich bin Maradona, kein neuer Irgendwas. Ich will einfach nur Maradona sein“, antwortet der junge „Diegito“. Und das ist ihm ohne Zweifel gelungen: Denn sein Lebensweg ist unvergleichlich. Am Anfang geht noch Vieles gut. 1982 wechselt Maradona für eine Rekordablösesumme zum FC Barcelona, zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weitere Rekordablöse geht es weiter zum SSC Neapel, also nicht zu den großen Clubs im Norden Italiens, sondern zum verspotteten Fast-Absteiger in den verachteten Süden. „Kloake Italiens“, tönen Juve- oder Milan-Fans beim direkten Duell.

Diego Maradona im Januar 2017.
© MICHAEL BUHOLZER

Hier beginnt die Verwandlung. Maradona steigt höher und höher, 1987 und 1990 führt er Neapel zu den bis heute einzigen Meisterschaften der Vereinsgeschichte. Schon bei seiner Begrüßung hatten mehr als 70 000 Fans ihn im Stadio San Paolo empfangen, später lungern die Menschen immer wieder vor seiner Haustür herum. Einmal soll eine Krankenschwester eine Blutprobe von ihm gestohlen und in die Kirche gebracht haben. Die Neapolitaner verehren ihn wie einen Heiligen. Maradona kommt mit dem Hype klar, so lange er Fußball spielt, auf dem Rasen wird er besser und besser.

„Auf dem Platz wird das Leben unwichtig. Die Probleme, all das wird unwichtig“, sagt er in der Amazon-Dokumentation „Diego Maradona“. Mit Argentinien wird er 1986 Weltmeister, 1989 gewinnt er mit Neapel auch noch den UEFA-Pokal. Abseits des Platzes wird er genauso unkontrollierbar wie für seine Gegenspieler. Er verfällt dem Kokain („Eine Line - und ich fühlte mich wie Superman“), zieht zum Teil von Sonntagabend bis Mittwoch um die Häuser, um danach bis zum nächsten Spiel am Wochenende wieder alles auszuschwitzen. Seine Nationalmannschaftskarriere endet bei der WM 1994 wegen einer zweiten, monatelangen Doping-Sperre durch die FIFA.

Rummel nahm groteske Ausmaße an

Das extreme Pendeln zwischen himmelhoch jauchzendem Übermut und verzweifelter Niedergeschlagenheit ist auch vielen seiner Landsleute nicht fremd. Der Rummel um Maradona nahm bisweilen groteske Ausmaße an. So gab es ein Maradona-Museum, ein Maradona-Musical und sogar eine Maradona-Kirche, in der das „Diego Unser“ gebetet wurde. Nach seiner Fußballkarriere suchte Maradona auch immer wieder die Nähe zu den linken Caudillos Lateinamerikas. Gerne zeigte er sich an der Seite von Fidel Castro, Hugo Chávez oder Nicolás Maduro.

„Diego hatte ein Leben wie ein Traum. Und wie ein Alptraum“, sagte sein langjähriger Fitnesstrainer Fernando Signorini. Unvergessen sind die „Hand Gottes“, mit der er bei der WM 1986 gegen England getroffen hatte, oder sein Jahrhunderttor nach einem unfassbaren Dribbling im selben Spiel. Unvergessen sind aber auch die Jahre später erschienenen Bilder vom kugelrunden Maradona mit schrillblonden Haaren. Er scheiterte als TV-Moderator und argentinischer Nationalcoach, verbrachte Wochen in Krankenhäusern, ließ sich den Magen verkleinern und schrammte mehrmals knapp am Tod vorbei.

„Ich glaube, er hält sich für einen Gott, und das könnte einer der Gründe für seine Probleme sein“, sagte vor vielen Jahren mal der Leiter der Klinik Güemes in Buenos Aires, Héctor Pezzella, wo Maradona 2007 in Behandlung war.

Der Ausnahme-Spieler hat sich nie geschont, weder auf noch neben dem Platz. „Er lebt jeden Moment, als wäre es sein letzter“, sagte sein Fitnesstrainer Signorini einmal. „Wenn Diego einmal nicht mehr da ist, wird er noch mehr geliebt werden.“

Reaktionen auf den Tod von Diego Maradona

Pele (Fußball-Idol Brasiliens): "Eine traurige Nachricht, so einen Freund zu verlieren. Möge Gott seiner Familie genug Kraft geben. Eines Tages werden wir sicher im Himmel gemeinsam kicken."

Herbert Prohaska (Österreichs Jahrhundert-Fußballer im ORF): "Zu meiner Zeit hat Neapel gegen den Abstieg gespielt, mit Maradona wurde Neapel dann zweimal Meister. Und Argentinien hat er zum Weltmeister gemacht, ein unglaublicher Spieler. Du hast ihn als Gegenspieler nur bewundert. Er war ein Spieler, der alles konnte, ein Genie."

Gary Lineker (Ex-Stürmer aus England): "Mit Abstand der beste Spieler meiner Generation und wohl der größte aller Zeiten. Nach einem gesegneten, aber problembelasteten Leben wird er hoffentlich Trost in den Händen Gottes finden. #RipDiego."

Boca Juniors (Argentinischer Club): "Ewiger Dank. Ewiger Diego."

Alberto Fernandez (Argentiniens Staatspräsident): "Du hast uns an die Spitze der Welt geführt und uns sehr glücklich gemacht. Du warst der Größte von allen. Danke, dass du bei uns warst, Diego. Wir werden dich unser ganzes Leben vermissen."

SSC Napoli (Maradonas Club von 1984 bis 1991): "Jeder erwartet unsere Worte. Aber welche Worte können wir für Schmerzen verwenden wie jene, die wir erleben? Jetzt ist die Zeit für Tränen. Dann wird es Zeit für Worte geben. Wir trauern. Wir fühlen uns wie eine Boxer, der ausgeknocked worden ist. Wir stehen unter Schock. Immer in unseren Herzen. Ciao Diego."

Luigi de Magistris (Neapels Bürgermeister): "Diego Armando Maradona, der größte Fußballer aller Zeiten, ist tot. Diego hat unser Volk zum Träumen gebracht, er befreite Neapel mit seiner Genialität. Im Jahr 2017 wurde er unser Ehrenbürger. Diego, Neapolitaner und Argentinier, du hast uns Freude und Glück geschenkt. Neapel liebt dich."

FC Barcelona (Maradonas Club von 1982 bis 1984): "Der FC Barcelona drückt sein tiefstes Beileid in Bezug auf den Tod von Diego Armando Maradona aus, ein Spieler für unseren Club und eine Ikone des Weltfußballs. Ruhe in Frieden, Diego. Danke für Alles, Diego."

Cristiano Ronaldo (portugiesischer Fußball-Star): "Heute verabschiede ich mich von einem Freund und die Welt verabschiedet sich von einem ewigen Genie. Einer der Besten unserer Zeit. Ein beispielloser Zauberer. Er geht viel zu früh, hinterlässt aber ein grenzenloses Vermächtnis und eine Leere, die nie mehr aufgefüllt werden wird. Ruhe in Frieden. Du wirst nie vergessen werden."

Marta (mehrmalige Weltfußballerin aus Brasilien): "Wir verlieren einen Gott am Ball. Eine historische Legende, die uns alle inspiriert hat."

UNO (Sprecher Farhan Haq): "Ich denke, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass es manchmal schien, als wäre er von der Hand Gottes berührt worden."

FC Barcelona (Maradonas Club von 1982 bis 1984): "Der FC Barcelona drückt sein tiefstes Beileid in Bezug auf den Tod von Diego Armando Maradona aus, ein Spieler für unseren Club und eine Ikone des Weltfußballs. Ruhe in Frieden, Diego. Danke für Alles, Diego."

Leo Windtner (ÖFB-Präsident): "Es ist einer der größten Fußballer, die wir je auf diesem Globus gesehen haben – mit allen seinen Schattenseiten – von uns gegangen. Die Lichtblicke werden für uns aber immer alles überstrahlen und in Erinnerung bleiben. Es hat ihn so besonders gemacht, dass er seine Teams – ob das argentinische Nationalteam oder Napoli – so mitreißen konnte. Er war für seine Teams ein Spirit. Er war ein Leonardo da Vinci, ein Universalgenie. Die Nachricht vom Tod hat uns tief getroffen."

Andreas Herzog (ÖFB-Rekordteamspieler, via Sky): "Er war wahrscheinlich der beste Spieler seiner Zeit. Irgendwie hat es (die Nachricht, Anm.) mich aber gar nicht so überrascht nach den letzten Jahren. Als Fußballer war er natürlich eine Ausnahmeerscheinung. Als Gegenspieler war es wahrscheinlich nicht so lustig, er konnte dir Knoten in die Haxen spielen."

Österreichischer Fußball-Bund (ÖFB, via Twitter): "Gott bekommt seine Hand viel zu früh zurück. RIP Diego Maradona."

Lionel Messi (argentinischer Rekord-Weltfußballer): "Ein sehr trauriger Tag für alle Argentinier und für den Fußball. Er verlässt uns, aber er geht nicht weg, weil Diego ewig ist. Ich behalte all die schönen Augenblicke in Erinnerung, die ich mit ihm erlebt habe. Mein Beileid an seine ganze Familie und an seine Freunde. Ruhe in Frieden."

Aleksander Ceferin (UEFA-Präsident) auf Twitter: "Ich bin zutiefst traurig über den Tod von Diego Maradona, eine der größten und bekanntesten Persönlichkeiten des Weltfußballs. Er war ein wunderbarer Spieler mit einem ganz eigenen Genie und Charisma. Ich hatte erst kürzlich Kontakt zu ihm, um ihm alles Gute zu wünschen, und diese Nachricht ist für mich ein erheblicher Schock. Er war ein Held in seiner Heimat Argentinien und wurde zu einem ewigen Idol für die Anhänger Napolis, die die Erfolge, die er während seiner denkwürdigen Zeit in Italien für den Verein errang, nie vergessen werden. Er wird als jemand in die Geschichte eingehen, der den Fußball erleuchtet hat, junge und alte Fans mit seiner Brillanz und seinem Können begeisterte. Ich habe die UEFA angewiesen, bei den Spielen in dieser Woche eine Schweigeminute im Gedenken an Diego abzuhalten."

Karl-Heinz Rummenigge (Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München): "Mit Diego Maradona geht einer der größten Fußballer der Geschichte von uns. Der FC Bayern trauert mit seinen Angehörigen, mit seiner Heimat Argentinien und all seinen Fans. Ich hatte die Ehre, gegen ihn spielen zu dürfen: drei Jahre in der Serie A und mit der deutschen Nationalelf im WM-Finale 1986. Ich bin stolz, ihn auf dem Platz erlebt haben zu dürfen. Diego Maradona hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gab – und nicht zuletzt die Herzen aller, die die Schönheit des Fußballs lieben."

Rafael Nadal (spanischer Tennis-Star): "Heute ist die Welt des Sports im Allgemeinen und des Fußballs im Besonderen leer. Maradona war einer der größten Sportler der Geschichte. Was er im Fußball getan hat, bleibt. Mein aufrichtiges Beileid an seine Familie, die Welt des Fußballs und ganz Argentinien."

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