5G, Bill Gates und Corona: Wie wir mit Verschwörungstheoretikern umgehen sollten
In Zeiten der Corona-Pandemie erleben Verschwörungstheorien eine neue Hochphase. Soziale Netzwerke tragen dazu bei, sie schneller zu verbreiten. Historiker Claus Oberhauser im Interview dazu, woher solche Theorien kommen und was wir tun sollten, wenn wir auf Verschwörungstheoretiker treffen.
Innsbruck – Der Staat führt uns in der Corona-Pandemie bewusst hinters Licht, alles ist ein abgekartetes Spiel, wahlweise mit den Schuldigen Bill Gates, der Pharmaindustrie oder internationalen Organisationen: Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 hat Verschwörungstheorien neuen Aufschwung verliehen. Hitzige Diskussionen im Familien- und Freundeskreis über das Virus, die Maßnahmen und die Zukunftsaussichten sind an der Tagesordnung. Ob persönlich oder virtuell.
Geht die Diskussion über Skepsis gegenüber Maßnahmen hinaus und wird ein Plan unterstellt, kann es gefährlich werden. Claus Oberhauser, Lehrbeauftragter an der PH Tirol und der Universität Innsbruck mit Schwerpunkt Verschwörungstheorien, erklärt im TT-Interview, wie man reagiert, wenn man auf einen Verschwörungstheoretiker trifft.
Verschwörungstheorien, „Fake News“ und „alternative Fakten“ sind seit Jahren verstärkt in aller Munde. Handelt es sich um ein neues Phänomen – und falls nicht, was hat sich verändert?
Claus Oberhauser: Das Phänomen ist alles, aber nicht neu. Wir wissen aus historischer Sicht, dass das ein normaler Prozess ist, um mit einer Krise fertig zu werden. Ob das im Mittelalter der Fall war oder im 18. Jahrhundert oder im Rahmen anderer Pandemien. Was sich verändert hat ist die Rolle der sozialen Medien heute. Alles beschleunigt sich, Netzwerke bilden sich schneller. Die Verschwörungstheorien als Elitenphänomen, wie es früher war, drängen so immer mehr in andere Schichten.
Wir sind heute am Höhepunkt einer Entwicklung, die schon länger andauert. Die geprägt ist von extremem Misstrauen gegenüber international ausgerichteten Regierungen und Staaten oder der EU. Extremem Misstrauen gegenüber dem Staat. Das ist besorgniserregend vor dem Hintergrund des Aufkommens von populistischen Bewegungen. Populismen und Verschwörungstheorien sind wesensähnlich, deshalb passt das auch so gut zusammen. Das Trump-Phänomen lässt sich so viel besser erklären als einfach alle als wahnsinnig abzutun.
Viele Menschen stören sich daran, Verschwörungstheoretiker genannt oder mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Nur wenn man die Wirksamkeit von Maßnahmen bezweifle etwa, sei man noch kein Verschwörungstheoretiker. Nur wenn man den Mund-Nasen-Schutz in Frage stelle, glaube man nicht gleich an Verschwörungstheorien. Wo endet – vielleicht auch berechtigte – Skepsis und wo beginnen Verschwörungstheorien?
Oberhauser: Das ist eine schwierige Frage. Richtig ist: Nur wenn man etwas kritisiert, ist man noch kein Verschwörungstheoretiker. Sobald wir unterstellen, dass es einen bewussten Plan gibt, sobald wir von vorneherein unterstellen, dass es eine offizielle Erzählung gibt, die falsch ist, beginnen Verschwörungstheorien. „Nichts ist, wie es scheint“ ist ein Startpunkt für Verschwörungstheorien. Zweitens werden Dinge miteinander verbunden, die keinen Zusammenhang haben. Drittens wird die Frage gestellt, wer davon profitiert.
Wenn man beispielsweise Maßnahmen wegen der Überwachung kritisiert, stellt man nicht die Frage nach dem „Cui bono?“. Auch unterstellt man nicht gleich jemandem ein planmäßiges Handeln, um uns zu unterdrücken.
Was ist das Gefährliche an Verschwörungstheorien?
Oberhauser: Erst einmal sind Verschwörungstheorien an sich nicht gefährlich. Sie sind ein Versuch, die Welt zu deuten und auf eine bestimmte Gruppe zu reduzieren und zu sagen: "Die sind schuld". Die Gefahr beginnt dann, wenn man an eine Verschwörungstheorie glaubt und dadurch andere gefährdet. Entweder indirekt oder es sogar direkt zu Gewalt kommt. Gefährdet man etwa Menschen, wenn man keinen Mund-Nasen-Schutz trägt? Glaubt man dem Forschungskonsens: Ja. Dann kann es gefährlich sein, wenn man in Kauf nimmt, andere anzustecken.
Sollte man Verschwörungstheorien eher keinen Raum geben oder ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen?
Oberhauser: Das ist mit die entscheidende Frage überhaupt. Man hat oft das Gefühl, das wird größer gemacht als es ist. Verschwörungstheoretiker nähren sich auch daran, Thema zu sein. Umso mehr sie zum Thema gemacht werden, umso größer kann auch die Anhängerschaft werden. Das wird auch bewusst so verwendet. Man sagt bewusst etwas Provokantes, kommt in die Medien und hat Aufmerksamkeit. Dadurch wird die Spirale in Gang gesetzt.
Was auffällt ist, dass oft wissenschaftlich belegte Erkenntnisse in Frage gestellt werden und gleichzeitig Theorien ohne jegliche Belege als wahr betrachtet werden. Wie passt das zusammen?
Oberhauser: Wenn man der Wissenschaft unterstellt, Teil der Verschwörung zu sein, dann passt das zusammen. Dann sucht man sich eine andere Datenquelle. Mich fasziniert das auch immer wieder, wie man Wissenschaft korrupt nennt und in ein Eck stellt, in das sie nicht gehört, und dann dem YouTube-Video glaubt. Das ist ein himmelschreiender Widerspruch, der nur schwer aufzulösen ist. Das ist auch ein Eindruck des post-faktischen Zeitalters. In dem es mehr darum geht, wer schöner und besser lügt. Trump etwa lügt andauernd und verstrickt sich in Widersprüche. Das ist eine bewusste Rhetorik, Stichwort „bullshit politics“. Und das kommt offenbar so gut an, dass mehr als 70 Millionen Amerikaner für ihn gestimmt haben.
In der aktuellen Pandemie ist das eine wichtige Frage: Wie schafft man es, Wissenschaft so zu kommunizieren, dass wieder mehr Menschen vertrauen darin haben und dem mehr glauben als irgendwelchen YouTube-Videos. Bei dieser Debatte stehen wir noch ganz am Anfang.
Der Sozialpsychologe Roland Imhoff hat in einem Interview gesagt: "Verschwörungstheoretiker haben entweder ein verstärktes Bedürfnis danach, Kontrolle über ihr Leben zu erlangen oder ein besonders hohes Bedürfnis, einzigartig zu sein". Stimmen Sie dem zu und ist das auf die Corona-Situation übertragbar?
Oberhauser: Dem stimme ich vollkommen zu. Wir wissen auch, dass Verschwörungstheoretiker dazu tendieren, dass sie selbst gerne einmal Teil einer Verschwörung, Teil der Elite sein würden. Das ist ein Komplex, der sich bei Menschen aufgebaut hat, die machtlos sind. Man will nicht untergehen im grauen Mainstream. Das ist ein klarer psychologischer Effekt.
Ein anderes Argument von Verschwörungstheoretikern ist, dass es das früher bereits gegeben habe, dass Menschen für ihre Meinung an den Rand gestellt wurden. Heute gelte die Meinung dieser Menschen aber als wissenschaftlicher Konsens. Das gleiche würde heute wieder passieren. Was kann man dem entgegnen?
Oberhauser: Erst einmal gar nichts. Manches kann ja auch stimmen. Jetzt sind wir gerade mitten in einer wissenschaftlichen Debatte. Beispielsweise bei den Masken. Es gibt eine Flut von Dingen, es gibt noch keinen wissenschaftlichen Konsens. Außer dass die FFP2-Masken helfen können. Dass manches stimmen kann gilt aber nicht für alle Verschwörungstheorien à la „5G ist schuld“.
Mit der Zeit werden wir mehr Antworten bekommen und dadurch werden Verschwörungstheorien weniger werden, aber nicht verschwinden. Ob überhaupt irgendwelche Verschwörungstheorien dann am Ende gestimmt haben? Eher nicht, weil sie eine ganz andere Plausibilität haben. Aber es gibt Gegenbeispiele, siehe Irak-Krieg.
Immer wieder wird in Kreisen von Verschwörungstheoretikern behauptet, wir befänden uns in einer Diktatur, dagegen müsse man sich wehren. Bei Demonstrationen in Deutschland ist es vorgekommen, dass sich Corona-Kritiker mit Sophie Scholl verglichen haben, einer Widerstandskämpferin, die im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten für die Verbreitung von Flugblättern hingerichtet wurde. Wie ordnen Sie diesen Vergleich ein?
Oberhauser: Das ist entschieden abzulehnen. Das ist eine Opfer-Täter-Umkehr. Hier müsste eine Gesellschaft viel stärker dagegen arbeiten. Heute sind ganz andere Bedingungen. Wir leben nicht in einer Diktatur, trotz Ausnahmezustand. Es ist einfach dumm, so etwas zu tun.
Wenn man nun auf jemanden trifft, bei dem man das Gefühl hat, derjenige hänge Verschwörungstheorien an. Etwa im Familien- oder Bekanntenkreis. Der sagt: „Die Grippe hat es immer schon gegeben, die Gefahr durch das Coronavirus wird überschätzt, lasst euch nicht für dumm verkaufen, das ist von oben geplant“. Wie reagiert man dann?
Oberhauser: Erst einmal muss man die Leute reden lassen und das nicht von vorneherein ablehnen, das ist wichtig. Was helfen kann, sofern wir aus der psychologischen Forschung wissen, ist dann Quellenkritik. Woher kommen die Infos? Und das dann kritisch zu hinterfragen. Hier geht es darum, wieder die Balance herzustellen: Was ist eine wissenschaftliche, akademische Autorität und was ist es nicht. Es gibt aber keine Garantie, dass das funktioniert.
Was auch helfen kann sind Faktenchecks. Wenn jemand aber schon sehr stark verschwörungstheoretisch denkt hat auch das keinen Einfluss mehr, weil dann Fakten nicht mehr angenommen werden. Sondern als Teil der Verschwörung gesehen werden.
Ein Beispiel für eine solche Diskussion wäre die Übersterblichkeit. Gibt es eine oder gibt es keine? Im November/Dezember wissen wir jetzt, dass wir eine haben werden. Im Frühjahr gab es keine. Aber auch deshalb, weil die Leute eben daheim waren. Zum Beispiel hat es dadurch auch zusätzlich viel weniger Verkehrstote gegeben.
Statistiken, Zahlen sind jedenfalls sehr komplex und für viele nicht mehr zu überschauen. Wichtig ist jedenfalls die Quellenkritik und die Leute auf Seiten zu verweisen, die sich mit solchen Faktenchecks beschäftigen. Mimikama zum Beispiel. Und man sollte selbst auf faktisch sicherem Boden stehen. Verschwörungstheoretiker verlieren sich oft in Widersprüchen und Details. Und es ist wichtig, die Menschen daran zu erinnern, dass vieles im Leben einfach auf Zufälle zurückzuführen ist.
Auch wichtig ist, bei der Wahrheit zu bleiben. Haben Staaten die Möglichkeit, uns zu überwachen? Ja, haben sie. Aber schon lange. Eigentlich müssten wir dann alle unsere Handys abschalten, natürlich könnten wir abgehört werden. Das ist aber nichts neues. Sich ins Private zurückzuziehen wird nicht möglich sein.
Was auf jeden Fall nicht hilft ist, die Leute lächerlich zu machen.
Manche sagen, man sollte Verschwörungstheoretikern gegenüber Verständnis zeigen und aus dieser Position argumentieren. Andere meinen, das würde nur abstrusen und gefährlichen Haltungen Legitimität verschaffen. Wie schätzen Sie das ein?
Oberhauser: Das hat beides seine Berechtigung. Wenn man aber will, dass diese Menschen halbwegs in die Gesellschaft zurückkommen, dann muss man das ernst nehmen. Ansonsten kann man das gleich aufgeben, hat aber dann das Problem einer massiven Spaltung. In den USA ist das mittlerweile so weit, dass Republikaner und Demokraten nicht mehr miteinander reden können. Das hilft niemandem weiter.
Dass man damit aber gefährlichen Positionen Raum gibt, stimmt auch. Ein krasses Beispiel dafür wären Holocaust-Leugner. Ich müsste mich ja dann auch auf diesen einlassen und dessen Argumente ernst nehmen. Dadurch wird dann eine Diskussion über Dinge geführt, über die wir keine Diskussion zu führen haben.
Es gilt also: Ernst nehmen, aber gleichzeitig klar zurückweisen. Anders wird es nicht gehen.
Wir gehen auf die Feiertage zu und wir können wohl zumindest im kleinen Kreis Weihnachten feiern. Diskussionen rund um Corona und die Maßnahmen sind auch im Familienumfeld vorprogrammiert. Wie geht man damit um, wenn man einerseits vermeiden will, die Situation eskalieren zu lassen und sich andererseits aber auch nicht gut fühlt, Themen oder Aussagen zu ignorieren oder unwidersprochen stehen zu lassen?
Oberhauser: Die Diskussionen werden geführt werden, dem entkommt man kaum. Wahrscheinlich wäre es besser, nicht darüber zu diskutieren, wenn es stark ausgeprägt ist. Sonst hat man keinen Weihnachtsfrieden mehr. Aber man wird nicht darum herumkommen. Solange es nicht ins Gefährliche kippt, wird daraus dann vielleicht ein Streit, aber das ist ja auch nicht schlimm. Sonst dürfte man generell nicht mehr über Politik diskutieren.
Manche Debatten werden einfach keinen Sieger haben. Verschwörungstheorien operieren immer im Modus der moralischen Empörung. Deshalb sind das auch so heiße Debatten. Auch die andere Seite ist empört. Bei der Wirtschaft etwa sagen die einen, die Maßnahmen machen die Wirtschaft hin und die anderen sagen, ihr macht die Wirtschaft hin weil ihr euch nicht daran haltet und deshalb gibt es wieder einen Lockdown. Diese Debatte wird man nicht zu Ende führen können. Vielleicht ist es deshalb manchmal doch besser, sie gleich zu vermeiden.
Das Gespräch führte Matthias Sauermann
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Die Faktencheck-Website der Nachrichtenagentur AFP überprüft immer wieder Behauptungen, die im Internet aufgestellt werden.
Auch Mimikama hat es sich zur Aufgabe gemacht, Falschnachrichten aufzudecken.