Julia Nawalnaja: Mehr als nur die Frau des Kremlkritikers
Seit des Giftanschlags auf ihren Ehemann steht auch die 44-jährige Julia Nawalnaja verstärkt in der Öffentlichkeit. Sie war es, die vergangenes Wochenende zu den Massenprotesten in Russland aufrief.
Moskau – Der Tag, an dem Julia Nawalnaja international bekannt wird, ist der 21. August 2020. Einen Tag zuvor ist ihr Mann Alexej Nawalny, Russlands bekanntester Oppositionspolitiker, Opfer eines Giftanschlags geworden.
Die 44-Jährige steht mit Sonnenbrille vor dem Krankenhaus der sibirischen Stadt Omsk und fordert, dass ihr Mann, der um sein Leben ringt, zur Behandlung ins Ausland darf. Der souveräne Auftritt beeindruckt viele – und es sollte nicht der einzige bleiben.
An diesem Wochenende, wenn wahrscheinlich wieder viele Russen zu Protesten gegen Kremlchef Wladimir Putin auf die Straße gehen, könnte Julia Nawalnaja abermals im Blickpunkt stehen – wieder allein. Ihr Mann hat die Krankenhäuser zwar längst verlassen. Seit der Rückkehr nach Russland sitzt Alexej Nawalny nun aber wieder im Gefängnis.
Von manchen „First Lady Russlands" genannt
Das Paar lernte sich vor 22 Jahren bei einem Urlaub in der Türkei kennen. Julia Nawalnaja, die Ökonomie studiert hat, bezeichnet Alexej als „echte große Liebe“ und „besten Freund“ zugleich. Über den Moment, in dem sie ihren Mann zum ersten Mal im Koma sah, sagt die gebürtige Moskauerin einige Zeit später: „Ich wusste, dass ich nicht schwach werden darf. Ich bin seine Frau. Wenn ich umfalle, fallen die anderen alle nacheinander auch um.“
Schon früher traten die Nawalnys auch öffentlich als Team auf – seit Alexejs Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok tun sie das noch mehr. Ein Gegensatz auch zu Nawalnys größtem Feind, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der – geschieden und offiziell alleinstehend – sein Privatleben so gut es geht geheim hält.
Während seiner Reha in Deutschland postete Nawalny auf Instagram immer wieder Fotos von Julia und sich. „Julia hat mein Leben gerettet“, schrieb er über die Mutter der beiden gemeinsamen Kinder, die sich so fürsorglich um ihn gekümmert habe. Vielfach ist seitdem Julia Nawalnajas psychische Stärke bewundert worden. Manche sprechen gar von der „zukünftigen First Lady Russlands“.
Als Aktivistin verstärkt im Visier russischer Ermittler
Doch Nawalnaja ist mehr als nur emotionale Stütze. Sie ist auch Aktivistin – besonders, seit Alexej Mitte Januar direkt nach seiner Rückkehr nach Russland inhaftiert wurde. Sie rief zu den Massenprotesten am vergangenen Wochenende auf und stand dann auch selbst in Moskau auf der Straße. Erstmals wurde sie dabei vorübergehend festgenommen.
Auch scheint sie verstärkt ins Visier der russischen Ermittler gerückt zu sein: Auf Instagram postete sie das Foto eines Autos vor ihrem Haus, aus dem sie angeblich beschattet wurde. Bei jüngsten Razzien gegen das Umfeld ihres Mannes wurde auch ihre Privatwohnung durchsucht.
Manche nennen Julia Nawalnaja schon eine zweite Swetlana Tichanowskaja: Die Frau aus Belarus (Weißrussland) trat im August bei der Präsidentenwahl in ihrem Land gegen Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko anstelle ihres inhaftierten Mannes Sergej an und gilt nun als wichtigste Führerin der Opposition.
Der Vergleich mag an mancher Stelle hinken. Dennoch ist auch Nawalnaja längst in der öffentlichen Wahrnehmung mehr als „die Frau von ...“. Alexej Nawalny ist zunächst für 30 Tage festgesetzt worden. Falls er zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wird, könnte Julia Nawalnaja eine neue Rolle einnehmen. (dpa)