Kaum im Amt schon Misstöne in neuer italienischer Regierung
Die Attacken gegen den Gesundheitsminister, den Premier Draghi von der zerfallenen Vorgängerregierung übernahm und im Amt beließ, werfen einen Schatten auf die neue Regierung, die sich am Mittwoch im Senat der üblichen Vertrauensabstimmung stellt.
Rom – Kaum im Amt und schon hängt der Haussegen in der Koalition unter dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi schief. Unter seinen neu ernannten Ministern ist wegen der Maßnahmen zur Eindämmung ansteckender Varianten des Coronavirus ein Streit ausgebrochen. Mit seinem Beschluss, die für Montag geplante Wiedereröffnung der Ski-Freizeitanlagen zu stoppen, zog Gesundheitsminister Roberto Speranza herbe Kritik auf sich – auch seitens seiner Regierungskollegen.
Der neue Tourismusminister Massimo Garavaglia, Spitzenpolitiker der rechten Lega, sparte nicht mit Angriffen gegen den linken Gesundheitsminister. Der kurzfristig angekündigte verzögerte Start der Skisaison auf den 5. März habe massive finanzielle Schäden verursacht. Diese müssten jetzt kompensiert werden, forderte Garavaglia. Er beklagte "fehlenden Respekt" gegenüber den Wintertourismusregionen. Garavaglia kritisierte außerdem, dass der Gesundheitsminister in Alleinregie Verordnungen mit gravierenden Folgen erlasse, ohne sich mit dem Rest der Regierung abzusprechen.
Kritik musste der Gesundheitsminister auch aus den Reihen der einzig verbliebenen Oppositionspartei, der Fratelli d'Italia (Brüder Italiens/FdI), einstecken. "Wenn wir ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie noch immer von Lockdowns sprechen müssen, bedeutet dies, dass die bisherige Strategie im Kampf gegen das Coronavirus vollkommen gescheitert ist. Wie kann man in dieser Situation Gesundheitsminister Speranza im Amt bestätigen?", meinte Giorgia Meloni von der Rechtsaußen-Partei.
Attacken werfen Schatten auf neue Regierung
Die Attacken gegen den Gesundheitsminister, den Premier Draghi von der zerfallenen Vorgängerregierung übernahm und im Amt beließ, werfen einen Schatten auf die neue Regierung, die sich am Mittwoch im Senat der üblichen Vertrauensabstimmung stellt. Mit Spannung wird in Rom die Ansprache Draghis zur Vorstellung des Regierungsprogramms erwartet. Dabei soll der neue Ministerpräsident auch seine Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie darlegen. Walter Ricciardi, ein Berater des Gesundheitsministeriums, forderte am Montag erneut einen "kurzen und gezielten Lockdown" für das ganze Land. Dieser müsse bis zu vier Wochen dauern, sagte Ricciardi, der sich damit empörte Kritik aus Politik und Wirtschaft zuzog. In Italien gilt seit Oktober das sogenannte "Ampelsystem" mit auf regionaler Basis beschlossenen Corona-Beschränkungen.
Neben der Impfkampagne, die zur Immunisierung von bis zu 300.000 Menschen pro Tag führen soll, liegt der Schwerpunkt der neuen Regierung auf der Koordination und der Verteilung der EU-Hilfsgelder. Bis Ende April erwartet Brüssel einen schlüssigen Ausgabenplan. Der digitale Wandel ist ein weiterer Eckpfeiler im Programm Draghis, der unter anderem die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und den Aufbau des mobilen Infrastrukturnetzes 5G beschleunigen will. Draghi will auch die Schulen und Universitäten enger vernetzen. Die Stärkung der Infrastruktur – vom Glasfasernetz über die Eisen- und Autobahnen bis hin zu den Wasserleitungen und Häfen – ist ein Hauptanliegen Draghis. (APA)
Ex-Premier Conte kehrt als Jus-Professor an Uni zurück
Der aus dem Amt geschiedene italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte kehrt an die Universität zurück. Der 56-jährige Jurist übernimmt wieder seinen Posten als Professor für Privatrecht an der Universität Florenz, den er vor seiner Zeit als Regierungschef ab Juni 2018 innehatte, wie die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera (Dienstagsausgabe) berichtete.
Gerätselt wird in Italien darüber, ob der parteilose Conte der Politik künftig in irgendeiner Form erhalten bleibt. Demnach könnte er in die populistische Fünf-Sterne-Bewegung einsteigen, die ihn 2018 als Premier für ihre Regierung mit der rechten Lega vorgeschlagen hatte. Die Fünf Sterne suchen derzeit einen neuen Chef; interimistisch ist Senator Vito Crimi im Einsatz.
Gerüchte, wonach Conte im Frühjahr an Nachwahlen zur Besetzung eines freien Sitzes in der Abgeordnetenkammer im Wahlkreis Siena teilnehmen wird, wurden bisher nicht bestätigt. Contes Fans wünschen sich, dass er der Allianz aus Fünf Sternen und Sozialdemokraten (PD), die er als Premier vertrat, auch im Rahmen des neuen Kabinetts unter Mario Draghi den Rücken stärkt. Beide Parteien hatten Contes zweite Regierung von September 2019 bis zum vergangenen Jänner unterstützt. Nun sind zusätzliche Parteien sowie als Minister auch Experten in der Regierung.
Nicht ausgeschlossen wird in Rom freilich, dass Conte seine Popularität nützen könnte, um eine eigene Partei zu gründen. Trotz des Sturzes seiner Regierung vor drei Wochen zählt der Süditaliener laut Umfragen immer noch zu den populärsten Politikern Italiens. Conte musste zurücktreten, nachdem sich der Juniorpartner Italia Viva aus der Regierungskoalition zurückgezogen hatte.