Parlamentswahl in Israel – das Ende eines Marathons?
Vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren – Israels Bürger sind zuletzt häufig zur Urne gebeten worden. Grund dafür sind instabile politische Verhältnisse, an denen sich Umfragen zufolge auch nach der Wahl am Dienstag nichts ändern dürfte.
Jerusalem – Israel wählt zum vierten Mal in zwei Jahren. Vor dem Urnengang am Dienstag lag die Partei von Premierminister Benjamin Netanyahu in Umfragen vorn und legte zuletzt auch etwas zu. Der Likud kommt demnach auf 29 bis 32 Sitze im Parlament, wird aber dennoch Verluste erleiden. In der aktuellen Knesset besetzt Netanyahus national-konservative Partei noch 36 Sitze. Für eine Mehrheit sind 61 Mandate notwendig. Im Wahlkampf dominiert das Thema Corona.
Netanyahu selbst spricht von seinem Land als „Impfweltmeister“. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind bereits gegen Covid geimpft. Das macht sich mittlerweile auch in den Infektionszahlen bemerkbar. Kurz vor der Wahl wurde das Land trotz damals noch hoher täglicher Neuinfektionszahlen geöffnet. Mit einem „Grünen Pass“ dürfen geimpfte und genesene Israelis wieder in Fitnesscenter, Theater, Stadien oder Lokale. Gleichzeitig gibt es aber Unzufriedenheit wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise. Die Arbeitslosigkeit sei von drei auf 17 Prozent geklettert, erklärt der Chef des Demokratie Instituts, Yohanan Plesner.
Israel sei „fast völlig offen. Die meisten Erwachsenen sind geimpft und die Menschen sind begeistert von der Rückkehr fast zur Normalität“, berichtet die Jerusalem Post-Journalistin Lahav Harkov der APA. „Ich denke, dass Netanyahus einzigartige Rolle und sein Erfolg bei der Einführung von Covid-19-Impfstoffen bei dieser Wahl sehr wichtig sind.“ Ohne sie würde Netanyahu in den Umfragen wahrscheinlich viel schlechter abschneiden. Außenpolitische Erfolge wie die Abraham-Abkommen zwischen Israel und bisherigen Feinden wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko sowie dem Sudan spielen dagegen im Wahlkampf keine so große Rolle. Die Wahl sei, wie eigentlich jeder Urnengang seit 2015 „mehr oder weniger ein Referendum über Ja zu Bibi oder Nein zu Bibi“, wie Netanyahu genannt wird.
Konkurrenz von rechts
Mehr als bei früheren Wahlen bekommt „Bibi“ Netanyahu diesmal allerdings „Konkurrenz von rechts“, so Harkov. Die Umfragewerte der konservativen Partei Neue Hoffnung von Netanyahus früherem parteiinternen Rivalen Gideon Saar, der ultrarechten Yamina von Ex-Verteidigungsminister Naftali Bennett sowie der nationalistischen Israel Beiteinu von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman zusammengerechnet, ergeben mehr als jene für Netanyahus Likud. Während Gideon Saar und Avigdor Lieberman eine Koalition mit Netanyahu ausschlossen, scheint Naftali Bennett einer Zusammenarbeit nicht abgeneigt. Als mögliche Partner für den Likud gelten zudem religiöse Parteien und die islamistische Raam (UAL).
Dass Raam, die sich aus der Vereinigten Liste der arabischen Parteien herausgelöst hat, überhaupt als Partner infrage kommt, sah Plesner vom Demokratie Institut positiv. Wenn eine arabische Partei eine zionistische Regierung unterstützen würde, wäre das eine dramatische Wende in der Geschichte und ginge in Richtung Integration arabischer Israelis in die Gesellschaft. Netanyahu-Biograf Anshel Pfeffer erklärte es gegenüber der Jüdischen Allgemeinen Zeitung eher pragmatisch: „Netanyahu ist einfach jemand, der keine Stimmen auf dem Tisch liegen lassen will. Wäre er Pokerspieler, dann würde er in jeder Runde alle Chips benutzen, die er spielen kann.“
In den Umfragen hinter Likud kommt aktuell die liberale Zentrumspartei Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft) mit rund 18 bis 20 Sitzen auf Platz zwei. Die Partei des früheren TV-Journalisten Jair Lapid hatte sich aus der Wahlkoalition Blau-Weiß verabschiedet, nachdem Spitzenkandidat Benny Gantz entgegen früherer Ankündigungen nach der Wahl vom März 2020 doch mit Netanyahu kooperierte. Die Regierungsbildung zwischen dem Likud und Blau-Weiß hatte Lapid als „schlimmsten Betrug in der Geschichte dieses Landes“ bezeichnet.
Mehrere Parteien müssen um Einzug bangen
Ob das „Nein-Bibi“-Lager genügend Stimmen bekommt, um Netanyahu zu verhindern, hängt davon ab, wie viele Parteien die Wahlhürde von 3,25 Prozent überspringen. Bangen um den Einzug ins Parlament müssen Blau-Weiß, die linksliberale Meretz-Partei sowie die sozialdemokratische Arbeiterpartei, die seit Ende Jänner mit Merav Michaeli eine neue Vorsitzende hat. Die frühere Journalistin, die dem linken Flügel der traditionsreichen Partei von Itzhak Rabin und Shimon Peres angehört, ist die einzige weibliche Spitzenkandidatin bei dieser Wahl. Als die Arbeiterpartei nach der Wahl 2020 dem Beitritt zu einer Regierung von Netanyahu und Gantz zugestimmt hatte, weigerte sich Michaeli, Teil der umstrittenen Koalition zu werden.
Das Bündnis war schlussendlich auch gescheitert. Auslöser für die nun fällige Neuwahl ist, dass keine Einigung auf ein Budget erzielt werden konnte. Im Koalitionsvertrag war festgelegt worden, dass die Regierung einen Etat für 2020 und 2021 verabschiedet. Netanyahu wollte wegen der Coronakrise aber nur einen Haushalt für 2020. Kritiker gehen davon aus, dass er damit unter anderem verhindern wollte, dass Gantz im Herbst 2021 vereinbarungsgemäß das Amt des Regierungschefs von ihm übernimmt. Weitere Streitpunkte waren die Ernennung von Richtern und die Befugnisse des Justizministers von Blau-Weiß. Gantz warf Netanyahu vor, alles zu unternehmen, um einer Verurteilung zu entgehen.
Netanyahu steht nämlich wegen drei verschiedener Korruptionsfälle vor Gericht. Viele Israelis seien der Ansicht, dass die Vorwürfe so schwerwiegend seien, dass es für den Premier angemessener wäre, zurückzutreten, sagt die Journalistin Harkov. Diese Leute würden auch meinen, dass Netanyahu das politische System manipuliere, um all diese Wahlen abzuhalten und seine Amtszeit zu verlängern. „Obwohl diese Argumente insgesamt ein Fünkchen Wahrheit beinhalten, denke ich, dass das politische Chaos in Israel die wahre Spaltung in unserer Gesellschaft widerspiegelt.“
Von Wahl zu Wahl ist auch die Parteienlandschaft zersplitterter. Sollte der Pro-Netanyahu-Block oder das Nein-Bibi-Lager keine Mehrheit bekommen, droht ein fünfte Parlamentswahl im September, so Plesner. Dies sei aber weder im Interesse der Parteien noch der Wähler. (APA)
Chronologie der Urnengänge
9. April 2019
Obwohl Korruptionsvorwürfe gegen ihn erhoben wurden, hofft Regierungschef Benjamin Netanyahu bei der Parlamentswahl auf einen Sieg. Seine rechtsgerichtete Likud-Partei und das Mitte-Links-Bündnis Blau-Weiß seines Herausforderers Benny Gantz landen letztlich jeweils bei 35 Sitzen und damit gleichauf. Das Parlament beauftragt Netanyahu, der von mehreren kleinen rechten Parteien unterstützt wird, eine Mehrheitsregierung zu bilden. Trotz wochenlangen Verhandelns gelingt ihm dies nicht und es werden Neuwahlen notwendig.
17. September 2019
Die erneute Wahl führt zu einer erneuten Patt-Situation: Gantz‘ Partei erlangt 33 Sitze, die rechtsgerichtete Likud-Partei sichert sich 32. Netanyahu, der mit der Regierungsbildung beauftragt wird, schlägt eine Einheitsregierung vor. Gantz weigert sich jedoch, einer solchen Regierung beizutreten und verweist auf eine mögliche Anklage gegen seinen Rivalen wegen des Vorwurfs der Korruption. Israels Präsident Reuven Rivlin beauftragt Netanyahu daraufhin mit der Bildung einer Regierung. Ende Oktober gibt Netanyahu bekannt, dass er gescheitert ist. Rivlin überträgt den Auftrag an Gantz, der ebenfalls scheitert. Erneut muss neu gewählt werden.
16. März 2020
Diesmal hat Netanyahus Likud-Partei die Nase vorn: Sie gewinnt mit 36 zu 33 Sitzen gegen das Mitte-Links-Bündnis von Gantz. Gantz, der mit anderen Parteien insgesamt die Unterstützung von 61 Abgeordneten hat, wird mit der Regierungsbildung beauftragt – und scheitert erneut. Am 20. April, als die Corona-Pandemie das Land fest im Griff hat, einigen sich Netanyahu und Gantz auf eine Einheitsregierung. Netanyahu soll für weitere 18 Monate im Amt bleiben, danach soll Gantz das Amt des Ministerpräsidenten für dieselbe Zeitspanne übernehmen. Die neue Regierung wird im Mai vom Parlament bestätigt und vereidigt. Doch bereits im Dezember zerbricht das fragile Bündnis an der Weigerung Netanyahus, einem Haushalt für 2021 zuzustimmen. Neuwahlen werden angesetzt.
23. März 2021
Am Dienstag steht die nächste Parlamentswahl an. Diesmal gilt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Netanyahu und Gantz jedoch als unwahrscheinlich. Blau-Weiß könnte gar den Einzug ins Parlament verpassen, weil Gantz in der Gunst seiner Wähler gesunken ist. Viele verziehen ihm den Eintritt in eine Regierung mit Netanyahu nicht – schließlich hatten sie auch deshalb für Gantz gestimmt, um Netanyahu abzuwählen. Netanyahus wichtigster Herausforderer dürfte diesmal Yair Lapid von der Partei Es gibt eine Zukunft sein. Auch Netanyahus ehemaliger Parteikollege Gideon Saar, der jetzt mit der Partei Neue Hoffnung antritt, könnte dem Ministerpräsidenten wichtige Stimmen am rechten Rand abnehmen.