EU-Impfstoffstreit

„Nicht nur ausgerutscht, sondern schwer gestürzt“: Scharfe Kritik an Kurz

Der Umfaller von Sebastian Kurz in Sachen Impfstoff-Solidarität wird ihm von zahlreichen Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten übel genommen.
© AFP

Weil Österreich die EU-Impfstoffverteilung zugunsten der Nachzügler nun nicht mitträgt, schlägt Kanzler Kurz (ÖVP) scharfe Kritik im In- und Ausland entgegen.

Brüssel, Wien – Österreich, Tschechien und Slowenien haben eine EU-Impfstoffumverteilung zugunsten der Nachzügler Bulgarien, Kroatien, Lettland, Estland und Slowakei nicht mitgetragen. Nach dem Beschluss erhalten die drei Länder ihre vollen Anteile nach Bevölkerung – für Österreich sind das 198.815 Dosen. Die Opposition übte am Freitag scharfe Kritik am Kurs von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser führe Österreich „ins internationale Abseits“, so SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried.

📽 Video | Österreich beteiligt sich nicht an EU-Solidaritätsausgleich:

Scharfe Kritik äußerten auch die NEOS. „Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!“, schrieb die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon auf „Twitter“. Gamon kritisierte, dass Österreich die bedürftigen Länder nicht mit eigenen Impfdosen unterstützt habe: „Österreich nimmt an dieser solidarischen Verteilung gar nicht Teil. Das offizielle Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich.“

Rund 2,85 Millionen der zehn Millionen vorgezogenen Dosen von BioNtech/Pfizer werden für einen Solidaritätsausgleich genutzt. Bulgarien erhält nun 1,15 Millionen Dosen mehr als nach dem üblichen Verteilungsschlüssel. Bei Kroatien sind es 683.514 Dosen, bei der Slowakei 602.255, bei Lettland 376.456 und bei Estland 41.390. Damit die Unterstützungsaktion möglich wurde, mussten alle 19 Länder jeweils auf rund 30 Prozent ihrer Impfdosen verzichten: Deutschland gab dabei 558.000 Dosen ab, Frankreich 450.000 und Italien 404.000.

Kurz will Tschechien mit 30.000 Dosen bilateral unterstützen

Aus dem Bundeskanzleramt in Wien hieß es, die rund 199.000 Impfdosen für Österreich seien ein „solides Ergebnis“, die „mangelnde Solidarität gegenüber Tschechien“ sei aber „absolut nicht nachvollziehbar“. Österreich habe auf das Problem der ungleichen Verteilung von Impfstoff hingewiesen. „Es ist gut, dass dies in der EU anerkannt wurde und dass mit dem Solidaritätsmechanismus diese Ungleichheit bei der Verteilung von Impfstoff für einige stark betroffene Staaten, wie Kroatien oder Bulgarien, reduziert werden soll.“

Kanzler Kurz will Tschechien nun bilateral unterstützen. Österreich werde in Abstimmung mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) „Tschechien auf bilateralem Weg mit 30.000 Impfdosen unterstützen“, kündigte Kurz am Freitag an. Man sehe „es sehr positiv, dass wir auch aus anderen europäischen Ländern Bereitschaft dazu vernommen haben“.

Der tschechische Regierungschef Andrej Babis kritisierte den EU-Beschluss. Er verstehe nicht, wie der portugiesische EU-Vorsitz einen „Kompromiss“ ankündigen könne, wenn damit Tschechien, Österreich und Slowenien nicht einverstanden seien, sagte Babis gegenüber der Nachrichtenagentur CTK. „Für Österreich und Slowenien war die Lösung akzeptabel, nicht aber für Tschechien, das derzeit sehr betroffen ist. Dessentwegen haben wir insistiert“, schrieb Sloweniens Regierungschef Janez Jansa am Donnerstagabend auf Twitter.

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Schieder (SPÖ): „Es ging immer nur um den eigenen Vorteil“

Kurz sei „am EU-Parkett nicht nur ausgerutscht, er ist schwer gestürzt“, sagte Leichtfried laut Aussendung. Die Regierung Kurz habe zuerst auf 1,5 Mio. Dosen von Johnson & Johnson-Impfstoffe freiwillig verzichtet. Damit hätten, so Leichtfried, im Juni 1,5 Mio. Menschen in Österreich geimpft werden können. Dieser Verzicht sei grob fahrlässig gewesen. „Österreich hat es nicht verdient, einen Kanzler zu haben, der unser Land ins internationale Abseits stellt.“

SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder bemängelte: „Zuerst hat sich Bundeskanzler Kurz als Aufdecker und Sprecher gegen Ungerechtigkeit inszeniert, sobald es aber darum geht, diese vermeintlichen Ungerechtigkeiten abzustellen, will man nichts mehr davon wissen. Wie vorhergesagt ging es eben nie um gerechte Verteilung oder Solidarität mit bisher benachteiligten Mitgliedstaaten, sondern immer nur um den eigenen Vorteil.“

Politologe Filzmaier sieht Ablenkung von ursprünglicher Debatte

Der Politologe Peter Filzmaier sieht in dem EU-Impfstoffstreit eine gewisse Ablenkung von der Debatte, warum Österreich zu wenig Impfstoffe bestellt habe und wer davon wann gewusst habe. „Es überlagert die Ausgangsdebatte“, sagte Filzmaier am Freitag im Gespräch mit der APA. In der innerösterreichischen Öffentlichkeit mache der Streit mit der EU keinen zusätzlichen Unterschied. „Die Basisbotschaft von der Impfung als Game Changer funktioniert nicht mehr.“

Diplomat über Kurz: „Sheriff von Nottingham statt Robin Hood“

Ein EU-Diplomat machte sich laut dpa recht undiplomatisch Luft: „In dem Robin-Hood-Kostüm von Kurz und seinen beiden Freunden steckte dann doch nur wieder der finstere Sheriff von Nottingham. Sie nehmen Impfstoffe, teilen aber keine Impfstoffe.“ (TT.com, APA)

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