Rudolf Anschober zurückgetreten: Dem Corona-Minister ging die Kraft aus
In einer emotionalen Rede erklärte Gesundheitsminister Rudi Anschober am Dienstagvormittag seinen Rücktritt. Er habe sich gesundheitlich überlastet und wolle das Amt jemanden zur Verfügung stellen, der fitter sei als er gerade.
Wien – Es war ein tapferer Kampf gegen die Pandemie, jetzt muss ihn aber ein anderer zu Ende führen. Rudolf Anschober, der angesichts der Umstände trotzdem in Österreichs Regierungsgeschichte eingehen wird, legt sein Amt als Sozialminister gesundheitlich „überlastet" zurück. Ihm ist „die Kraft ausgegangen". Damit geht wohl auch die jahrzehntelange politische Karriere eines Grünen Urgesteins zu Ende.
Als Anschober im Vorjahr in die Regierung berufen wurde, hatte er wohl nicht einmal im Ansatz geahnt, was auf ihn zukommen wird. Eine Pflegereform schien das zentrale Projekt für die kommenden fünf Jahre zu sein, die Grüne Hauptrolle im Kabinett war eigentlich der für Umwelt zuständigen Infrastrukturministerin Leonore Gewessler zugedacht.
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Mit Sozialem hatte der gebürtigte Welser Anschober bis dahin auch gar nicht so viel zu tun gehabt. In der oberösterreichischen Landespolitik, in die er nach einer längeren Episode als Nationalratsabgeordneter 1997 zurückgehrt war, zählte vor allem die Umwelt- und Atompolitik zu seinen Themenfeldern. Später entwickelte er auch Expertise im Fremdenrecht, als die schwarz-blaue Landesregierung ihm in der Proporzregierung neue Aufgaben zuwies. Sein Einsatz für Lehrlinge, die von Abschiebung bedroht waren, wurde zum bundesweiten Thema.
Schon als künftiger Bundespräsident gefeiert
Davor war Anschober Vorreiter einer schwarz-grünen Zusammenarbeit gewesen, die gemeinsam mit Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) mit ihm als Landesrat über ein Jahrzehnt im Bundesland gut funktionierte. Folgerichtig war er für Grünen-Bundessprecher Werner Kogler dann auch ein wichtiger Pfeiler bei den Koalitionsverhandlungen im Bund. Sein Avancement zum Minister kam alles andere als überraschend. Das komplizierte Sozial- und Gesundheitsressort wurde es, weil dort die Grünen dringend einen Routinier mit Regierungserfahrung brauchten.
Dass es für den gelernten Volksschullehrer allerdings so schwierig werden sollte, war für niemanden absehbar. Anschober machte seine Sache vor allem in den Anfangstagen der Pandemie gut. Dass Österreich solide durch die erste Corona-Welle kam, wurde auch dem Gesundheitsminister persönlich zugeschrieben. Anschober, dessen bedächtige Art mit ausschweifenden Erläuterungen dem Volk gefiel, wurde schon als künftiger Bundespräsident gefeiert.
Doch die Zeiten änderten sich, Verordnungen missglückten, die Reibereien mit dem Kanzleramt nahmen zu, Anschobers Standard-Spruch „die nächsten Wochen sind entscheidend" verpuffte immer mehr. Auch der Kampf mit den Ländern um Lockdowns und Impfstrategie machte den arbeitswütigen Minister müde, Morddrohungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen taten das übrige. Dazu kamen gesundheitliche Probleme. Anschober hatte sich schon 2012 wegen eines Burnouts mehrere Wochen zurückziehen müssen.
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„Will mich nicht kaputt machen"
Nun folgten zwei Kreislauf-Kollapse, schlechte Blutdruck-Werte und Erschöpfung. Anschober geht, weil er sich „nicht kaputt machen will". Es wird auch eine Art Erleichterung sein. Anschober ging in den vergangenen 15 Monaten ein unglaublich hohes Tempo, machte sogar mehr, als es die Pandemie ohnehin erforderte. Kaum eine Medienanfrage wurde ausgelassen, praktisch täglich blickte er den Österreichern via Pressekonferenz aus dem Fernseher entgegen. Sein Vorhaben, sich einen Tag pro Woche frei zu halten, war kaum einmal einzuhalten. Was Anschober blieb, waren frühmorgendliche Spaziergänge mit seinem Hund, der auch treuer Begleiter im Büro war.
Für Anschober ging damit am Dienstag nach 15 Monaten die wohl kraftraubendste Phase seiner langen politischen Karriere zu Ende: „In der schwersten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten braucht die Republik einen Gesundheitsminister, der zu 100 Prozent fit ist", begründete er in seinem mit tränenerstickter Stimme vorgetragenen Statement den Abgang.
Zur Person
Rudolf Anschober, geboren am 21. November 1960 in Wels, gelernter Beruf Volksschullehrer, Sprecher der Oberösterreichischen Grünen ab 1986, Abgeordneter zum Nationalrat 1990-1997, danach Abgeordneter im oberösterreichischen Landtag, ab Oktober 2003 Landesrat, ab Jänner 2020 Sozialminister.
Man kann davon ausgehen, dass sich der Lebensmittelpunkt des 60-Jährigen wieder in seine Heimat Oberösterreich verlegt. Ein ruhiger Rentner wird Anschober, der seit vielen Jahren mit einer Journalistin liiert ist, allerdings kaum werden. Sobald er wieder fit ist, will er „sein Wissen auf die ein oder andere Art weiter geben". Sollte ihm beruflich fad werden, hat er als Hobby-Gärtner und Koch auch so einiges zu tun. Dazu plant Anschober einen politische Roman. Die Werbetrommel dafür rührte der Medienprofi schon am Dienstag.
Wie meist bei einem Rückzug, umso mehr wenn er aus gesundheitlichen Gründen erfolgt, waren die Reaktionen wohlmeinend. Bundespräsident Alexander Van der Bellen würdigte Anschober für seine „unermüdliche Arbeit", Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dankte dafür, dass sich der Gesundheitsminister "für unser Land aufgeopfert" habe. Respekt für die Entscheidung des Ministers zollten SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger. Einzig die FPÖ stellte Kritik in den Vordergrund. Parteiobmann Norbert Hofer meinte, Anschober sei „nicht die richtige Besetzung" für das Gesundheitsministerium gewesen und sein Rücktritt "die logische Konsequenz" aus „erheblichen Fehlentscheidungen". (APA, TT.com)