Aufarbeitung

Missbrauch in Tiroler Heimen: Zeitzeugen für Forschungsprojekt gesucht

Hinter diesen Mauern unterhalb der Martinswand wurden gesunde und behinderte Mädchen geschlagen, in Zwangsjacken ins Dunkle gesteckt und zu harter Arbeit gezwungen. Bekannt wurde dies bereits 2010, geschlossen wurde das Heim 2008, „mangels Nonnen“.
© Thomas Böhm

Ein Forschungsprojekt unter Beteiligung der Uni Innsbruck und des Wissenschaftsbüros soll die Strukturen und Bedingungen in den kirchlichen Heimen nach 1945 angesichts der zahlreichen Missbrauchsfälle genauer beleuchten. Dafür werden nun Zeitzeugen gesucht.

Innsbruck – Die bereits 2019 von der Tiroler Landesregierung und der Diözese Innsbruck eingesetzte Dreierkommission zur Aufarbeitung der Missbrauchs-Fälle im Mädchenheim Martinsbühel und in weiteren Heimen bekommt vertiefende wissenschaftliche Unterstützung. Das gab das Land am Mittwoch in einer Aussendung bekannt.

Konkret läuft nun ein Forschungsprojekt unter Beteiligung der Uni Innsbruck und des Wisssenschaftsbüros zu den kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945. Es wird von der Dreierkommission begleitet und erforscht die Heimstrukturen und Lebensbedingungen der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen. Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen des Personals, Einweisungswege und die beteiligten Zuständigen wie Fürsorge, Schulen, Ärzte und Familien einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen.

Untersucht werden die Heime Martinsbühel, Scharnitz, das Josefinum/Volders, die Bubenburg/Fügen, St. Josef/Mils, Thurnfeld/Hall und das Elisabethinum/Axams.

Kontakt

Forschungsprojekt konfessionelle Heime Tirol, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck, Innrain 52d, 6020 Innsbruck

Telefon: +43 512 507 44 016 – Montag bis Freitag von 9 bis 11 Uhr; Dienstag und Donnerstag auch von 15 bis 16 Uhr.

E-Mail: ina.friedmann@uibk.ac.at und friedrich.stepanek@uibk.ac.at

🔗 Weitere Infos zum Projekt

„Wir stellen in unserer Forschungsarbeit die Frage nach Aufsichtspflichten und von wem diese wahrgenommen wurden. Gleichzeitig versuchen wir zu rekonstruieren, wie der Alltag der Betroffenen unter kirchlicher Betreuung aussah“, erläutern die Projektverantwortlichen Friedrich Stepanek (Universität Innsbruck) und Ina Friedmann (Wissenschaftsbüro Innsbruck). Dabei gehe es um den emotionalen und körperlichen Umgang mit den Betroffenen, um Schulunterricht und Ausbildung, Arbeit und hygienische Verhältnisse. „Um einen möglichst umfangreichen Einblick in das Leben in den kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945 zu erhalten, beleuchten wir auch die Ausbildung, Tätigkeitsbereiche und Aufgabengebiete des Personals“, sagt Stepanek.

Suche nach Zeitzeugen

Dafür wurde umfassendes Aktenmaterial aus kirchlichen Archiven und Landesarchiven gesammelt, gesichtet und wissenschaftlich eingeordnet. „Eine wichtige Perspektive liefern aber auch Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Aus diesem Grund suchen wir Personen, die in einem dieser Heime untergebracht waren und über ihre Erfahrungen berichten möchten. Auch Berichte von jenen, die in einer dieser Einrichtungen gearbeitet haben oder beruflich damit zu tun hatten, sind für ein umfassendes Bild der Situation sehr wertvoll“, betont Friedmann.

So würden auch die Erinnerungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schuldirektion (ehemalige Bezirks- und Landesschulräte) oder der damaligen Fürsorgebehörden, aber auch von Personen, die auf anderem Weg mit den Heimen in Berührung gekommen sind, beispielsweise Verwandte von früher dort lebenden Kindern, wesentlich zur wissenschaftlichen Analyse bei.

Interviews werden vertraulich behandelt

„Ob Sie das erste Mal von Ihren persönlichen Erfahrungen erzählen möchten oder bereits darüber berichtet haben: Jede Kontaktaufnahme ist herzlich willkommen!“, rufen Stepanek und Friedmann alle Zeitzeugen auf, sich zu melden – ob per E-Mail, Brief oder telefonisch. Alle Informationen werden streng vertraulich behandelt. Die Interviews werden zur wissenschaftlichen Aufarbeitung verwendet, die entsprechenden Datenschutzbestimmungen sollen selbstverständlich eingehalten werden. Auch können eigene Angaben nachträglich überprüft, ergänzen oder korrigiert werden.

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Fragen des Opferschutzes und von Entschädigungsansprüchen sei nicht Teil des Forschungsprojekts, eine Vermittlung an die zuständigen Stellen wäre aber möglich. (TT.com, OTS)

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