Platters Befreiungsschlag gegen Kritik: „Kernfrage“ ist beantwortet
Zwei neue Landesräte gekürt, er selbst tritt bei der Landtagswahl 2023 an: LH Günther Platters Versuch, gegen seine Kritiker Meter zu machen.
Von Manfred Mitterwachauer
Innsbruck – Präsident Christoph Walser wäre bereit gewesen, den Sprung von der Wirtschaftskammer ins Landhaus zu wagen. Das ist kein Geheimnis, sagt der Unternehmer und Bürgermeister von Thaur selbst: „Ich habe Platter versichert, dass ich zur Verfügung gestanden hätte.“ Doch Landeshauptmann und VP-Chef Günther Platter hatte offenkundig anderes im Sinn. Und inthronisierte gestern lieber im Parteivorstand einstimmig den langjährigen Kommunal- und Landespolitiker Anton Mattle auf den Posten des Wirtschaftslandesrates und somit als Nachfolger von Patrizia Zoller-Frischauf. Walser akzeptiert diese Rochade, gratulierte Mattle und lobte dessen bisherige politische Arbeit.
Zahm und konziliant zeigte sich gestern auch der Wirtschaftsbund. Immerhin kommt Mattle ja aus dem eigenen Stall. Und doch rumort es – intern. Umso mehr, als man Walser auf Platters Thron nachfolgen sehen will. Oder besser gesagt: wollte. 2023 bei der nächsten Landtagswahl wird das jedenfalls nichts. Denn Platter hat gestern nämlich vor versammelter Presse erstmals seine Wiederkandidatur als Spitzen- und somit LH-Kandidat angekündigt („Ja, ich werde wieder antreten“). So mancher im Wirtschaftsbund interpretiert dies als unausgesprochene Kampfansage an Walser. Für Platter selbst ist es freilich mehr der – vorerst geglückte – Versuch eines Befreiungsschlags gegen interne Kritiker. Oder, wie Platter gestern selbst sagte, sei es die Antwort auf eine „Kernfrage“.
Von Kontinuität und bröckelnden Häusern
Wie zu erwarten war, schossen sich Teile der Opposition bereits auf die designierten neuen VP-Landesräte Annette Leja (Gesundheit) und Anton Mattle (Wirtschaft) ein, bevor diese kommenden Dienstag in einer Sondersitzung des Landtags in den Dienst gestellt werden.
„Das Haus Platter fängt zum zerbröckeln an“, kommentierte etwa FP-Landesparteichef Markus Abwerzger die Rochade. Schonfrist werde die FP den beiden Neo-Landesräten jedenfalls angesichts der herausfordernden Zeiten keine geben. Gar den „Anfang vom Ende der schwarz-grünen Platter-Regierung“, rief gestern Liste-Fritz-Parteichefin Andrea Haselwanter-Schneider aus: „Die Rücktritte mögen überraschend erfolgt sein, überfällig sind sie aber seit Langem.“
In die Pflicht nimmt ÖGB-Tirol-Vorsitzender Philip Wohlgemuth den neuen Wirtschaftslandesrat. Mattle müsse die Arbeitnehmer in den Fokus rücken. Auf inhaltliche Kontinuität pochten indes gestern die Grünen.
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Ob der Kernfrage auch eine VP-interne Kernschmelze folgt, hängt in den kommenden Wochen und Monaten ganz vom Verhalten des Wirtschaftsbundes ab. Offene Kritik gab es gestern keine. Für Außenstehende wäre die auch nur schwer nachzuvollziehen, nimmt mit der Geschäftsführerin des Sanatoriums Kettenbrücke, Annette Leja, auch auf dem Posten der Gesundheitslandesrätin doch gleich eine weitere Wirtschaftsbündlerin auf der Regierungsbank Platz.
Platter jedenfalls sieht seine VP-Regierungsriege mit Leja und Mattle „bestmöglich aufgestellt“. Die Rücktritte von Zoller-Frischauf und dem österreichweit seit Ischgl in der Kritik stehenden Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg hätten ihn „nicht überrascht“. In Summe sei der Regierungswechsel – dessen Notwendigkeit Platter noch bis vor Kurzem strikt nicht sah – „hervorragend über die Bühne gegangen“. Und übrigens: „Bis zur Landtagswahl wird es keine weitere Regierungsumbildung mehr geben.“
Zwei, die jetzt viel vorhaben
Offiziell in Amt und Würden sind sie erst ab kommendem Dienstag nach der Sondersitzung des Tiroler Landtags. Gestern holten sich Annette Leja (51) und Anton Mattle (58) zunächst den einstimmigen Sanktus des VP-Landesparteivorstands ab, künftig die Gesundheits- bzw. Wirtschaftsagenden innerhalb der schwarz-grünen Regierungsriege zu übernehmen.
Mit Leja – bis dato Geschäftsführerin des Sanatoriums Kettenbrücke, Wirtschaftsbund-, aber kein VP-Mitglied – habe er bereits seit Februar viele Gespräche hinsichtlich der besagten Polit-Funktion geführt, bestätigte gestern LH und VP-Chef Günther Platter: „Jetzt ist sie im Boot.“ Ein Schritt, den sich Leja gut überlegt habe, wie sie selbst sagt. Die Pandemie fordere nach wie vor alle, wie sie aus ihrer Tätigkeit zu berichten weiß: „Es ist maximal belastend für Angehörige, Patienten und Ärzte.“ Umso schneller wolle sie ins Arbeiten kommen, sich ein neues Team aufbauen, mit Systempartnern sprechen und mit ihrer Erfahrung „neue Akzente setzen“. Das Impfen ist ihr ein besonderes Anliegen. Die Impfbereitschaft will sie weiter heben. Ebenso ist Leja die Brisanz in der Pflege bewusst: „Wir müssen mehr Menschen in die Ausbildung bringen. Geld pflegt nicht. Das tun immer noch die Menschen.“ Ihrer neuen Aufgabe begegne sie nicht mit Sorge, vielmehr mit Respekt.
Im Gegensatz zu Leja war die Vorlaufzeit zur Vorbereitung auf den nächsten Polit-Karrieresprung für Anton Mattle – bisher Unternehmer, BM von Galtür und Landtags-Vizepräsident – eine sehr kurze. Die Frage von Platter, die Wirtschaftsagenden zu übernehmen, habe er nur kurz nach dem Rücktritt von Patrizia Zoller-Frischauf gestellt bekommen. Zugesagt habe er trotzdem. Das Amt wolle er über die Landtagswahl 2023 hinaus bekleiden, sofern es der Wähler wünsche. Thematisch kündigt Mattle ein neues Konjunkturpaket an, die Anzahl der Arbeitslosen will er binnen 24 Monaten wieder auf Vorkrisenniveau drücken. Der Ausbau der digitalen Verwaltung müsse indes fortschreiten, so Mattle.
Felipe legt Ämter in der Partei zurück
Die Grünen wollen derzeit nur keine Wellen schlagen. Der Junior-Regierungspartner möchte an den Personalrochaden in der ÖVP nicht einmal anstreifen, geschweige denn in sie hineingezogen werden. Denn die Stimmung ist bei ihnen ebenfalls mehr als angespannt. Schon vor Ostern soll es ordentlich gekracht haben, in einer Partei-Sitzung wurde wieder einmal Kritik an Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe geübt. Worauf Felipe alle Parteifunktionen u. a. im Landesvorstand zurückgelegt hat. Schon im Vorjahr gab es Rücktrittsaufforderungen, seither wird immer wieder mit einem vorzeitigen Abschied Felipes aus der Politik spekuliert und als möglicher Nachfolger der ehemalige Landes- und Bundesgeschäftsführer Thimo Fiesel ins Spiel gebracht.
Bei der Aufsichtsratssitzung der Lebensraum Tirol Holding am Dienstag um 16 Uhr wusste noch niemand, dass die scheidende Wirtschafts-LR Patrizia Zoller-Frischauf zwei Stunden später auf die Senden-Taste ihres privaten E-Mail-Accounts drücken und ihren Rücktritt verkünden würde. Weder LH Günther Platter noch Gesundheits-LR Bernhard Tilg. Zoller-Frischauf preschte vor und brachte Platter damit in Verlegenheit. An einem Tag, an dem die Affäre um die Corona-Tests das Land in Atem hielt, musste er seine Regierung umbilden. Eigentlich wäre das für heute geplant gewesen und Tilg hätte den Anfang machen sollen. So sah die Dramaturgie ursprünglich aus, schlussendlich wurde sie zur politischen Feuerwehraktion. Von wegen nicht überraschend.
In der Landtags-Sondersitzung kommt es Dienstag ebenfalls zu personellen Veränderungen. Die 27-jährige Sophia Kircher (VP) wird statt Neo-LR Toni Mattle Landtagsvizepräsidentin. Damit hat Landtagspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann (VP) jetzt zwei Stellvertreterinnen. Jüngste Abgeordnete ist künftig Marina Ulrich (24) aus Zams, die für Mattle in den Landtag nachrückt. VP-Arbeitnehmervertreter Heinz Kirchmair (61) müsste sich wegen Zoller-Frischaufs Wechsel ins Hohe Haus von dort zurückziehen, doch seine Innsbrucker Kollegin Martina Nowara dürfte von sich aus verzichten. Apropos Landeshauptstadt: Die Innsbrucker VP stellt vorerst kein Regierungsmitglied mehr. (pn)